Gerunzelte Stirnen bei Finanzorakeln, die normalerweise jedes Wort auf die Goldwaage legen. Aber in seltener Einmütigkeit sehen die Notenbankchefs Bernanke, Trichet und Hildebrand düster in die nahe Zukunft – und sagen es auch. Die neue Chefin des IWF, Christine Lagarde, bezog noch vor Kurzem verbale Prügel von notorischen Dummschwätzern, als sie den dramatischen Zustand des europäischen Bankensystems anprangerte. Nachdem die belgisch-französische Bank Dexia in die Rolle von Lehman Brothers geschlüpft ist, herrscht inzwischen betroffenes Schweigen.
Bekanntlich sind Aussagen von Politikern, Bankbilanzen, Rettungsschirme und ein Meer von aufgeschäumten Wortblasen völlig ungeeignet und untauglich, um den Ernst der Lage zu verstehen. Der einfachste und klarste Index, um die Dimension und das Ausmass der Gefahr des nächsten Crashs zu messen, lässt sich aus einem Derivategebastel ableiten. Den sogenannten CDS, das steht für Credit Default Swaps, das sind im Grunde Kreditausfallversicherungen.
Nichts Neues unter der Sonne
Also welche Prämie muss ich bezahlen, um das Risiko eines Totalschadens zu versichern, wenn ich beispielsweise einem Staat oder einer Bank Geld leihe. Bei Griechenland hat diese Prämie bereits eine lachhafte Höhe erreicht, aber mit der Frage, ob die Hellenen Pleite sind oder nicht, muss man sich ja nicht mehr ernsthaft beschäftigen. Interessanter ist die Tatsache, dass die CDS-Prämie für an eine europäische Bank verliehenes Geld bereits eine Höhe erreicht hat, wie man sie vom Herbst 2008 kennt. Als die Pleite von Lehman Brothers bekanntlich den Startschuss zur Finanzkrise 1 gab.
Kleiner Rückblick: Anfang 2010, als die Öffentlichkeit langsam zur Kenntnis nahm, dass Griechenland anscheinend ein kleines Finanzproblem habe, befanden sich 100 Prozent der griechischen Staatsschulden in privater Hand. Sie lagen bei Banken, Investmentfonds, institutionellen Anlegern und wagemutigen Privatinvestoren. Als erster Akt der sich wiederholenden Tragödie wurden diese Papiere dann in immer bedeutenderen Tranchen sozusagen ins Allgemeineigentum überführt und absurderweise von der Europäischen Zentralbank aufgekauft.
Privatisierung der Gewinne, nämlich das Einstreichen höherer Zinsen durch die Investoren, Vergesellschaftung der Verluste; die Garantie für absaufende Staatsschuldpapiere wurde dem europäischen Steuerzahler aufs Auge gedrückt. Soweit nichts Neues unter der Sonne, das hatten wir 2008 auch schon mal. Aber leider haben auch alle drei Sprengstoffkomponenten überlebt, mit denen finanzielle Massenvernichtungswaffen gebaut werden. Gratisgeld, virtuelle Derivatewetten und der Hebel.
Explosiver als Dynamit
Gratisgeld, also die Möglichkeit für Banken, sich faktisch zinsfrei Geld leihen zu können, pumpt Blasen auf. Die Existenz eines virtuellen Zockercasinos, in dem mit Billionenbeträgen Wetten auf die Zukunft abgeschlossen werden können, ohne dass dabei die geringste Wertschöpfung entstünde, aber Milliardenboni abgegriffen werden, ermöglicht die Fortsetzung des grössten Bankraubs aller Zeiten. Und das Versagen aller Regulierungsbehörden erlaubt es den Bangstern, mit einem minimalen und erst noch risikogewichteten Eigenkapital Finanzräder zu drehen, die um den Faktor 40 und mehr grösser als das Eigenkapital sind. Dadurch sind die Akteure von jeder Haftung befreit. Und ein Spieler im Casino, der für seine Einsätze nicht haften muss, zockt auf Teufel komm raus. Die Mischung dieser drei Bestandteile ist explosiver als Salpetersäure, Schwefelsäure und Glyzerin. Dieses Dynamit wurde früher von Stümpern bei einem Bankraub eingesetzt.
Bis hierher handelt es sich um eine banale Wiederholung der jüngsten Geschichte. Zurzeit ist noch unklar, ob die bankrotte Bank Dexia diesmal der Funke an der Lunte ist oder ob ein anderes Ereignis das Finanzsystem in die Luft sprengt. Aber es gibt einen wesentlichen Unterschied zu 2008. Schon damals bedenklich überschuldete Staaten hatten immerhin die Finanzkraft, mit Multimilliarden Steuergeldern das völlig aus dem Ruder gelaufene Zockercasino namens modernes Banking vor dem Sturz in den Abgrund zu retten.
Und der Vertrauens-Faktor
Inzwischen trauen ja die meisten Anleger zu Recht Staatsschuldpapieren nicht mehr über den Weg. Deshalb kaufen wichtige Notenbanken wie das Fed in den USA und die EZB in Europa ihre eigenen Schuldpapiere in immer grösseren Dimensionen gleich selbst wieder auf. Ein übler Taschenspielertrick, der nicht lange gutgehen kann. Ich drucke einen Schuldschein und kaufe ihn mir selber ab, indem ich einen neuen Schuldschein drucke. Das vergrössert lediglich den Sprengkrater, sonst bewirkt es nichts.
Ein Gläubiger heisst so, weil er dem Schuldner glaubt, dass der das geliehene Geld auch wieder zurückzahlt. Vertrauen ist die Basis jedes Geldgeschäfts. Auf Vertrauen gründet jede Bank. Da sich die Banker aber gegenseitig kennen, trompeten sie diesen Begriff ihren Gläubigern zwar ständig in die Ohren, aber keine Bank traut mehr der anderen. Das lässt sich daran messen, dass das Interbanking-Geschäft, kurzfristige Geldausleihe von einer Bank zur anderen, inzwischen weitgehend zum Erliegen gekommen ist. Wie im Herbst 2008. Damals pumpten die Staaten Geld in diesen Markt. Aber wer vertraut heute noch Staaten?