Abschluss des «Ring des Nibelungen»: Jubel, Bravorufe, Standing Ovations an der Premiere der «Götterdämmerung» im Zürcher Opernhaus. Die von Andreas Homoki inszenierte und von Gianandrea Noseda dirigierte Aufführung wird international als Ereignis gefeiert.
In erster Linie gelten sie ihm: Gianandrea Noseda, dem Dirigenten, der nach fünfeinhalb Stunden Spieldauer strahlend auf die Bühne kommt und sich verneigt. Und den Applaus gleich weiterleitet an Orchester, Sänger und Sängerinnen, Chor und die vielen Beteiligten. Aber Noseda ist es, der das Gesamtwerk zum Klingen gebracht und das Publikum begeistert hat.
Noch zwei Tage vor der Premiere meint er: «Es kommt mir vor wie eine lange Reise.» Gianandrea Noseda sagt es ganz entspannt: «Es ist ein grossartiger Trip durch die Musik. Und jetzt, am Ende, in der ‘Götterdämmerung’ erkennt man, wie gewaltig Wagners Vorstellungskraft war. Dieses riesige Werk, den ‘Ring des Nibelungen’, wirklich zu begreifen, ist für mich ähnlich wie Dantes ‘Göttliche Komödie’. Das sind monumentale Leistungen. Es war für mich eine weite Reise, in diese Wagner-Musik einzutauchen. Ich kannte sie natürlich schon, aber nicht in diesem Ausmass.»
Auf Wagners Spuren
Die Aussicht auf diesen «Ring des Nibelungen» war es auch, die Gianandrea Noseda vor drei Jahren bewogen hat, als Generalmusikdirektor ans Opernhaus nach Zürich zu kommen. «Zu wissen, dass hier der ‘Ring’ entworfen wurde, hat für mich Sinn gemacht, zu sagen: O. K., ich akzeptiere diese Verrücktheit und fange mal an mit dieser Riesenarbeit. Jetzt bin ich überglücklich, dass ich sie angenommen habe.» Durch Zürich zu laufen, dort eine Tafel an einem Haus zu sehen, in dem Wagner wohnte, oder vor der Villa Wesendonck zu stehen und sich vorzustellen, wie Wagner hier ein- und ausging, das hat Noseda beflügelt. «Das ist so, wie wenn ich in Ravello durch die Gärten der Villa Rufolo laufe, die Wagner zu den Blumenmädchen im ‘Parsifal’ inspirierten. Unglaublich! Und man denkt: Hier war er! Oder auch in Venedig. Aber in Zürich hat Wagner mehr Zeit verbracht. Und komponiert.»
Auf Wagners Spuren durch Zürich zu wandeln und die intensive Beschäftigung mit ihm und seinem Werk hat auch Nosedas Haltung gegenüber Wagners Werk beeinflusst. «Ich muss sagen, ich habe den ’Ring’ gefürchtet wegen seiner monumentalen Grösse. Noch vor ein paar Jahren habe ich meiner Frau gesagt, ich werde den ‘Ring’ nie dirigieren. Der ist einfach zu umfangreich. Als Andreas Homoki dann mit dem Angebot kam, den ‘Ring’ in Zürich zu machen, nicht in Berlin oder Bayreuth oder sonst irgendwo in Deutschland, sondern in der Schweiz, wo neben deutsch auch italienisch, französisch und romanisch gesprochen wird, da habe ich mich sicher gefühlt und zugesagt.»
Auf diesem Wege ist nun auch eine Portion Italianità in den Zürcher «Ring» eingeflossen und Noseda sieht da durchaus Parallellen zu Wagner. «Natürlich war Wagner super deutsch. Aber er reiste auch viel herum – in Deutschland, in Italien, Frankreich und der Schweiz – und er hat ständig fremde Einflüsse absorbiert. Wenn deutsche Orchester Wagner spielen oder Bruckner, dann haben sie so einen ganz bestimmten Klang. Aber ich habe Transparenz lieber, das tut der Grandeur keinen Abbruch, aber es gibt mehr Farbe. Wagner war ein grosser Bewunderer des italienischen Komponisten Vincenzo Bellini und sagte, dieser sei der grösste Schöpfer durchkomponierter Gesangsmelodien und er, Wagner, würde gern Melodien wie Bellini komponieren. Das heisst, Wagner versuchte, nahe an die vokalen Elemente heranzukommen und sie nicht einfach nur in einem symphonischen Rahmen zu verwenden.»
Musik fliessen lassen
Fünfeinhalb Stunden dauert die Vorstellung in Zürich. Eine lange Zeit fürs Publikum, erst recht aber für den Dirigenten. Noseda bestätigt: «Ich erinnere mich gut, wie es am Anfang war, bei ‘Rheingold’. In der zweiten oder dritten Vorstellung, als ich am Schluss noch zehn oder fünfzehn Minuten vor mir hatte, da dachte ich, das schaff’ ich nicht. Aber ich habe gelernt, die Musik fliessen zu lassen, es ist nicht immer nötig, alles unter Kontrolle zu haben. Let the music flow! Jetzt, in der ‘Götterdämmerung’, ist mir die Lektion, die ich im ‘Rheingold’ gelernt habe, sehr hilfreich. Das habe ich jetzt schon bei der Haupt- und Generalprobe erfahren. In der Premiere ist es natürlich nochmal anders, aber ich habe den Eindruck, dass ich gelernt habe, da durchzukommen.»
Im Mai werden Noseda diese Erfahrungen besonders zugutekommen. Dann wird er den gesamten «Ring», also alle vier Opern von «Rheingold», über die «Walküre» und «Siegfried» bis zur «Götterdämmerung» in einem Zyklus aufführen, und dies gleich zweimal. Bereits jetzt haben sich viele Fans auch aus dem Ausland angemeldet. «Auch Freunde aus Amerika kommen dann», sagt Noseda. «Und wissen Sie was: Zwischen ‘Rheingold’ und ‘Walküre’ dirigiere ich auch noch ‘Carmen’.» Tja, das war wohl von seiner Seite her nicht so beabsichtigt, aber er weiss ja, wie er damit umgehen muss.
Weiter mit Wagner
Und wird es denn nun weitergehen mit Noseda und Wagner? «Nicht sofort. Aber es gibt Pläne für ‘Tristan und Isolde’. Das habe ich zwar schon dirigiert, weiss aber nicht, ob ich es noch einmal machen will. Falls ich noch einmal Wagner mache, dann wäre ‘Parsifal’ meine Wahl. Das ist so eine Art Opern-Oratorium mit einem spirituellen Hintergrund. Es gibt noch keinen konkreten Plan, aber wenn ich ein entsprechendes Angebot bekomme, werde ich es positiv in Erwägung ziehen!» Er sagt’s und lacht.
Und Bayreuth? «Das hängt nicht von mir ab. Als junger Nachwuchs-Dirigent war ich einmal mit einem Stipendium eine Woche lang dort. Das war magisch! Es ist ja kein normales Opernhaus. Das ist ein Schrein, eine Kathedrale. Da geht man gern hin, um sie zu besichtigen, wie St. Peter in Rom, den Dom in Mailand oder die Sagrada Familia in Barcelona. Aber wie heisst es doch: Never say never.»
In nächster Zeit ist Noseda erst einmal in Zürich mit dem «Ring» beschäftigt. Mit Hingabe, mit Freude. Und mit der Begeisterung von Publikum und der internationalen Kritik über seine Interpretation dieses monumentalen Werks.
Tauschkonzerte
Wobei: schon fast nebenher – gemessen am Umfang der «Götterdämmerung» – hat Noseda ein anderes Lieblingsprojekt realisiert: Die Zusammenarbeit, beziehungsweise den Tausch am Dirigentenpult mit Paavo Järvi, dem Chef des Zürcher Tonhalle-Orchesters. Zwischen der Premiere der «Götterdämmerung» und der zweiten Vorstellung hat Noseda so ein «Tausch-Konzert» eingeschoben und ist «fremdgegangen». In der Zürcher Tonhalle hat er mit dem Tonhalle-Orchester und dem Pianisten Francesco Piemontesi Sergej Rachmaninows Klavierkonzert Nr. 4 aufgeführt. Am nächsten Tag eine «Götterdämmerung», dann gleich noch einmal Rachmaninow in der Tonhalle. Im Austausch dazu macht sich Paavo Järvi über die Quaibrücke auf den Weg von der Tonhalle zum Opernhaus und führt hier mit dessen Haus-Ensemble Philharmonia Rachmaninows «Rhapsodie über ein Thema von Paganini» auf. Noseda hat dann einen Tag frei, bevor er anderntags wieder die «Götterdämmerung» dirigiert.
Noseda sieht das locker. «Unsere Zusammenarbeit ist in der Stadt gut angekommen, ich bin richtig glücklich darüber. Und sie tut auch den Orchestern gut. Paavo und ich, wir kennen uns seit Ende der Neunzigerjahre, so hat sich das ganz natürlich ergeben. Es gibt keine Rivalität und es soll kein Wettbewerb darüber sein, wer besser ist. Wir wollen einfach unser Bestes geben.» Zürich habe ein unglaubliches Orchester in der Tonhalle und ein ebensolches im Opernhaus. Und darauf dürfe Zürich stolz sein, sagt Noseda.
Opernhaus Zürich: Richard Wagner, «Götterdämmerung»