Bundesrat Ueli Maurer ortet die Zustimmung der Frauen zur Waffenschutzinitiative bei der Unkenntnissen der Frauen im Umgang mit dem Schiessgewehr. Mit der Aussage, dass die Frauen den Schusswaffen gegenüber nur skeptischer eingestellt seien, weil sie die Waffen nicht kennen und damit nicht umgehen könnten, outet sich Bundesrat Maurer nicht nur als Zyniker, der noch nie etwas von Gewalt an Frauen gehört zu haben scheint, sondern er beweist, dass ihm jedes historische Bewusstsein für die Geschlechterdimension im Zusammenhang mit Krieg, Waffengewalt und Militarismus fehlt.
Ein Blick in die Geschichte
Der Blick in die Geschichte zeigt nämlich, dass die Militärdienstpflicht und der damit einhergehende Zwang, eine Waffe zu tragen von Anfang an mit ganz bestimmten Vorstellungen von Männlichkeit gekoppelt waren. Die Armee galt als Schule der Nation. In dieser Schmiede der Männlichkeit wurden Eigenschaften wie Disziplin, Mut, Stärke, Härte, Tapferkeit, Standfestigkeit und Gehorsam gefördert. Friedfertigkeit, das Aushandeln von tragbaren Lösungen für alle Beteiligten, gehörte nicht dazu. Der Generalstabsoberst Gustav von Däniken brachte 1938 diese Vorstellung mit der folgenden Aussage auf den Punkt: „Das Soldatentum ist höchst potenzierte Männlichkeit, die Erziehung zum Soldaten ist die Erziehung zum Manne“. In dieser Logik galt der Konnex Soldat-Staatsbürger als der tragende Pfeiler der Nation. Frauen waren da nie mit gemeint. Ihnen wurden andere Eigenschaften zugeordnet: hegen, pflegen, heilen, verstehen, dienen. Deshalb war es für konservative Kreise unvorstellbar, die Frauen zum Militärdienst und zum Umgang mit Waffen zu verpflichten. Sie sahen die gechlechterhierarchische Rollenteilung durch den Einbezug der Frauen in die traditionelle Männerdomäne Militär in Gefahr.
Für die Mehrheit der friedenspolitischen und der feministischen Kreise kam der Einbezug der Frauen aus grundsätzlicher Kritik am Militarismus und seinem damit verbundenen Männerbild nicht in Frage
Waffen haben ein Geschlecht
In dieser Tradition ist die Initiative „Für den Schutz vor Waffengewalt“ zu sehen. Die Initiative ist ein pragmatischer Schritt zur Verhinderung des Waffenmissbrauchs und zur Prävention von direkter Gewalt. Weniger Schusswaffen bedeuten eine Gefahr weniger. In der Schweiz sind Schusswaffen nach dem Strassenverkehr das grösste Sicherheitsrisiko, vor allem für Frauen und Kinder. Waffenbesitz ist nicht geschlechtsneutral. Er spiegelt Macht- und somit Geschlechterverhältnisse, er wirkt sich unterschiedlich auf Frauen und Männer aus.
Das wissen wir heute auf Grund von Statistiken und Erfahrungen. Diese werfen ein deutliches Licht auf die ungleichen Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen: Morde werden vor allem von Männern verübt. Jeder zweite Mord in der Schweiz geschieht innerhalb der Familie. Opfer von sogenannten Familien- und Beziehungsdramen sind vor allem Frauen und Kinder; Täter sind in den allermeisten Fällen Männer. In der Schweiz ist das Verhältnis von männlichen zu weiblichen Mordverdächtigen 7 zu 1. Bei 40% der Morde der letzten 20 Jahre in Familien und familienähnlichen Gemeinschaften waren Schusswaffen im Spiel. In mehr als der Hälfte dieser Fälle lag die Tatwaffe zu Hause griffbereit. Je mehr Waffen im Umlauf sind, desto mehr Frauen werden erschossen. Die Wahrscheinlichkeit, dass bei häuslichen Auseinandersetzungen eine Frau ermordet wird, erhöht sich um das Dreifache, wenn eine Schusswaffe greifbar ist. International vergleichende Studien beweisen, dass die physische Sicherheit und das Sicherheitsgefühl steigen, wenn die Verfügbarkeit von Waffen eingeschränkt wird.
Erfahrungen versus Polemik
Dieses Wissen und diese Erfahrungen sind es, die Frauen motivieren, für die Initiative zu sein. Frauen wollen bei Konflikten zu Hause eben nicht mit der „gleichen Waffe zurückschlagen“. Sind keine Schusswaffen im Haus, haben Frauen eine grössere Chance, bei Streit als Akteurinnen aufzutreten und konstruktive Formen der Konfliktbearbeitung zu wählen. Wie wenig darf eigentlich ein Bundesrat im Jahr 2011 von Geschlechtergerechtigkeit und geschlechtsspezifischer Gewalt wissen? Oder weiss er um diese Zusammenhänge und behauptet trotzdem solchen Unfug? Meine Vermutung ist, dass dies Ausdruck des gravierenden Argumentationsnotstandes des Verteidigungsministers gegen die vernünftigen Argumente der Befürworterseite ist. Dann stehen die Chancen auf Annahme der Initiative nicht schlecht!
Cécile Bühlmann, ehem. Nationalrätin, Geschäftsleiterin des cfd (Christlicher Friedensdienst)
Luzern, 4.1.2011