„Semplicemente una bellissima giornata“, twittert die 34-jährige Maria Elena Boschi nach gewonnener Schlacht. Und Renzi fügt bei: „Ich danke all jenen, die an ein stärkeres Italien glauben“.
Viele glaubten nicht daran, dass sich der italienische Senat, die zweite Kammer, selbst entmachten würde. Wer verzichtet schon freiwillig auf all seine Privilegien und seine Diäten?
Und dennoch: 179 Senatoren stimmten am Dienstag im Römer Palazzo Madama, dem Sitz des Senats, für die eigene Entmachtung. 16 waren dagegen und 7 enthielten sich der Stimme.
Triumh für Renzi
Die meisten Senatoren von Berlusconis Forza Italia (FI) enthielten sich der Stimme, blieben aber im Saal. Dagegen verliessen die Vertreter von Beppe Grillos „Movimento 5 stelle“ vor der Abstimmung das Parlament.
Das Ergebnis ist ein Triumph für den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten. Nachdem er schon eine Arbeitsmarktreform und eine Wahlrechtsreform durchgebracht hatte, folgte jetzt der dritte Streich. Noch vor wenigen Wochen hätte ihm das kaum jemand zugetraut.
Renzis Sieg ist nicht nur ein Sieg über die Oppositionsparteien, sondern auch ein Sieg über den linken Flügel seiner eigenen Partei. Doch noch ist nichts definitiv entschieden.
"Palaverdemokratie"
Italien verfügte bisher über ein klassisches Zweikammer-System: Das Abgeordnetenhaus, die Grosse Kammer (Camera dei deputati) zählt 630 Mitglieder. Im Senat, der Kleinen Kammer, sitzen 315 Vertreter (und einige Senatoren auf Lebenszeit). Beide Häuser waren bisher gleichwertig. Gesetze mussten von beiden gebilligt werden, Verfassungsänderungen sogar je zweimal.
Immer wieder blockierten sich die beiden Kammern. Gesetzesvorlagen wurden oft jahrelang hin- und hergereicht. Italien war das, was Renzi eine „Palaverdemokratie“ nannte. Der Politbetrieb drehte im Kreis und lähmte sich selbst.
Auch jetzt wurde versucht, die Reform zu verzögern. Die fremdenfeindliche Lega hatte über 80 Millionen (!) Änderungsanträge eingereicht, um das Verfassungsprojekt zu torpedieren. Der Senatspräsident hat sie alle vom Tisch gewischt.
Verschlankung
Mit der Entmachtung des Senats soll sich dies nun ändern. Die parlamentarischen Prozesse werden verschlankt, Entscheide sollen schneller möglich werden. Die schon früher verabschiedete Wahlrechtsreform soll klare Mehrheiten schaffen und die Entscheidungsprozesse beschleunigen.
Noch muss die Grosse Kammer, das Abgeordnetenhaus, der Gesetzesrevision zustimmen. Da Renzi dort über eine klare Mehrheit verfügt, dürfte dies kein Problem sein. Doch da es sich um eine Verfassungsänderung handelt, müssen in einigen Wochen beide Kammern nochmals die Vorlage beraten und darüber abstimmen. Auch das Verfassungsgericht, die Consulta, muss die Revision noch beurteilen.
Erfolge beflügeln
Renzi will die Vorlage, die eine grundsätzliche Änderung des italienischen Politbetriebs bringt, offenbar auch dem Volk vorlegen. Da die Italiener genug vom ermüdenden und oft grotesken italienischen Politgeplänkel haben, dürfte eine Volksabstimmung wohl ein Ja bringen. Definitiv in Kraft treten dürfte die Gesetzesrevision nicht vor 2017.
Erfolge beflügeln. Auch wenn die Reform erst in zwei Jahren wirksam wird: das Ergebnis der Abstimmung im Senat stärkt die Position von Matteo Renzi ganz erheblich. Kein italienischer Ministerpräsident hat innerhalb von anderthalb Jahren so viel erreicht wie er. Die Opposition, sowohl jene in der eigenen Partei als auch jene ausserhalb, wird immer mehr Mühe bekunden, Renzi von seinem stürmischen Kurs abzubringen.
Der Senat ohne Kompetenzen
Nach der Abstimmung wurde Maria Elena Boschi, die sozialdemokratische Ministerin für Verfassungsreform, mit einem langen Applaus bedacht. Auch auf der Tribüne wurde geklatscht. Boschi, eine Rechtsanwältin aus dem Arno-Tal in der Toscana (wie Renzi), war es, die die Verfassungsreform ausgearbeitet hatte.
Das Projekt beschneidet die Macht des Senats radikal. Gesetze müssen nur noch von der Grossen Kammer gebilligt werden. Die Senatoren selbst sollen nicht mehr direkt vom Volk gewählt, sondern von ihren Regionen entsandt werden, möglicherweise via regionale Listen. Künftig kann einzig das Abgeordnetenhaus der Regierung das Vertrauen aussprechen oder entziehen. Kurz: Der neue Senat hat kaum mehr nationalen Einfluss und Kompetenzen. Bei Verfassungsänderungen allerdings hat er weiterhin ein Wort mitzureden.
"Vergewaltigung der Demokratie"
Neben Berlusconis Forza Italia und Beppe Grillos „5 Sterne-Bewegung“ stimmten auch die aufstrebende und teils rassistische Lega sowie die linke SEL (Sinistra, Ecologia, Libertà) gegen die Reform.
Die Gegner sprechen von einer „Vergewaltigung und einem Abbau der Demokratie“. Die Befürworter entgegnen, das Gegenteil sei der Fall. Mit dem bisherigen System sei alles blockiert worden – und nichts sei geschehen. Das sei nicht im Sinne des Volkes. Ein effizientes, vom Volk gewähltes Einkammer-System sei demokratischer als lethargische Plauderbuden.
Aus Rache dagegen
Berlusconi zeigte vor der Abstimmung, dass er nicht mehr Herr im eigenen Haus ist. Seine Forza Italia wirkte gespalten. Ein Teil der FI-Senatoren wollten vor der Abstimmung den Saal verlassen, andere wollten sich einfach der Stimme enthalten. Schliesslich entschieden sich die Forza Italia-Senatoren, zwar ihre Plätze, aber nicht den Saal zu verlassen. Sie hielten sich während der Abstimmung im Hintergrund auf.
Einige wenige Senatoren der Berlusconi-Partei stimmten gar für Renzis Reform. Das wollte früher auch Berlusconi selbst tun. Doch dann wollte er sich an Renzi rächen, weil dieser ihn vor den Kopf stiess. Und nun war Berlusconi plötzlich gegen die Reform. Auch in der eigenen Partei wird Berlusconis Taktik nicht mehr überall goutiert.
Berlusconi, "krankhaft besessen"
Dann kam es am Dienstag doch noch zu einem Eklat. Als Giorgio Napolitano, der frühere Staatspräsident und heutige Senator auf Lebenszeit, sich für die Reform stark machte, verliessen die Berlusconi- und Beppe-Grillo-Senatoren den Saal. Seit Jahren überhäuft Berlusconi den allseits geachteten Napolitano mit Schimpftiraden und Vorwürfen.
Napolitano reagierte souverän. Er bezeichnete Berlusconi am Dienstag als „krankhaft besessen“. Und: „Ich habe nur Mitleid für ihn übrig“.