Die ägyptische Geheimpolizei geht im Prinzip geheim vor. Doch zurzeit agiert sie derart rücksichtlos, dass einzelne ihrer Übergriffe bekannt werden und Empörung unter den Ägyptern auslösen. Kürzlich wurde ein Polizeibeamter überführt und bestraft, weil er einen Taxichauffeur erschossen hatte. Die beiden waren wegen des Fahrgeldes in Streit geraten.
Doch dies hinderte einen anderen Polizeibeamten nicht daran, einen Teeverkäufer zu erschiessen und einige Passanten zu verwunden, weil der Tee nach Ansicht des Polizisten zu teuer war. Eine aufgebrachte Menge lief Sturm gegen den Polizisten. Das Innenministerium erklärte später, der Verantwortliche sei festgenommen worden.
Am Strassenrand "entsorgt"
Kurz darauf wurde ein Aktivist namens Khaled Abdul Rahman bewusstlos aber noch lebend am Strassenrand einer Ausfallstrasse gefunden, die von Kairo in die Wüste führt. Am Tag zuvor war er mit Dutzenden anderen Demonstranten bei Polizeirazzien festgenommen worden. Die Aktivisten hatten eine Demonstration gegen den „Verkauf“ zweier ägyptischer Inselchen in der Meerenge von Tiran an Saudi-Arabien geplant. Bevor diese Manifestation stattfand, schlugen die Polizeibeamten zu und nahmen die Aktivisten fest. Im Mai sind nun neue Demonstrationen geplant.
Khaled Abdul Rahman befindet sich in der Intensivstation eines Spitals in Alexandria. Er war so schwer gefoltert worden, dass die Polizisten offenbar glaubten, er sei tot. Deshalb „entsorgten“ sie ihn am Rande der Wüstenstrasse.
Die mutige Schwester
Die Schwester des Gefolterten, Reema Abdul Rahman, schrieb auf Facebook, der ganze Körper ihres Bruders sei übersät mit Verletzungen, die von Schlägen und Folterungen herrührten. Die elektrischen Schläge, denen seine Geschlechtsteile ausgesetzt wurden, seien so heftig gewesen, dass diese anthropiert seien.
Die Schwester beweist grossen Mut, solche Details auf Facebook zu veröffentlicht. Sie riskiert ebenfalls Übergriffe der Polizei.
Reuters zitiert Zeugen
Die Nachrichtenagentur Reuters zitierte sechs Zeugen, die berichteten, der italienische Student Giulio Regeni, der am 25. Januar verschwand und zehn Tage später auf einer Wüstenstrasse tot aufgefunden wurde, sei von der Polizei festgenommen und zu Tode gefoltert worden. Der Tod Regenis hatte zu einem diplomatischen Zwischenfall zwischen Ägypten und Italien geführt. Die ägyptische Polizei hatte unterschiedliche und widersprüchliche Versionen über den Tod des Studenten vorgebracht. Das ägyptische Innenministerium stritt energisch ab, dafür verantwortlich zu sein.
Das Ministerium reagierte auf die Informationen von Reuters, indem es gegen den Kairoer Bürochef der Agentur Klage erhob. Laut Angaben der Zeitung "Al-Masri al Yaum" wird Reuters die "Verbreitung falscher Informationen in der Absicht, den Frieden zu stören und das Ansehen Ägyptens zu schädigen" vorgeworfen.
Aktive Militärgerichte
In den letzten 18 Monaten sind in Ägypten 7'420 Zivilpersonen von Militärgerichten abgeurteilt worden. Dies berichtet die international tätige amerikanische nichtstaatliche Organisation "Human Rights Watch" in einem neuen Bericht. Die Aburteilungen fanden aufgrund eines Gesetzes statt, das Präsident al-Sisi im Oktober 2014 dekretiert hatte.
Das Dekret stellt alle öffentlichen Einrichtungen unter die Obhut des Militärs. Zivilpersonen, also auch Demonstranten, die in der Öffentlichkeit manifestieren, können Vergehen gegen öffentliche Einrichtungen vorgeworfen werden. Deshalb könnten sie Militärgerichten übergeben werden.
327 Angeklagte auf einmal verurteilt
Human Rights Watch hat nach eigenen Angaben 324 Militärprozesse untersucht. In vielen von ihnen seien mehrere Personen gleichzeitig abgeurteilt worden. Human Rights Watch nennt als Beispiel einen Prozess, in dem 327 Angeklagte auf einmal verurteilt wurden. Auch 86 Kinder mussten sich vor Militärgerichten verantworten, ebenso Studenten, Professoren, politische Aktivisten und Angehörige der Muslimbrüder. Die meisten Angeklagten wurden zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Viele von ihnen erklärten, sie seien gefoltert worden. Human Rights Watch bezweifelt die Unabhängigkeit und Unvoreingenommenheit der Richter.