Nach fünf Wochen Musik im und um das KKL herum zieht das Lucerne Festival eine positive Bilanz. Dass die grossen, internationalen Orchester in Luzern unter der Leitung der Dirigentenstars ihr Publikum begeistern, versteht sich fast von selbst. Insbesondere wenn sich ein berühmter Pianist oder eine aussergewöhnliche Geigerin dazugesellen.
Allein schon der Auftritt war spektakulär: Knallroter Mantel über schwarzem Kleid, dazu ebenso knallrote Pantoffeln, die sie flugs abstreifte, bevor sie zu spielen begann. Barfuss auf der Bühne – ganz klar, das ist Patricia Kopatchinskaja, die damit die Klangwellen physisch spürt und auf der Bühne geerdet ist.
Es ist das vorletzte Konzert des diesjährigen Lucerne Festivals und sie spielt Bela Bartoks Violinkonzert Nr. 2, begleitet wird sie vom Budapest Festival Orchestra unter der Leitung von Iván Fischer. Für Patricia Kopatchinskaja ist dieses Werk sicher auch mit heimatlichen Gefühlen verbunden. Klänge des Balkans, Spuren alter Bauernmusik, Reminiszenzen an ihre alte Heimat Moldau. Und das Publikum ist neugierig und lässt sich gern entführen in die Klangwelten des Balkans.
Konzerte quer durch die Stadt
«Neugier» so lautete dieses Jahr auch das Motto des Lucerne Festivals und jetzt zum Abschluss zieht man in Luzern eine höchst erfreuliche Bilanz: 81’000 Besucherinnen und Besucher kamen an 34 Tagen zu 158 Veranstaltungen ins KKL, in die Lukaskirche, ins Theater und an verschiedene öffentliche Plätze.
Grund zum Feiern hatte dieses Jahr auch die Lucerne Festival Academy, die vor 20 Jahren noch von Pierre Boulez und Intendant Michael Haefliger gegründet wurde und seit 2016 unter der Leitung des deutschen Komponisten Wolfgang Rihm stand. Kurz vor Beginn des Festivals ist Wolfgang Rihm allerdings am 27. Juli verstorben.
Im Mittelpunkt des Lucerne Festivals stehen die grossen Orchester. Allen voran das Lucerne Festival Orchestra, das 2003 noch von Claudio Abbado mitbegründet und bis zu dessen Tod 2014 geleitet wurde. Nachfolger wurde Riccardo Chailly, der auch dieses Jahr wieder mit dem Orchester auftrat, «sein» Orchester aber auch zwei anderen Dirigenten überliess: Yannick Nézet-Séguin und Klaus Mäkelä. In fast täglichem Wechsel standen die international bedeutendsten Orchester auf der Bühne des KKL, eine Vielfalt und Besonderheit, die kaum ein anderes Festival zu bieten hat.
Wagner historisch informiert
Einer der Höhepunkte des diesjährigen Lucerne Festivals dürfte für viele Richard Wagners «Walküre» gewesen sein. Konzertant, unter der Leitung von Kent Nagano, spielten das Dresdner Festspielorchester und Concerto Köln diesen zweiten Teil des «Ring der Nibelungen» in einer historisch informierten Aufführung, die auf aktuellen Erkenntnissen der Wagner-Forschung beruht. Man hört Wagner so, wie er zu Wagners Lebzeiten und unter seiner Leitung wahrscheinlich tatsächlich geklungen hat.
Vorausgegangen waren für Kent Nagano einige Jahre der Forschung. Den Anstoss hatte das Orchester Concerto Köln gegeben, das auf alte Musik im Originalklang spezialisiert ist.
Warum, so fragten sie Kent Nagano, warum nicht nur alte Musik, sondern auch die neuere auf ihren Originalklang hin erforschen? «Es waren mehr als vier Jahre Vorbereitung und Research», so Nagano. «Es waren geradezu forensische Studien. Wagner hat ja sehr viel über seine Absichten und Vorstellungen geschrieben, das haben wir alles studiert. Auch die Art der Instrumente haben wir erforscht. Es war wirklich eine spannende Übung … Die damaligen Instrumente klangen viel transparenter. Oder die Auswahl der Sänger: Bei der Auswahl der Stimmen war Wagner die Textverständlichkeit wichtig, nicht die ‘grosse’ Stimme.» Nach diesen Kriterien haben Kent Nagano, Concerto Köln und das Dresdner Festspielorchester nun auch die «Walküre» aufgeführt. Und tatsächlich: Wenn man im Publikum sitzt, hört man einen raueren Wagner, einen schlankeren Klang und man versteht den Text besser. Zumindest akustisch … denn Wagners Sprache bleibt mitunter rätselhaft und eigenwillig. Auch, oder gerade weil man sie nun besser hört …
Vogelgezwitscher
Beinahe 20’000 Musikfans haben im KKL oder anderen Orten insgesamt 71 Gratis-Veranstaltungen besucht. Viele Neugierige kamen schliesslich auf dem Europaplatz vor dem KKL in den Genuss eines Pop-up-Konzerts: Mitglieder des Lucerne Festival Orchesters spielten nach dem Konzert von Vivaldis «Vier Jahreszeiten» im KKL auf dem Europaplatz gleich weiter: «Spiel für Vögel» hiess es dann und rund 1’600 Passanten und Konzertbesucher hatten ihr Vergnügen am unverhofften Open-Air-Event, wo Vogelstimmen erklangen und Pflanzen mit Origami-Vögeln geschmückt waren, die von Schulkindern aus der Region Luzern gefaltet worden waren. Ein paar Vögel haben sicher auch in den Bäumen zugehört, profitiert haben aber auch viele andere Vögel: Lucerne Festival spendete CHF 15’000 an “BirdLife Luzern”.
Zu einem Gezwitscher der besonderen Art ist es schliesslich beim Abschluss des Lucerne Festivals am Sonntag gekommen: Nicht weniger als 270 Mitwirkende waren auf der Bühne, um unter der Leitung von Alan Gilbert die Gurre-Lieder von Arnold Schönberg aufzuführen: das waren das Orchester der Elbphilharmonie, das NDR-Vokalensemble, zwei Rundfunk-Chöre und mehrere Solisten. Ebenso wohlgefüllt wie die Bühne waren die Publikums-Ränge bis zuoberst hinauf unters Dach.
Mehr geht nicht.