Weisse Nebelschleier ziehen vor der Sonne durch. Der Weg hinauf zum Zürcher Theater Rigiblick ist schneebedeckt, aus dem nahen Wald hört man Vögel, die sich, ganz schüchtern noch, aber doch unüberhörbar, für den Frühling einsingen. „La Dame Blanche“, steht auf dem Plakat. Diese geheimnisvolle Weisse Dame aus schottischen Sagen geistert nun auf dem Zürichberg umher und hat ihre weissen Spuren hinterlassen.
Vögel und Sänger
Drinnen, im Vorraum des Theaters, räumt Bruno Rauch welke Tulpen vom Tisch ab. Es ist etwas schummrig. Oben im Theatersaal zwitschern junge Sängerinnen und Sänger fast wie die Vögel im Freien. Sie trällern die Tonleiter hinauf und hinunter, um die Stimme für die bevorstehende Probe geschmeidig zu machen.
Bruno Rauch hört es mit Wohlgefallen und schwärmt von seinem jungen Ensemble. „Sie sind so motiviert und voller Begeisterung…!“ Die Tür geht auf und mit einem Schwall kalter Luft kommen noch einmal drei, vier junge Leute rein. Die Wollmütze tief ins Gesicht gezogen, den Rucksack in der Hand und ein Strahlen im Gesicht, schnattern sie fröhlich miteinander. Wie ein Opernstar sieht keiner von ihnen aus. Noch nicht.
Absoluter Renner
„La Dame Blanche“ studieren sie ein. Eine „opéra comique“ von François Adrien Boieldieu. Von wem, bitte..? Naja, wenn man nicht gerade Musik-Wissenschaftler ist, kennt man ihn wohl kaum. Dabei war er zu seiner Zeit, also vor rund 200 Jahren, höchst erfolgreich. „Seine ‚Dame Blanche‘ war damals ein absoluter Renner“, bekräftigt Bruno Rauch.
Er ist Intendant, Regisseur und ein bisschen „Mädchen für alles“ bei der „Opera Free Company“. Eigentlich ist er Autor und Journalist mit dem Spezialgebiet Musik. Dann aber ist er reingerutscht ins Theater-Machen. „‘Opéra comique‘, das ist ein Gattungsbegriff“, nimmt er den Faden wieder auf. „Die ‚opéra comique‘ ist immer eine Oper mit gesprochenem Text. Und komisch muss das überhaupt nicht sein. Diese ‚Dame Blanche‘ hatte ich schon lange im Auge. Aber sie steht und fällt mit dem Tenor. Man braucht nämlich einen französischen ‚ténor aigu‘“. Wieder so ein Begriff, den man nicht kennt… Das Lexikon klärt aber auf: Es ist ein Tenor mit ausgesprochen hoher Stimme. „Und den habe ich jetzt“, freut sich Bruno Rauch. „Also muss ich die Chance nutzen.“
Story umgekrempelt
Er hat die Story etwas umgekrempelt. Man befindet sich an einem Film-Set und gedreht wird die märchenhafte Geschichte der Dame Blanche. Begleitet von wunderbarer Musik und betörenden Stimmen. „Es ist mir schleierhaft, dass diese Oper so in Vergessenheit geraten ist. Wenn man diese Musik hört, fragt man sich erst recht, wieso…“
La Dame Blanche
„Opera Free Company“
im Theater Rigiblick, Zürich
Premiere: 15. Februar
bis 8. März
Mit der „Free Opera Company“ ist Bruno Rauch in seiner Funktion als Theaterkritiker in Kontakt gekommen. Damals hiess die Truppe noch “Pocket Opera“, musste dann aber aus juristischen Gründen den Namen ändern. Seither produziert Bruno Rauch mit der „Free Opera Company“ pro Jahr eine Oper. Und dies im Westentaschenformat. „Ja, das könnte man so sagen. Ich will aber daraus eine Tugend machen und zeigen, dass Oper nicht unbedingt mit einem riesigen Etat, weder personell, noch finanziell, gemacht werden muss“, erklärt Rauch. „Ich denke, wenn man es geschickt anstellt, kann man auch eine schlanke Inszenierung machen. Man hört dabei sogar die musikalischen Finessen noch besser, als wenn ein 70- oder gar 100-köpfiges Orchester spielt“, sagt Rauch. „Ich denke, so kommt man viel näher ans Publikum. Immer wieder haben mir Leute gesagt: ‚so habe ich mir Oper gar nicht vorgestellt, ich dachte immer, Oper ist gross und mit viel Plüsch‘.“ Dass es auch anders geht, will Rauch mit seinen Produktionen zeigen.
Auf dünnem Eis
Wobei es auch im kleinen Rahmen einiges braucht, bis seine Opern bühnenreif sind. „Das fängt schon mit der Stückauswahl an, dann gibt es ein Casting für die Sänger, Termine müssen organisiert werden und schliesslich gehört auch die Mittelbeschaffung dazu. Und die ist kein Klacks. Die Produktionskosten für die Gagen von über zwei Dutzend Mitwirkenden, Theatermiete, Ausstattung, Technik und und und… bewegen sich in einem sechsstelligen Bereich. „Ein Fünftel erbringen wir selbst, der Rest wird durch Sponsoring, öffentliche Hand und Private finanziert. Stadt und Kanton sind recht grosszügig“, freut sich Rauch. „Sie haben gesehen, dass wir Qualität bieten und das seriös machen. Dazu gehört auch die korrekte Abrechnung hinterher. Da bin ich sehr genau. Das braucht viel Zeit und ist nicht meine Lieblingsbeschäftigung, wie Sie sich vorstellen können…“. Und bei jeder neuen Produktion muss Rauch wieder bei null anfangen, insbesondere bei den Finanzen. „Dieses Jahr hatten wir Glück, wie es nächstes Jahr aussieht, wissen wir nicht. Es ist ein Wandern auf dünnem Eis.“
Ein festes Ensemble hat Rauch nicht. Je nach Bedarf schreibt er bei einer neuen Produktion die Rollen aus oder wendet sich an Musikhochschulen. „Zum Teil melden sich aber Interessierte auch selbst“, sagt er. Es sind vor allem junge Leute, die bei ihm auftreten. „Es ist mir wichtig, sie am Anfang ihrer Karriere zu fördern. Sie sollen bei uns Bühnenerfahrung sammeln können und sich in einem Ensemble zurechtfinden. Das lernen sie in der Schule mitunter etwas zu wenig.“
Aparte Harmonik
Sieben Wochen hat Bruno Rauch mit den jungen Leuten geprobt. Und acht Vorstellungen gibt es. Die Weisse Dame wird den Guten im Stück helfen und die Bösen bestrafen. So steht es auf dem Flyer. Und über die Musik heisst es: „Boieldieus Klangsprache besticht durch französische Eleganz, eingängige Melodien, raffinierte Instrumentation und aparte Harmonik“. Worte, die selbst fast schon wie Musik klingen.
Inzwischen ist es höchste Zeit, alles noch mal durchzugehen. Schliesslich soll auch die Aufführung den verführerischen Formulierungen entsprechen. Das Ensemble wartet schon auf der Bühne. Wie schafft Bruno Rauch das alles neben seiner Schreibtätigkeit? „Das frage ich mich auch….“, sagt er und holt tief Luft. Dann springt er auf und eilt zur Probe.