Zwei kürzlich publik gemachte Untersuchungen unterstellen Russland, im Kampf gegen den Westen kaum mehr Grenzen zu kennen. Der russische Geheimdienst hat laut Medienberichten möglicherweise über 100 amerikanische Staatsangestellte mit Schall- oder Mikrowellen teilweise schwer verletzt. Ausserdem soll Russland Politiker aus mindestens sechs EU-Ländern bestochen haben. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, wären vor allem die USA gezwungen zu reagieren.
«Wenn meine Mutter gesehen hätte, was ich gesehen habe, würde sie sagen: ‘Das sind die Russen, du Dummkopf.’» Diese Aussage machte Greg Edgreen in einer Ende März ausgestrahlten Sendung des US-Fernsehmagazins «60 Minutes». Bis vor kurzem leitete Edgreen für das amerikanische Verteidigungsministerium Untersuchungen über mysteriöse neurologische Verletzungen von US-Behördenmitgliedern. Er ist davon überzeugt, dass seine Landsleute heimlich mit Ultraschall- oder Mikrowellenwaffen bestrahlt wurden. Hätten Laien wie seine Mutter Zugang zu den Unterlagen, würden sogar sie erkennen, dass Russland hinter den Angriffen stecke, bringt Edgreen seine Überzeugung auf den Punkt.
Auch der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte sprach kürzlich über die Gefahr, die von Russland ausgeht. Russische Operationen in Europa seien «eine Bedrohung für unsere Demokratie, für unsere freien Wahlen, für unsere Meinungsfreiheit …», sagte er zu Journalisten in Den Haag. Rutte reagierte auf Meldungen, dass ein von Russland organisiertes Netzwerk Politiker in mehreren EU-Ländern bestochen habe, um russische Interessen zu vertreten.
Aus der Vielzahl an Berichten über Russlands Einfluss- und Geheimdienst-Operationen im Westen stechen zwei kürzlich publik gemachte Untersuchungen heraus. Sie legen nahe, dass Russland bei der Bekämpfung und Beeinflussung des Westens bereit ist, fast jede Linie zu überschreiten. Besonders der Vorwurf, dass Russland amerikanische Behördenmitglieder verletze, wiegt schwer. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, wäre die USA gezwungen zu reagieren.
Die Bestechungen
Am 27. März schrieb der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala in den sozialen Medien, dass eine Operation Russlands zur Unterwanderung mehrerer EU-Staaten aufgedeckt worden sei. Laut dem tschechischen Nachrichtendienst hat ein pro-russisches Netzwerk in Prag die Nachrichtenplattform «Voice of Europe» betrieben, um die politischen Prozesse in der EU zu Gunsten Russlands zu beeinflussen.
Spektakulär an der Enthüllung ist nicht die eigentliche Verbreitung pro-russischer Medieninhalte über «Voice of Europe». Für Aufregung hat der Vorwurf gesorgt, dass «Voice of Europe» auch als Vehikel zur Bestechung von europäischen Politikern benutzt worden sei. Gemäss der tschechischen Tageszeitung Deník N haben Politiker aus Deutschland, Frankreich, Polen, Belgien, den Niederlanden und Ungarn von «Voice of Europe» Bargeld und Bitcoin-Zahlungen erhalten, um Russlands Interessen in der EU zu vertreten.
Wer die mutmasslich bestochenen Politiker sind, wurde bisher nicht bekannt gegeben. Doch es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis mehr Details an die Öffentlichkeit gelangen. Ein erster Name ist bereits durchgesickert: Petr Bystron. Laut der Zeitung «Deník N» würden Tonbandaufnahmen im Besitz des tschechischen Nachrichtendienstes belegen, dass der Bundesdestagsabgeordnete Geld erhalten habe. Der AFD-Politiker dementierte die Vorwürfe.
Neurologischen Schäden
Wenige Tage nach den Enthüllungen aus Prag platzte die nächste Bombe. Die Investigativ-Plattform «The Insider», das US-Fernsehmagazins «60 Minutes» und die Zeitschrift «Der Spiegel» veröffentlichten eine Recherche über mutmassliche Attacken auf Mitarbeiter von US-Behörden. Die Medienberichte legen nahe, dass der russische Geheimdienst seit 2014 in verdeckten Operationen weit über 100 Amerikaner, vor allem Botschaftsmitarbeiter, Militärangehörige und Agenten, mit Ultraschall- oder Mikrowellen bestrahlt hat. Die Betroffenen erlebten plötzliche Schmerzattacken und viele von ihnen haben seit den vermuteten Attacken Hirnschäden und sind nicht mehr arbeitsfähig.
Neben ähnlichen Krankheitssymptomen wie rasenden Kopfschmerzen, Gleichgewichtsstörungen, Schwindel und Einschränkungen des Hör- und Sehvermögens haben die meisten Geschädigten auch gemeinsam, dass sie sich für US-Behörden mit Russland beschäftigt haben. Der Verdacht, dass russische Geheimdienste etwas mit den Vorfällen zu tun haben, stand deshalb schon länger im Raum. Doch ein gemeinsamer Bericht von sieben US-Nachrichtendiensten vom März 2023 kommt zum Schluss, dass eine Beteiligung eines fremden Staates unwahrscheinlich sei.
Die Medien-Enthüllungen ziehen den Nachrichtendienstbericht nun in Zweifel. Die Investigativ-Plattform «The Insider» schreibt, Indizien würden nahelegen, dass die Einheit 29155 des russischen militärischen Geheimdienstes für die Anschläge verantwortlich sei. Die Einheit ist auf Mordanschläge, Sabotage und Destabilisierung-Kampagnen im Ausland spezialisiert und Mitglieder der Einheit seien auch an der Entwicklung von akustischen Waffen beteiligt gewesen. Die Medienberichte zeigen auch, wie verschiedene Mitglieder der Einheit 29155 wiederholt an Orte gereist sind, an denen kurze Zeit später Amerikaner mit neurologischen Schäden zusammenbrachen. Geschädigte erkannten auf Fotos auch einzelne Mitglieder der Einheit 29155 wieder, die kurz vor den vermeintlichen Anschlägen die Häuser der Amerikaner auszukundschaften schienen.
Die Folgen
Trotz der veröffentlichten Indizien, die auf eine Verwicklung Russlands in die Attacken hindeuten, reagierte die Pressesprecherin des Weissen Hauses in ersten Stellungnahmen zurückhaltend. Doch Aussagen wie die vom früheren Ermittler Greg Edgreen, dass die Trump- und Biden-Administration nicht wahrhaben wolle, dass Amerikaner angegriffen werden, bringt die Regierung unter Druck. Die US-Senatorin Jeanne Shaheen forderte bereits, dass die US-Nachrichtendienste ihre Bewertung der Vorfälle überprüfen.
Zu den Enthüllungen über die möglichen Bestechungen europäischer Politiker durch Russland meinte die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Věra Jourová, gegenüber dem Fernsehsehnder CNN: «Das ist lediglich die Spitze des Eisbergs … es zeigt, dass Russland alle möglichen Kanäle zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung in der EU benutzt.» Doch die EU-Behörden seien bereit, den russischen Beeinflussungskampagnen verstärkt entgegenzutreten.