Als sich Hillary Clinton am letzten Freitag in Washington DC in einer siebenminütigen Rede von ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verabschiedete, äusserte sie sich nicht zu ihren Zukunftsplänen. Statt vorwärts in eine ungewisse Zukunft blickte die 65-Jährige lieber zurück auf ihre überwiegend erfolgreiche Zeit im Aussenministerium. Sie äusserte die Hoffnung, dass die Leute des State Department weiterhin alles tun würden, um überzeugend zu zeigen, dass Diplomatie und Entwicklungshilfe ebenso wichtig sind wie militärische Verteidigung.
Eine Option aber hat Hillary Clinton bereits mit Sicherheit ausgeschlossen: Sie wird nicht Bürgermeisterin von New York. Per Telefon hatte Michael R. Bloomberg, der 2013 nach zwei Amtszeiten Gracie Mansion verlässt, der Aussenministerin vorgeschlagen, ihm nachzufolgen und statt in globalem Rahmen künftig lokal tätig zu sein. Wofür er sie, wie der Mayor sagte, hervorragend geeignet finde. Doch Clinton erteilte Bloomberg dem Vernehmen nach eine klare Absage.
Hochgradig kollegial
James Dobbins, ein früherer US-Diplomat und heutiger Experte der Rand Corporation, hält fest, Hillary Clinton seien zwar grosse diplomatische Durchbrüche à la Henry Kissinger versagt geblieben. Doch habe sie sich auch keine „katastrophalen Fehler“ geleistet: „Sie hat sich, vielleicht eher überraschend angesichts ihres Rufes als Person mit spitzen Ellbogen, als äusserst kompetente und sogar ziemlich beliebte Managerin einer grossen, komplexen Bürokratie sowie als hochgradig kollegiale Mitspielerin in einem ‚Team von Rivalen‘ erwiesen.“
Noch unlängst hat es nicht allzu viele Indizien gegeben, dass Hillary Clintons vierjährige Amtszeit mit einem Happy End auslaufen würde. Sie erkrankte an einem Virus, litt unter Schwindel, wurde ohnmächtig, stürzte und erlitt eine Hirnerschütterung. Im Spital mussten Ärzte ein Blutgerinnsel in der Nähe ihres Hirns entfernen. Schliesslich sah sie sich bei einer Anhörung im US-Senat einer Phalanx feindseliger Republikaner gegenüber. Die früheren Kollegen versuchten vehement, ihr die Schuld an einem tödlichen Angriff von Terroristen auf das US-Konsulat im libyschen Bengasi in die Schuhe zu schieben. Vergeblich.Doch Hillary Clinton wäre nicht, wer sie ist, hätte sie sich nicht entschieden und zweitweise emotional gegen die parteiischen Vorwürfe ihrer politischen Gegner zur Wehr gesetzt.
Unerschütterlicher Mut
„Diese ganze Sache ist das grösste Märchen, das ich je gehört habe“, antwortete sie auf Anschuldigungen, Überlebende der Attacke in Bengasi seien nicht rechtzeitig vernommen worden. Allein die neue, grössere Brille erinnerte während des Hearings im Senat noch an ihre angeschlagene Gesundheit. Nach ihrer Hirnerschütterung sah die Aussenministerin zwar zweitweise doppelt, aber immer noch klar.
Als Hillary Clintons Rücktritt feststand, versäumte es kaum ein Medium im Lande, auf folgende eindrückliche Statistik zu verweisen: Amerikas Aussenministerin hatte innert vier Jahren 1‘530‘773 Kilometer im Flugzeug zurückgelegt und dabei 112 Länder besucht, um an 1700 Treffen mit Weltpolitikern teilzunehmen. Dabei ass sie, Ausdruck unerschütterlichen Muts, 570 In-Flight-Menus. Nach ihrer Niederlage 2008 im Vorwahlkampf gegen Barack Obama hatte sie enttäuschte Anhänger aufgefordert, eine Auszeit zu nehmen und „an den Strand zu gehen“. Sie selbst stürzte sich, diesmal für den früheren Rivalen, erneut in den Wahlkampf.
Die "Teflon-Figur" der Familie
„Hier ist ein Satz, den Sie wahrscheinlich nie zu lesen erwartet haben“, schrieb ein Blogger der „Washington Post“ Mitte Dezember: „Hillary Clinton ist zu einer politisch Unberührbaren geworden.“ Die Frau, deren Gatte resp. 42. Präsident der Vereinigten Staaten sich einst einen Namen gemacht habe, in dem er alle politischen Stürme überlebte und davon noch profitierte, sei jetzt zur „Teflon-Figur“ der Familie geworden. Gemäss einer Umfrage von NBC-News und „Wall Street Journal“ erfreut sich Hillary Clinton heute landesweit einer Beliebtheit von 58 Prozent.
Nahezu neun von zehn Demokraten und mehr als die Hälfte aller Unabhängigen sehen sie positiv. Zum Vergleich: 2001, nachdem Hillary und Bill Clinton das Weisse Haus verlassen hatten, mochten sie fast die Hälfte aller Amerikaner nicht. Lediglich 35 Prozent stuften sie damals positiv ein.
Auf ähnlich schlechte Werte kam die Senatorin aus New York auch noch 2008 im Wahlkampf gegen Barack Obama. Tempi passati. „Hillary Clinton ist derzeit Teflon“, schliesst Blogger Cris Cilizza: „Je länger sie das bleibt, desto besser für ihre politische Zukunft.“
Freude an einfachen Dingen
Die Politikerin selbst hält sich bedeckt, was ihre weiteren Ambitionen betrifft. Noch nie hat die 65-Jährige ausdrücklich ausgeschlossen, in drei Jahren für das Präsidentenamt kandidieren zu wollen. So pflegen denn Antworten auf Fragen nach ihrer Zukunft relativ vage auszufallen: „Ich freue mich echt darauf, in ein Leben zurückzukehren, das es mir erlaubt, mich an einfachen Dingen zu erfreuen, und das mir Zeit für Freunde und Familie sowie für andere Tätigkeiten lässt.“
Als sie auf CBS ein Moderator der Fernsehsendung „60 Minutes“ im Januar während eines gemeinsamen Interviews mit Barack Obama auf die Wahl 2016 ansprach, sagte Hillary Clinton lediglich, sie sei immer noch Aussenministerin und nicht Politikerin. „Solche Fragen darf ich nicht einmal hören“, scherzte sie.
Der Präsident selber meinte, eben erst habe er seinen Amtseid abgelegt und bereits sei von einer Wahl die Rede, die in fast vier Jahren stattfinde: „Ihr Kerle von der Presse seid unverbesserlich.“ Barack Obama musste sich so diplomatisch äussern: Im Gegensatz zu Hillary Clinton hat Vizepräsident Joseph R. Biden wiederholt angedeutet, eine Kandidatur könnte ihn reizen. Hillary Clinton wäre 69 Jahre alt, falls sie 2016 als Kandidatin antritt.
„Ready for Hillary“
Ronald Reagan war 1980 im selben Alter zum Präsidenten gewählt worden. John McCain war 72, als er 2008 gegen Barack Obama verlor. Ausser Clintons Alter dürfte auch ihr Gesundheitszustand (zwei Blutgerinnsel innert 15 Jahren!) zu reden geben, was aber in den USA kein Hinderungsgrund ist. John F. Kerry, der 2004 George W. Bush herausforderte, hatte sich zuvor einer Krebsoperation unterzogen. Chris Christie, der schwergewichtig Gouverneur von New Jersey und ein möglicher republikanischer Kandidat, hätte 2016 jedenfalls ebenso Erklärungsbedarf, was seine Amtstauglichkeit betrifft.
Inzwischen hat sich in Washington DC bereits das Super PAC „Ready for Hillary“ konstituiert. Der Unterstützergruppe, die keine direkte Verbindung zu Clinton hat, gehören Frauen an, die sich bereits im Wahlkampf 2008 für sie engagiert haben. „Unser Ziel ist einfach“, sagt Allida Black, die Vorsteherin des Gremiums: „Wir sind bereit, für Hillary zu arbeiten, falls sie als Präsidentin kandidiert.“ Bisher hat „Ready for Hillary“ auf Twitter nahezu 50‘000 Followers gefunden.
Dünne Luft für die Republikaner
Laut Steve Clemons von der Washingtoner Denkfabrik „New America Foundation“ hätte eine Wahl Hillary Clintons Anno 2016 eine kaum zu überschätzende Wirkung, was die veränderten Erwartungen von Frauen weltweit betrifft: „Ihr Sieg käme einem Erdbeben gleich und könnte einen globalen Tsunami auslösen, der von Männern dominierte Strukturen - soziale, politische und wirtschaftliche - ins Wanken bringt und umstürzt.“ Clemens sagt, Hillary Clinton habe als Aussenministerin bewiesen, dass sich eher vernachlässigte Themen wie Frauenrechte, Wassermangel oder Epidemien in den sicherheitspolitischen Dialog einbringen lassen. Als Präsidentin könnte sie dann dafür sorgen, dass solche Themen weiter verfolgt würden, und sie zu einem wichtigen Baustein amerikanischer Politik und Entwicklungshilfe machen.
Ein Wahlkampf 2016 gegen Hillary Clinton, sagt indes der frühere republikanische Präsidentschaftskandidat Newt Gingrich, wäre wie eine „Super Bowl“ (der Final um die Meisterschaft im American Football, die Red.): „Auf diesem Niveau aber kann die republikanische Partei nicht mitspielen.“ Als mögliche Kandidaten der Republikaner gelten etwa George W. Bushs jüngerer Bruder Jeb, der früher Gouverneur von Florida war, Marco Rubio, der kubanisch stämmige Senator aus Miami, oder Ex-Vizepräsidentschaftskandidat Paul Ryan, der athletische Abgeordnete aus Wisconsin.
Kritik wegstecken - und an ihr wachsen
„Beginnen wir mit dem Offensichtlichen“, analysiert Blogger Nate Silver, der für die „New York Times“ den letztjährigen Wahlausgang in Amerika mit fast beängstigender Genauigkeit vorausgesagt hat: „Hillary Rodham Clinton wäre 2016 eine formidable Präsidentschaftskandidatin.“ Ihren Leistungsausweis als Aussenministerin, Senatorin und politische engagierte First Lady könnte kaum ein demokratischer oder republikanischer Rivale übertreffen. Clinton hätte auch kaum Probleme, genügend Geld oder Unterstützung in ihrer Partei zu finden, und unter Umständen würde ihr partei-intern nicht einmal Konkurrenz erwachsen.
Zwar wären 2016, schliesst Silver, ihre Beliebtheitswerte erfahrungsgemäss nicht mehr so hoch, wie sie es heute sind, aber wahrscheinlich immer noch eindrücklich genug, aller Kritik und Häme seitens der Republikaner zum Trotz: „Frau Clintons eindrücklichste Eigenschaft ist unter Umständen ihre Fähigkeit, Kritik wegzustecken – und an ihr zu wachsen. Wenn sie sich erneut um die Präsidentschaft bewirbt, wird es ihr daran mit Sicherheit nicht mangeln.“
Quellen: "The New York Times"; "Washington Post"; "The Daily Beast"