«Wenn der Euro scheitert, scheitert Europa.» Selten gab es in den letzten Jahren einen dümmeren Satz als diesen Ausspruch der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Entgegen jedem Sachverstand soll der Euro als Einheitswährung für 17 Staaten beibehalten werden. Mit dem Argument: Alles andere wäre noch schlimmer. Falsch. Das Gegenteil würde mehr Sinn machen: Wenn der Euro nicht scheitert, scheitert Europa.
Einzig sinnvoller Ausweg
Der Euro war von Anfang an eine Fehlgeburt. Leistungs- und exportstarke Wirtschaftsnationen wie Deutschland oder Frankreich mit im Vergleich dazu Drittweltländern wie Griechenland oder Portugal in einer Währung zusammenzuschliessen, wobei die Fiskal- und Wirtschaftspolitik den weiterhin souveränen Regierungen überlassen bleibt, ist barer Unsinn. Das Restrisiko einer Kernschmelze liegt hier bei 100 Prozent.
Seit mindestens einem Jahr war und ist es offenkundig: Griechenland kann seine Euro-Staatsschulden nie mehr zurückzahlen. Der einzige sinnvolle Ausweg aus dem Schlamassel wäre ein Austritt aus dem Euro, die Wiedereinführung der Drachme und vorangehend möglicherweise ein Staatsbankrott. Wäre nicht das erste Mal in der griechischen Geschichte.
Marktwirtschaftler hören nicht auf den Markt
Seit mindestens einem Jahr wird von der Mehrheit aller sogenannten Finanzspezialisten wie ein Mantra heruntergebetet: Alles, nur das nicht. Die Folgen wären unabsehbar, eine Katastrophe, Amargeddon, die nächste Finanzkrise, Weltuntergang. Zudem schüre jeder, der auch nur das Wort «Umschuldung» in den Mund nimmt, also ein mindestens teilweiser Verzicht der Gläubiger Griechenlands auf ihre Forderungen, eine sonst gar nicht vorhandene Krise, wisse nicht, was er da anrichte, habe überhaupt keine Ahnung. Wieder einmal legen sich die versammelten Finanzkoryphäen inzwischen langsam in die Kurve und hoffen einmal mehr auf das Kurzzeitgedächtnis des Publikums.
Während fast alle sogenannten Finanzexperten staatstragenden Unsinn über die durchaus intakte Stabilität des Euros und von Staatsschulden von sich gaben, hat der Markt schon längst Umschuldungen mit Kapitalschnitt vorweggenommen. Der Marktwert von früher ausgegebenen Staatspapieren Griechenlands, Irlands und Portugals fällt schon seit Monaten, die Zinsen dafür steigen. Das bedeutet, dass für einen heutigen Käufer ein Verlust auf den Nennwert eines solchen Papiers von ungefähr 50 Prozent bereits eingepreist ist. Das bedeutet, dass der Markt, wenn man ihn lässt, durchaus funktioniert. Das bedeutet, dass jeder, der das Gegenteil behauptet, in geradezu realsozialistischer Manier Ideologie über Realität stellt. Wie das endet, haben wir Anfang der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts erleben dürfen.
Skylla und Charybdis
Um es griechisch auszudrücken: Natürlich haben wir hier nur die Wahl zwischen zwei Ungeheuern, zwei Übeln. Aber während man den Euro vor lauter Rettungsschirmen gar nicht mehr sieht, nach Griechenland sich nun auch Irland und Portugal darunter flüchten, Spanien schon in den dunkel verhangenen Himmel schaut und sich Italien lediglich durch die Libido von Berlusconi von eigentlich wichtigeren Problemen ablenken lässt, ist der Moment gekommen: Umso schneller man sich für das kleinere Übel entscheidet, umso grösser die Chance, aus diesem Schlamassel einigermassen unbeschädigt herauszukommen.
Selbstverständlich führt ein Austritt diverser Staaten aus einem Währungsverbund zu einem gewaltigen Durcheinander. Abgesehen davon, dass die Finanzwissenschaft kaum Modelle dafür anbieten kann, weil auch das in ihren tollen Theorien schlichtweg nicht vorgesehen ist, sind die Folgen durchaus unüberblickbar.
Sehr klar vorhersehbar sind allerdings die Folgen einer Fortsetzung des bisherigen Gewurstels. In erster Linie der deutsche und der französische Steuerzahler müssen zu den eigenen Schulden noch mehr fremde schultern, ungefragt, sicher ohne jede Begeisterung. Und ohne dass dadurch irgend etwas besser würde.
Cui bono?
Wechseln wir von Griechisch ins Latein und stellen die auch hier entscheidende Frage: Wem nutzt die verzweifelte Aufrechterhaltung der Fehlkonstruktion Euro? Richtig geraten, den Banken. Über 100 Milliarden Euro griechische Staatspapiere halten europäische Grossbanken, vor allem deutsche und französische, in ihren Büchern. Trotz allen Bilanztricks müssten die logischerweise schon bei einer Umschuldung von Griechenland deutlich tiefer bewertet werden. Das würde die immer noch dünne Eigenkapitaldecke aufbrauchen, die Banken würden wieder wanken und nach Staatshilfe krähen.
Nur: Womit sollten die bereits durch die letzte Finanzkrise bis übers Dach verschuldeten Staaten das Geld nehmen? Von Irland, Portugal und weiteren Wackelkandidaten ganz zu schweigen. Übrigens: Bei einer Gesamtverschuldung aller Euro-Staaten in der Höhe von 7 Billionen Euro (das sind 7 000 000 000 000 Euro, ohne Sozialleistungsversprechen) ist der auch nur theoretisch 750 Milliarden Euro umfassende Rettungsschirm etwa so sinnvoll, wie wenn man sich mit einem Zahnstocher gegen einen Platzregen schützen wollte.
Es gibt in der Wirtschaft nur wenige Grundregeln, die immer richtig sind. Schlechtem Geld kein gutes hinterherwerfen, gehört dazu. Und die Uhr tickt an der Eurobombe. Da die Zukunft leider unvorhersehbar ist, kann man wie bei einem AKW nicht prognostizieren, wann sie in die Luft geht. Dass sie explodieren wird, und nicht erst in tausend Jahren, hingegen schon.