Ein Satz nur, aber gewaltig in seiner Wirkung, prägt Schillers Drama Don Karlos. Noch gewaltiger wirkt das Wort des Marquis von Posa an Philipp II. aber in Verdis grösster Oper «Don Carlos». Eindringlich zu erleben derzeit im Theater Basel.
An diesem Musikdrama hat Giuseppe Verdi jahrelang gefeilt. Der Auftrag, bis 1867 eine grosse Oper für Paris in französischer Sprache zu komponieren, behagte Verdi eigentlich nicht – obwohl es natürlich eine Herausforderung für ihn war. Er überarbeitete sie mehrmals und schuf, wen wundert’s, noch im gleichen Jahr eine italienische Fassung. Auch diese wurde mehrmals überarbeitet. Heute muss sich ein Opernhaus für eine der insgesamt sieben Fassungen entscheiden, wobei die meist aufgeführte, fünfaktige letzte französische Version dramaturgisch weit stimmiger ist als die meist um einen Akt verkürzten italienischen Fassungen.
Bühnenbild als futuristisches Kunstwerk
Das Theater Basel entschied sich denn auch – und das nach einer eigenen Haus-Inszenierung von 2006 schon zum zweiten Male – für diese französische Fassung. Ein grossteils noch zur jüngeren Theatergeneration zählendes Team um den französischen Regisseur Vincent Huguet durfte in der Umsetzung von der Erfahrung und dem Können eines Altmeisters der Bühnenbildnerei, des Italieners Richard Peduzzi, profitieren.
Und wie! Das einfach wirkende, durchwegs in dunkleren Rottönen gehaltene Bühnenbild ist ein Kunstwerk futuristischer Prägung. De Chirico hätte es nicht grossartiger gestalten können. Es sagt alles aus über das düstere Zusammenspiel geballter Macht, welche als Mauer hinter all den menschlichen Regungen drohend und manchmal rotglühend aufragt und sie zu erdrücken scheint.
Die Inszenierung Huguets widmet sich nicht nur der dramatisch gescheiterten Liebesbeziehung des Infanten Carlos zu seiner, ihm plötzlich zur Stiefmutter gewordenen, Verlobten Elisabeth Valois, Tochter des französischen Königs. Huguet legt grossen Wert auf die in der Oper behandelten geschichtlichen Zusammenhänge innerhalb der Regierungszeit von Philipp II., dem Sohn von Karl V., jenes Habsburger Herrschers, «in dessen Reich die Sonne niemals unterging».
Aus dem im Religionsstreit aufbegehrenden Flandern erwächst diesem absoluten Herrscher denn auch der Widerstand. Er zeigt sich in jener Stimme, die für das flandrische Volk im allgemeinen und so auch für die zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilten Ketzer im Besonderen eintritt: der unerschrockene Rodrigue, Marquis von Posa. Er ist es, der dem Potentaten jenen bedeutungsschweren Satz von der Gedankenfreiheit entgegenschleudert. Umsonst natürlich. Posa – eine der schönsten Bariton-Partien Verdis überhaupt – ist jedoch in unauflöslicher Freundschaft mit dem Infanten Carlos verbunden und geht schliesslich auch für diesen in den Tod.
Historische Wirklichkeit und Erfindung
Wenn sich der Regisseur auch einige seltsam anmutende Künstlichkeiten erlaubt, so steckt doch viel Nachdenken und geschichtliches Wissen in den Details. So zeigt er den Infanten im Gespräch mit dem gefürchteten Vater als verängstigtes, eingeschüchtertes Kind. Er kommt damit der historischen Wirklichkeit recht nahe, in welcher Carlos als geistig Behinderter keinerlei Einfluss auf die Politik Philips II. nehmen konnte und elendiglich starb.
Auf der anderen Seite geht die blühende Phantasie des Regisseurs für unseren Geschmack gelegentlich etwas zu weit. Huguet erfindet zum Beispiel eine Tochter der Königin Elisabeth und offenbar auch eine Amme, welch letztere dann pars pro toto anstelle der von Verdi vorgesehenen Reihe von Ketzern in einem Käfig, frei nach Guantanamo, zum Himmel fährt – mehr Gretchen als spanisches Autodafé.
Oder das für alle Regisseure der Welt unlösbare Problem des Schlusses dieser Oper: das unerklärliche Verschwinden von Elisabeth und Don Carlos. Es wird auf eine mehr als seltsame Art «gelöst». Man gibt uns zwar einige Rätsel auf, aber ansonsten weiss die Regie eine durchgängige Handlung stringent und logisch ihrer Klimax zuzutreiben.
Die Kostüme von Camille Assaf sind, mit geschickten historischen Zitaten, eher in der Zeit Verdis verortet denn heutig-modern gehalten und fügen sich schön in das Gesamtbild Richard Peduzzis ein.
Ein grossartiges Verdi-Fest
Der Regisseur wird in seinem Bemühen um authentische Interpretation von einem ebenfalls jüngeren Dirigenten unterstützt, dem Mailänder Michele Spotti. Auch ausserhalb eines Opernhauss würde man nur schon aus dem Klang und der Gestik dieses Dirigenten schliessen: Das ist Italianità! Und diese Frische, diese mitreissende Begeisterung für das Werk prägen denn auch die gesamte Interpretation dieses Basler Abends. Besonders im zweiten Teil arbeitet Spotti mit dem Basler Sinfonieorchester eine seltene Geschmeidigkeit der Gesangslinien und grosse Zartheit heraus – Verdi im besten Sinne!
Die aus aller Welt herbeigeholten, zum Teill namhaften Solisten sowie der wie immer hervorragende Basler Theaterchor liessen sich denn auch mitreissen und bescherten dem begeisterten Premierenpublikum fast fünf Stunden lang ein grossartiges Fest Verdi’scher Prägung. Diese Basler Aufführung dürfte alle Opernfreunde auch weiterhin von den Sitzen reissen. Nicht versäumen!
Alle Bilder: Produktionsfotos Theater Basel © Matthias Baus