Ein amerikanischer Schlag gegen Syrien wird zunächst nicht stattfinden. Die Welt atmet auf. Obama ist gerettet. Er steht nicht mehr vor dem Risiko eines Prestigeverlustes wegen einer Abfuhr im Kongress, denn dieser wird nicht abstimmen. Doch der Krieg in Syrien dauert an. Der russische Vorschlag, angenommen von den Syrern und "in Betracht gezogen" von den Amerikanern, das syrische Giftgas unter internationale Kontrolle zu stellen, bedeutet zunächst Zeitgewinn für das Asad-Regime und für Russland.
Die Säkularisten des Widerstandes alleine gelassen
Er bringt auch bittere Enttäuschung für den syrischen Widerstand, dessen Kämpfer natürlich gehofft , ja als beinahe sicher angenommen, hatten, die amerikanische Kriegsmacht werde zu ihren Gunsten eingreifen. Eine Gefahr besteht darin, dass diese Enttäuschung den Einfluss der Jihadisten innerhalb des syrischen Widerstandes weiter steigern wird.
Teile der "liberaleren" Gruppen könnten sich ihnen zuwenden, weil sie sich sagen müssen, auf Hilfe der westlichen Mächte sei nicht mehr zu zählen, während die Gelder und Waffen von "islamischer" Seite, zwar spärlicher als erhofft, aber immerhin weiter zu fliessen versprächen.
Ein Plan mit schwieriger Durchführung
Man kann hoffen, dass der russisch-syrische Plan für eine Kontrolle des Giftgases auch wirklich dazu führt, dass das syrische Giftgas tatsächlich unter internationale Kontrolle gestellt oder gar unschädlich gemacht wird. Doch man sollte verstehen, dass dies nicht selbstverständlich aus der gegenwärtigen Initiative folgt.
Es wird äusserst schwierig werden, beinahe unmöglich, die geforderte Kontrolle über das syrische Gas auch wirklich durchzuführen. Über einen Kontrollmechanismus muss zunächst verhandelt werden. Falls ein Übereinkommen erzielt wird, dem alle Seiten zustimmen können - die Russen, die Amerikaner mit Nato Verbündeten und die Asad-Regierung - stellen sich die Probleme der praktischen Durchführung in einem Land, in dem Bürgerkrieg herrscht. Sie werden durch den Umstand verschärft, dass es nicht im Interesse von Damaskus liegen dürfte, eine wirksame Kontrolle oder gar Unschädlichmachung seiner chemischen Waffen zuzulassen.
Zeitgewinn, ja! - aber echte Kontrolle ?
Zeitgewinn bedeutet Aufschub einer amerikanischen Intervention und ist für Damaskus wünschenswert, je länger desto besser. Die Durchführung der angesagten Kontrolle hingegen ist für Damaskus ein Nachteil, wenn sie wirklich geschieht. Damaskus und vermutlich auch seine sowjetischen Freunde und Mentoren werden also versuchen, so viel Zeit zu gewinnen wie möglich, ohne den Prozess zu Ende zu führen. Im Irak dauerten die Inspektionen der vermuteten Massenvernichtungswaffen mit Unterbrüchen und Neueinsätzen 10 Jahre! Dann beendete Bush sie, weil er seinen Irakkrieg unbedingt führen wollte.
Es liegt in den Möglichkeiten der Syrer, mit russischer Hilfe mögliche UNO-Inspektionen, falls solche vertraglich festgelegt werden, beliebig lange hinauszuschieben. Vorwände, um Inspektoren zunächst einmal gar nicht, dann vielleicht nur an ausgewählten Stellen und unter bestimmten Vorbedingungen zuzulassen, können immer gefunden werden. Dies wurde soeben mit den internationalen Fachleuten der UNO für Chemiewaffen durchgespielt. Sie mussten monatelang in Zypern auf Zulassung nach Syrien warten, weil die syrischen Behörden Nachforschungen nur an einem bestimmten Ort zulassen wollten, nicht an den Stellen, von denen kleinere Gasangriffe gemeldet worden waren.
Zeitgrenze? - "ohne Zwang," sagen die Russen
Schon jetzt, bevor die Verhandlungen über die Einzelheiten der Durchführung der geplanten Gas-Kontrolle ernsthaft begonnen haben, zeichnet sich ab: Die westlichen Mächte möchten ein Zeitlimit ansetzen, vielleicht ein paar Monate, innerhalb dessen die Inspektionen zu erfolgen haben. Eine Zeitgrenze impliziert auch, festzulegen, was geschehen würde, wenn sie nicht eingehalten wird. Die westlichen Mächte tönten an, dann müsste der Sicherheitsrat in die Lage versetzt werden, verbindliche Schritte anzuordnen, um die Kontrolle zu erzwingen. Doch Moskau hat schon geantwortet, Zwangsmassnahmen durch den Sicherheitsrat werde es nicht zulassen. Das wiederumentspricht haargenau der bisherigen Politik der Russen.
Kontrollen unter Kriegsbedingungen
Der Umstand, dass die Kontrollen in einem Land durchgeführt werden müssten, in dem Bürgerkrieg herrscht, dürfte diese objektiv sehr erschweren und kann gleichzeitig auch als Vorwand benützt werden, um solche Kontrollen einzuschränken oder zeitweise zu verunmöglichen.
Beobachter der Arabischen Liga, um den damals von allen Seiten theoretisch anerkannten Waffenstillstand "zu beobachten", sind bereits einmal in Syrien gewesen, von Dezember 2011 bis Dezember 2012, und mussten unverrichteter Dinge wieder abziehen, weil der vereinbarte Waffenstillstand nie wirklich zustande kam. Natürlich schoben sich beide Bürgerkriegsseiten gegenseitig die Schuld dafür zu. Auch Friedensvermittler des Sicherheitsrates haben bereits vergeblich in Syrien gewirkt.
Glücksfälle sind nicht ausgeschlossen
Man sollte jedoch die Möglichkeit einer Kette von Glücksfällen nicht ganz ausschliessen. Ein optimistisches Szenario lässt sich denken. Es würde auf der Hoffnung beruhen, dass die diplomatische Arbeit, die sich zunächst auf Organisation und Durchführung der Giftgaskantrolle und der möglichen Abschaffung der Chemiewaffen konzentrierte, erfolgreich verliefe und dazu führen könnte, dass diplomatische Ausgleiche auch in anderen Fragen angestrebt und gefunden würden.
Denkbar wäre, dass der russische Einfluss in Damaskus, nun verstärkt durch den russischen Einfall zur Vermeidung eines amerikanischen Schlages, auch dazu dienen könnte, Damaskus zu überreden, einem politischen Ausgleich zuzustimmen. Er könnte etwa darauf abzielen, mit jenen - nun weiter geschwächten - Teilen der Rebellen einen Ausgleich zu suchen, die ein säkulares, ihren Hoffnungen nach demokratisches, Regime anstreben.
Der Kompromiss mit den "Säkularisten" müsste darauf ausgehen, dass Asad noch einmal Wahlen durchführen und versuchen dürfte, sich wählen zu lassen, jedoch unter der Voraussetzung, dass diese Wahlen, (vielleicht unter "internationaler Kontrolle"?) einige Möglichkeiten dafür böten, wenigstens ansatzweise demokratischen Standards zu entsprechen.
Von Gasdiplomatie zu Friedenschritten ?
Optimisten können hoffen, falls eine Gaskontrolle wirklich durchgeführt werden kann, könnte ja auch eine Wahlkontrolle möglich werden.
Allgemeiner gefasst: Diplomatische Lösungsversuche um die Gasfrage könnten, besonders wenn sie erfolgreich verliefen, auch zu weiteren internationalen Vermittlungsversuchen führen, um einen politischen Kompromiss zu erreichen - vielleicht unter Ausschluss der radikalsten Gruppierungen - und so dem vernichtenden Krieg in Syrien ein Ende bereiten.
All dies hängt natürlich von den kriegführenden Parteien ab. Beide Seiten müssten sich mit oder ohne Nachhilfe von aussen zur Erkenntnis durchringen dass sie mit den Waffen alleine nicht zu siegen und den Krieg zu ihren Gunsten zu entscheiden vermögen. Dann würde die Suche nach einer Kompromisslösung, mit oder ohne fremde Vermittlung, ernsthaft beginnen.