Der Finanzmarkt ist für den Laien schwer durchschaubar und unverständlich. Ein Dschungel aus Fachausdrücken, mathematischen Formeln, Algorithmen und vor Bildschirmwänden sitzenden Männern, die meistens auch noch hektisch telefonieren.
Oder aber, wichtig und kompetent dreinblickende Männer in mehr oder minder gutsitzenden Anzügen, weissem Hemd und Krawatte stehen hinter einem Pult und schwafeln Unverständliches, während ein Assistent eine Tabelle nach der anderen auf die Grossleinwand an der Stirnseite des Konferenzraums wirft. «Gut aufgestellt, risikooptimiert, strategische Weichenstellung, volatiler Markt, Vorteile gegenüber den Mitbewerbern, eingeleitete Massnahmen greifen, Synergien.» Wortblasen, Finanzblasen, alles gut oder alles am Ende. Niemand weiss nichts Genaues.
Ein Mann der klaren Worte
Wie wohltuend ist da jemand wie Oswald Grübel. Der CEO der UBS sagt, was Sache ist. Höhere Eigenkapitalvorschriften für Schweizer Banken? Gefährlicher Unsinn, notfalls muss sich die UBS dem durch einen Weggang aus der Schweiz entziehen. Festlegung einer Frankenuntergrenze gegenüber dem Euro durch die Nationalbank? Gefährlicher Unsinn. Stärkere Regulierung der Banken? Gefährlicher Unsinn. Abspaltung des Investmentbanking, Umwandlung der UBS in eine Holding mit unabhängigen Tochtergesellschaften? Gefährlicher Unsinn. Gewinnziel herunterfahren? Gefährlicher Unsinn. Hoppla.
Ein kleiner Exkurs
Der Laie wundert sich auch, wie ein einzelner Investmentbanker in kurzer Zeit beachtliche zwei Milliarden Dollar verrösten kann. Das ist überhaupt kein Problem und dauert auch nur wenige Sekunden. Solche Dinge geschehen, wenn man zum Beispiel in der Abteilung «Global Synthetic Equities» der UBS arbeitet; übersetzt ist das der Handel mit künstlichen Wertpapieren. Das sind Ableitungen oder Derivate von real existierenden Aktien.
Der perverse Sinn ihrer synthetischen Nachbildung besteht darin, einen normalerweise eher langweilig verlaufenden Aktienkurs zu pimpen, zu hebeln, die Börse in ein Zockercasino zu übertragen. Oder noch einfacher: Wenn eine reale Aktie lediglich um einen Rappen steigt oder fällt, kann man mit den synthetischen Nachbildungen Wetten daran knüpfen, die dem Gewinner in Sekunden einen Millionenprofit reinspülen und den Verlierer um Millionen ärmer machen. Oder um Milliarden. Genau das ist anscheinend dem UBS-Gambler in London passiert. "Shit happens", wie da der Banker sagt.
Ein Alptraum
Stellen wir uns nur einmal vor, die UBS hätte aus der Tatsache, dass sie im Zockercasino Investmentbanking in den letzten Jahren mehr als 50 Milliarden Franken Verlust gemacht hat, die naheliegende Schlussfolgerung gezogen, dass man das doch lassen könnte. Stellen wir uns vor, dass sich die UBS auf das konzentriert hätte, was sie ehemals auszeichnete: Kreditvergabe an Schweizer KMU, Hypothekenverteilen und Vermögensverwaltung.
Stellen wir uns einmal vor, dass sie keine Multimillionenbusse wegen Schwarzgeldbunkern von US-Steuerzahlern hätte zahlen müssen, nicht mit Schadenersatzklagen in Multimilliardenhöhe wegen der Beteiligung am CDO-Handel, den berüchtigten Hypothekarschrottpäckchen, konfrontiert wäre. Stellen wir uns vor, dass sie als Verwaltungsratspräsidenten nicht einen inkompetenten Banken-Kaspar und als CEO nicht einen knallharten Investmentbanking-Dinosaurier hätte. Und stellen wir uns vor, dass es deren gesammelten Sachverstand nicht gelungen wäre, den bereits historisch tiefen Kurs der UBS von 20 Franken auf unter 10 Franken zu drücken. Ein Alptraum, denn dann wäre ja nicht offenkundig: Die Bank ist krank. Komatös. Möglicherweise schon hirntot.
Kleines Einmaleins
Seit es die Begriffe Gewinn und Profit gibt, und das ist schon ziemlich lange, weiss jeder, dass normalerweise ein Nettoprofit von 5 Prozent auf das eingesetzte Geld ziemlich gut und auch ziemlich risikofrei ist. Das wären bei dem UBS-Eigenkapital von 50 Milliarden (wir nehmen einfach eine Zahl, denn schon das ist im modernen Banking schwer zu schätzen) 2,5 Milliarden. 10 Prozent Rendite, das weiss auch jeder, hat schon einen hübschen Risikofaktor, das wären also 5 Milliarden. Darüber beginnt ziemlich schnell die Todeszone, also das Risiko des Totalschadens. Die von Oswald Grübel öffentlich erträumten 15 Milliarden Gewinn wären ein Gewinn von 30 Prozent aufs Eigenkapital. Daran glaubt nicht mal ein einigermassen vernünftiger Lottospieler.
Haltet ihn!
Vom Schweizer Dramatiker Friedrich Dürrenmatt gibt es den schönen Satz, dass eine Geschichte nur dann zu Ende gedacht ist, wenn sie die schlimmstmögliche Wendung genommen hat. Deshalb wäre es fatal, wenn der eigentlich lächerlich kleine Sekundenverlust von zwei Milliarden Dollar eines einzigen Händlers zum Rücktritt von Oswald Grübel führen würde. Denn alleine in London, wo diesmal das Geld verlocht wurde, arbeiten rund 6000 UBS-Angestellte. Von den USA und Asien ganz zu schweigen. Ginge Grübel, käme vielleicht ein Nachfolger, der mit salbungsvollen Worten einen Neuanfang, ein Einsehen, ein Umdenken, eine Neuausrichtung der UBS ankündigen würde. Und damit Politik und Öffentlichkeit wieder einmal einseifte, während im Hintergrund die Spielhöllen des Eigenhandels fröhlich weiterlaufen würden. Und das wollen wir doch alle nicht.