Provinz ist dort, wo sich die überregionalen Medien gerade mal hinwenden bei Ereignissen, die knallige Schlagzeilen liefern. Der Thurgau gehört zur Provinz. er wird auswärts wahrgenommen, wenn er das Frühfranzösisch bodigt oder Mafiosi auffliegen lässt. Von derart umstürzender Bedeutung sind die kulturellen Veranstaltungen nicht. In den grossen Zentren gelten sie ohnehin als schlichte und meist verwackelte Kopien urbaner Originalität. Es gibt Ausnahmen. Aus aktuellem Anlass sei auf eine hingewiesen: auf das am 27. September in Frauenfeld beginnende und bis zum 4. Oktober dauernde Jazzfestival "Generations".
Dialog zwischen den Generationen
Es findet alle zwei Jahre und jetzt zum neunten Mal statt. Aus der selbstkritisch umgesetzten Erfahrung hat das Profil den präzisen Schliff erhalten. Er passt in die internationale Jazzwelt. Auf ihrer Höhe und in ihrer Kreativität bewegt sich der das Programm von Anfang bis heute verantwortende und aus Frauenfeld stammende Roman Schwaller, Tenorsaxophonist und Leiter der Jazzschule am Konservatorium Wien. "generations" ist sein zweites Instrument. Auch dieses spielt er mit der Freude, der Ungeduld und der ewigen Unzufriedenheit jener, die auf der Suche nach der Perfektion die Zuhörenden die Begeisterung erleben lassen.
"generations" ist als Titel programmatisch. Gefördert wird der musikalische Dialog zwischen den Generationen. Der Austausch zeigt sich am augenfälligsten im "Masterclass Workshop", dem unverwechselbare Gütesiegel des Festivals. 23 von einer Jury aus hundert Bewerbungen als Gäste eingeladene Musikerinnen und Musiker unter 26 Jahren erhalten von Jazzgrössen professionelle Inspiration: vom australischen Posaunisten Adrian Mears, vom britischen Tenorsaxophonisten Seamus Blake und von den US-Amerikanern Don Friedman, Piano, und Lewis Nash, Schlagzeug.
Die besten Absolventen bilden die Förderpreisband und gehen mit ihr im nächsten Sommer auf eine zehntägige Tournee; die oder der Allerbeste gewinnt einen CD-Vertrag bei TCB "The Montreux Label".
Eine einzige Jazznacht
Roman Schwaller bittet ohne Umweg über Agenturen Freunde nach Frauenfeld, deren Musik und Stil er schätzt, Bert Joris etwa, Andy Scherrer, Thomas Stabenow, Robi Lakatos, Nicole Herzog, Isla Eckinger, Dominic Egli, Klaus Koenig. Er arrangiert ihnen Auftritte in der Club-Atmosphäre und in Big-Band-Formationen. Zwanzig Konzerte stehen auf dem Programm. Nicht vorhersehbar sind die Jam Sessions, die Lust und Laune als Zufallsgeneratoren steuern.
"Generations" ist weniger ein Festival als vielmehr eine einzige Jazznacht, die sieben Tage dauert, Trennendes zwischen Spielenden und Zuhörenden aufhebt und Raum lässt für Improvisationen, Überraschungen und Glücksmomente. Zu spüren ist die Leichtigkeit des Seins mit Jazz.
Weite in der Enge
Das ist im Thurgau kein sonderlich ins Gewicht fallendes Argument. Entsprechend war für "Generations"-Präsident Robert Fürer die Finanzierung des mit 350.000 Franken äusserst bescheidenen Aufwands so schwierig wie noch nie. Die Mittelbeschaffung für pädagogische Vorträge über Jazz oder für Gitarren-Eigenbau-Kurse wäre zweifellos einfacher gewesen.
Der Eindruck, kulturelle Exzellenz löse beim Kanton und in Frauenfeld Beklemmung aus, ist schwer widerlegbar. Und generöse Mäzene kennt der Thurgau nicht. Die Zufriedenheit mit dem braven Durchschnitt lähmt den Mut, Herausragendes zu bejahen und mit aller Kraft zu entwickeln. Das urbane "Generations" ist auch Weltklasse im Arrangement mit der provinziellen Enge.