
«Ich denke, wir werden es bekommen, auf die eine oder andere Art» – diese vom amerikanischen Präsidenten Trump mittlerweile wiederholt gemachte Äusserung gilt Grönland. Sie hat der ehemaligen dänischen Kolonie, die heute ein weitgehend selbstverwaltetes Gebiet des dänischen Königreichs ist, internationale Aufmerksamkeit eingebracht. Eine Aufmerksamkeit, über die man sich im ersten Moment freute, die inzwischen aber mit zunehmendem Zwiespalt aufgenommen wird.
Denn Grönland hat nicht vor, amerikanisch zu werden – auch wenn das Verhältnis zu Dänemark kompliziert ist. Kopenhagen hat sich gegenüber den Inuit, der grönländischen Urbevölkerung, nicht nur als Kolonialmacht schwere Fehler zuschulden kommen lassen, sondern auch noch zu der Zeit, als Grönland formell bereits ein gleichberechtigter Bestandteil des Königreichs war. Trotz der 1979 eingerichteten teilweisen Selbstverwaltung («Hjemmestyre»), die 2009 in eine weitgehende Autonomie («Selvstyre») für alle Bereiche ausser Aussen-, Sicherheits- und Währungspolitik erweitert wurde, herrscht auf der grossen arktischen Insel nach wie vor das Gefühl, dass man die Geschicke nicht wirklich selber bestimmen könne und von der alten Kolonialmacht gegängelt werde.
Es beginnt beim Geld
Die vollständige Unabhängigkeit ist deshalb seit Jahrzehnten das ersehnte Fernziel der grönländischen Politik. Unterstützt wird sie heute von praktisch allen politischen Parteien. Doch dieser generelle Konsens endet bei der Frage, wie und wann die Eigenstaatlichkeit erreicht werden sollte. Denn die Herausforderungen sind riesig.
Das beginnt beim Geld. Von Dänemark bezieht Grönland die sogenannte Blocksubvention, die derzeit umgerechnet rund 500 Millionen Franken pro Jahr ausmacht. Die Summe steht für etwa die Hälfte des Geldzuflusses in die Staatskasse. Sollte sie wegfallen, hätte Grönland ein ernsthaftes Problem mit der Finanzierung der Leistungen des öffentlichen Sektors.
Damit Grönland sich die Unabhängigkeit leisten kann, muss es ökonomisch also deutlich stärker werden. Derzeit ist seine Wirtschaftsleistung mit umgerechnet rund 3 Milliarden Franken pro Jahr etwa gleich gross wie diejenige Andorras und weniger als halb so gross wie diejenige Liechtensteins; zwei Staaten, die punkto Bevölkerung etwas grösser beziehungsweise kleiner sind als Grönland mit seinen 57’000 Einwohnern. Doch einem Wachstum, das die Finanzierung eines eigenen Staats erlaubt, ohne dass es zu bedeutenden Wohlstandsverlusten gegenüber heute kommt, stehen enorme strukturelle Hindernisse entgegen.
Kein gesellschaftlicher Grundkonsens
Grönland ist 2,2 Millionen Quadratkilometer gross, gegenüber den knapp 500 Quadratkilometern von Andorra und 160 von Liechtenstein. Seine wichtigsten Siedlungen liegen Hunderte Kilometer auseinander. Überlandstrassen und Eisenbahnen gibt es keine; Personen und Waren müssen per Schiff oder Flugzeug transportiert werden – wenn Wetter und Meereis es zulassen. Und Grönland ist eine Insel; wirtschaftliche Impulse von direkt angrenzenden Nachbarländern gibt es keine.
Lange ruhten die Hoffnungen für mehr Einnahmen auf vermuteten Lagerstätten von Erdöl und Erdgas. Doch immer wieder haben sie sich zerschlagen. Heute sind es Seltene Erden und andere strategische Rohstoffe, die Geld bringen könnten, oder auch eine bessere Entwicklung des Tourismus. Doch wohin man auch schaut, immer taucht die gleiche Grundsatzfrage auf: Wie viel Entwicklung verträgt die in kleinen, isolierten Siedlungsräumen organisierte und in starken Traditionen verwurzelte grönländische Gesellschaft, ohne ihre Identität zu gefährden oder sich übermächtigen internationalen Partnern auszuliefern?
Ein gesellschaftlicher Grundkonsens in dieser philosophisch angehauchten Frage wäre wichtig, doch auch die jüngsten Wahlen haben ihn nicht gebracht: Von den zwei Parteien, die die besten Resultate erzielten, ist die eine für eine Verlangsamung des Sezessionstempos, die andere für eine Beschleunigung. Trump-Amerikas unverhohlenes Interesse an einer «Übernahme» Grönlands hat die Bevölkerung immerhin zusammenrücken lassen: Für die grosse Mehrheit ist klar, dass das Ziel die eigene Staatlichkeit ist und nicht einfach der Tausch der grösseren Macht, an die man sich anlehnt.
Eine andere Grundsatzfrage im Blick auf eine grönländische Unabhängigkeit ist dagegen eher praktischer Natur: Wie ginge es weiter mit dem nordischen sozialstaatlichen Modell, an das man sich in Grönland unter dänischer Oberherrschaft gerne gewöhnt hat? Wie Umfragen zeigen, ist eine Mehrheit der Bevölkerung nicht bereit, für eine Loslösung von Dänemark einen Wohlstandsverlust in Kauf zu nehmen. Wenn es die strategischen Rohstoffe sind, die die Wirtschaft in Gang bringen sollen, dürfte es noch Jahre dauern, bis die entsprechenden Minen gebaut sind und produzieren. Das würde also mindestens mittelfristig noch eine Anlehnung an Dänemark bedeuten. In Kopenhagen hätte man gewiss nichts dagegen, denn mit Grönland ist Dänemark ein arktischer Staat und kann damit in einer Region mitbestimmen, die geopolitisch gerade deutlich an Gewicht gewinnt.
Der besonnene Nielsen übernimmt die Hauptrolle
Wenn die Wahlen vom 11. März die Frage der Geschwindigkeit des Unabhängigkeitsbestrebens offengelassen haben, so ist immerhin deutlich geworden, dass eine Generation junger, selbstbewusst auftretender Politiker im Begriff ist, das Heft fest in die Hand zu nehmen. Keine kleine Überraschung ist dabei, dass die Hauptrolle für die nächsten Jahre dem 34-jährigen Jens Frederik Nielsen zufällt, dem Chef der Partei Demokraatit (Demokraten). Für Nielsen ist eine solide Grundlage des Unabhängigkeitsprozesses wichtiger als eine rasche Ablösung von Dänemark.
Die Demokraatit waren in Grönland bisher mit dieser Linie politisch eher Aussenseiter gewesen. Dass sie nun die Wahlen deutlich zu gewinnen vermochten, kann als Zeichen dafür gelesen werden, dass angesichts des Drucks von aussen auf Grönland Vertreter eines besonnenen Kurses gefragter sind als Heisssporne.