Mit diesem medialen Vorstoss wird die Tradition der Panama-Papers, Paradise-Papers sowie der Offshore-Leaks fortgesetzt, mit verheerenden Folgen für den bereits angeschlagenen Ruf des internationalen Bankwesens.
Zwei Millionen geheime Datensätze der US-Geldwäschereibehörde
Weltweit über 108 Medienhäuser sind Teil des ICIJ. Im Zentrum der neuesten Enthüllungen steht BuzzFeed.News. Diesem Medienunternehmen ist es gelungen, der US-amerikanischen Anti-Geldwäschereibehörde FinCEN zwei Millionen geheime Datensätze zu entwenden.
Zu den europäischen Medienpartnern gehören neben der Süddeutschen Zeitung, dem NDR und dem WDR auch Tamedia in der Schweiz, ORF aus Österreich, Le Monde aus Frankreich und L’Espresso aus Italien. Ebenso sind Medien aus Polen, Irland, Norwegen, den Niederlanden und Spanien vertreten.
Mehr als 400 Journalisten haben 16 Monate lang in dem Datenschatz recherchiert und verdächtige Zahlungen in Höhe von 2’000 Milliarden Dollar aus den Jahren 2000 bis 2017 ausgewertet.
Sind geheime Daten in den USA nicht mehr sicher?
FinCEN hat 20 Tage vor der weltweiten Verbreitung der Daten gewarnt, die Publikation von geheimen SAR-Meldungen, also über Suspicious Action Reports, sei ein Verbrechen, welches die nationale Sicherheit der USA gefährden könne. Trotz dieser Warnung wurden die geheimen Daten weltweit weitergeleitet. In der neuen digitalen Welt gibt es keine Geheimnisse mehr. Nicht nur im Anti-Money-Laundering-Bereich häufen sich weltweit unerklärliche Lecks.
Wie funktioniert der weitweite Kampf gegen Geldwäscherei?
Mitte der Neunzigerjahre des letzten Jahrhunderts entstanden weltweit Geldwäscherei-Gesetze, so auch in der Schweiz. Zuerst waren die Regeln voller Lücken und Mängel. Viele intelligente und gutmeinende Köpfe versuchten Schritt für Schritt, die Lücken zu füllen. Heute werden Liegenschaften-, Kunst- und Schmuckhandel sowie weitere bislang nicht erfasste Bereiche an die Kandare genommen. Ein fein geknüpftes Netz erstreckt sich nun über das gesamte Finanzwesen. Von einem zufriedenstellenden weltweiten Ansatz kann aber keine Rede sein.
Die Crux ist die Umsetzung der gesetzlichen Regeln
Ob Geld einen kriminellen Ursprung hat, sieht man dem Bankauftrag für eine Überweisung nicht an. Die Banken können erst dann erkennen, ob Geld gewaschen wird, nachdem sie alle Facetten des Grundgeschäfts einer Transaktion analysiert und überprüft haben. Aber auch dann bleiben häufig Fragen offen.
Compliance-Abteilungen leisten von ihrer Funktion her Detektei- und akribische Polizeiarbeit. Auch ohne grenzüberschreitende Überweisungen sind solche Abklärungen heikel. Im internationalen Bankverkehr, bei dem verschiedene Kulturen, Rechtssysteme und Sprachen kollidieren, ist dies eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Die Compliance-Leute sind oft im Zweifel, haben einen Verdacht, aber zu wenig Beweismittel, um mit Sicherheit einen kriminellen Ursprung der Gelder zu erkennen.
Mission impossible
Praktisch jeder indische Konzern unterhält Briefkastenfirmen auf der Steuerinsel Mauritius. Wie soll eine Schweizer Bank, so tüchtig sie auch sein mag, herausfinden, woher der Kaufpreis für die Übernahme einer Schweizer Gesellschaft originär stammt? Mission impossible.
2017 berichtete der Spiegel, 20 Milliarden US-Dollar Schwarzgeld seien aus Russland in die EU geflossen. Luxusartikel wie Rolex-Uhren, getunte Autos und Designermode hätten für das Waschen von Schwarzgeld hergehalten. Ist ein solcher Skandal Folge von Globalisierung und Grenzöffnungen?
Meldungen über verdächtige Geldwäscherei-Aktionen
Bei Unsicherheit und in klaren Fällen sehen die weltweiten Regeln zur Bekämpfung von Geldwäscherei vor, dass die Banken verdächtige Transaktionen den Behörden melden. Diese klären den Sachverhalt weiter ab und müssen entscheiden, ob sie den Fall an Strafverfolgungsbehörden weiterleiten oder nicht.
2019 erhielt die schweizerische Meldestelle für Geldwäscherei-Verdachtsfälle (MROS) ca. 7’700 Meldungen. Fast die Hälfte dieser Fälle leitete sie an Strafverfolgungsbehörden weiter.
Die über das letzte Wochenende an Journalisten weitergeleiteten Suspicious Action Reports aus den USA sind lediglich eine Auswahl von nur 2’000 Meldungen. Diese sollen gerade einmal 0,02 Prozent aller Verdachtsmeldungen an die US-Behörde FinCEN ausmachen.
Auch Schweizer Banken sind in den FinCEN-Files
Auch Schweizer Banken sind in den Files der US-amerikanischen Anti-Geldwäschereibehörde FinCEN erwähnt, nämlich UBS, CS, Vontobel, Raiffeisen, Pictet, Julius Bär, J. Safra Sarasin und Zürcher Kantonalbank. International hat dies jedoch keinen Widerhall gefunden, es scheint sich um kleinere Fälle zu handeln.
Neben zahlreichen Berichten in der globalen Presse erschienen diese Woche auch in der Schweiz zahlreiche Folgeartikel. „Unser ganzer Instrumentenkasten versagt“, stellt Daniel Thelesklaf, Ex-Chef der Schweizer Geldwäscherei-Bekämpfungsbehörde, frustriert fest. Er sagt: „Unsere Abwehr funktioniert nicht“, und plädiert im Tages-Anzeiger für eine weitere Verschärfung des Geldwäschereigesetzes, das zurzeit im Parlament diskutiert wird.
Die schweizerische Gesetzgebung über Geldwäscherei segelt unter dem Namen „Bundesgesetz über die Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung“. In anderen Worten: Die Banken werden auch zur Terrorismusbekämpfung eingesetzt. Ein bisschen viel auf einmal für private Organisationen, die neben ihrer Detektivarbeit auch noch Gewinn machen müssen.
Die Macht des investigativen Journalismus
Die Financial Times hat diese Woche den seit 25 Jahren tiefsten Aktienkurs der HSBC beklagt. Der Kurssturz sei auf die Medienberichte des ICIJ zurückzuführen.
Der Spiegel berichtete am Montag: Nach internationalen Medienberichten über erhebliche Versäumnisse bei der Bekämpfung von Geldwäsche sei der Aktienkurs der Deutschen Bank regelrecht eingebrochen.
Die vierte Gewalt hat mit dieser koordinierten Rechercheaktion die internationalen Aktienmärkte bewegt. Die politische Abrechnung wird nicht auf sich warten lassen.
„Mehr Banker ins Gefängnis“
Die Süddeutsche Zeitung beschreibt die FinCEN-Files wie folgt: „Was haben die Deutsche Bank, der Cousin von Wladimir Putin und der vermutlich gefährlichste Mafiaboss der Welt gemeinsam? Sie alle tauchen in einem neuen Leak auf, den FinCEN-Files. Diese geheimen Dokumente aus dem US-Finanzministerium zeigen: Banken und Behörden versagen auf ganzer Linie, wenn es darum geht, Verbrecher am Geldwaschen zu hindern.“
Die Süddeutsche fordert weiter: „Es müssten mehr Banker ins Gefängnis.“ Der britische Geldwäscherei-Experte Graham Barrow hält fest, nicht nur die Banken hätten wieder und wieder versagt, sondern auch Wirtschaftsprüfer, Anwälte und Behörden.
Metamorphose der Finanzinstitute
Ein Schritt zurück: Banken definierten sich bis vor 50 Jahren als Institute, welche Spargelder entgegennehmen und Kredite gewähren. Die Verwaltung von fremden Vermögen, also das sogenannte Ausserbilanzgeschäft, entwickelte sich später. Je grösser das akquirierte Vermögen, desto grösser der Ertrag für die Bank. Die Akquisition von ausländischen Vermögenswerten setzt die Prüfung des Ursprungs der Gelder voraus. Mit dem Aufkommen der Grosscomputer und der anschliessenden weltweiten Vernetzung, kombiniert mit der explodierenden Globalisierung, nahm der grenzüberschreitende Zahlungsverkehr zudem enorm zu.
Bis zur Globalisierung lautete eine goldene Regel des Bankwesens: Banken müssen sich um die Grundgeschäfte, welche hinter den Zahlungen stecken, nicht kümmern.
Der Kampf gegen die Geldwäscherei änderte dies grundlegend.
Warum sind die Banken in der Falle?
Ob Geld gewaschen wird, können Banken erst erkennen, sobald das Grundgeschäft einer Transaktion seriös analysiert und überprüft ist. Aufgrund der grossen Anzahl der Transaktionen ist dies vom Schreibtisch aus eine Herkulesaufgabe. Die Banken verschieben durch die Verdachtsmeldungen die Verantwortung an die Behörden. Damit ist das Problem aber nicht gelöst.
Pecunia non olet, sagte man im alten Rom. Lassen wir offen, ob Geld stinkt oder nicht. Auf jeden Fall sieht man es ihm nicht an. Das ist das Grundproblem des Kampfes gegen das Waschen von Geld.
Ein bisschen viel verlangt
Trotz grosser Anstrengungen der Financial Action Task Force (FATF), Paris, die der OECD nahesteht und als globaler Wachhund das Geldwaschen und die Finanzierung von Terroristen verhindern muss, kann keine Rede von Erfolg sein angesichts der ständigen Skandale. Die FATF ist weiter zuständig für die koordinierte globale Antwort auf organisierte Kriminalität, Korruption, Terrorismus und Menschenhandel. Sie sollte zusätzlich die Finanzierung von Massenvernichtungswaffen verhindern. Ein bisschen viel verlangt.
Investigative Journalisten haben sich nun den Kampf gegen die Geldwäsche auf ihre Fahne geschrieben. Das ist lobenswert. Werden sie mehr Erfolg haben, nachdem private Banken, Staaten und die zwischenstaatliche Organisation FATF kaum einen Schritt weitergekommen sind? Es bleibt eine sehr grosse Herausforderung für alle, denn der kriminellen Energie und Phantasie von Wirtschaftsbetrügern scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein.