Die Euro funktioniert nach einem klaren Prinzip: Es gibt Gewinner und Verlierer. Der Euro und die EU auch: Es gibt Verlierer und Verlierer. Allerdings hat die EU noch eine Besonderheit: Der grösste Verlierer ist immer das Publikum, die EU-Bürger und Steuerzahler. Beim aktuellen EU-Gipfel wurde mit nie dagewesener Niedertracht erpresst und gemauschelt. Selbst eine Versammlung von Ganoven, die ihre Einflussbereiche abstecken wollen, ist eine ehrenwerte Gesellschaft dagegen.
Italien mit Spanien
Die viertgrösste Wirtschaftsmacht Spanien hatte es bereits vorexerziert, da wollte die drittgrösste Italien natürlich auch: Direkter Zugriff auf die Rettungsschirme EFSF und ESM ohne nennenswerte Kontrolle. Falls Bundeskanzlerin Merkel ihnen das nicht zugestehen würde, drohten Rajoy und Monti damit, ihre Zustimmung zur Mogelpackung «EU-Wachstumspaket» zu verweigern. Die wiederum brauchte Merkel, um im deutschen Bundestag einigermassen ungeschoren davonzukommen. Damit ist der Selbstbedienungsladen ohne Ausgangskontrolle eröffnet. Und Hollande, der sich wohl als nächster zugreifen wird, betrachtet es mit Wohlgefallen.
Ran an die Geldtöpfe
Zur Rekapitalisierung ihrer schwankenden Banken können Spanien und Italien nun direkt in die Geldtöpfe langen, ohne damit ihren Staatsschuldenberg zu vergrössern. Und nebenbei wurde auch noch die Vorrangigkeit dieser Kredite abgeschafft. Was bedeutet, dass der EU-Steuerzahler im Falle des Zusammenbruchs einer Bank (oder eines der beiden schwankenden Staaten) sich in die lange Reihe von Gläubigern hineinstellen darf, die im Gegensatz zu ihm immerhin selbst entschieden haben, hier ihr Geld zu riskieren. Beschlossen wurde dieser Wahnsinn von den 17 Euroländern, die übrigen 10 Mitglieder der EU, des grossen europäischen Hauses, waren schon zu Bett gegangen.
Erbärmlich
Die Uhr steht auf eins vor zwölf. Es ginge um das Grosseganze, die Rettung, Strategie, mutige Entscheidungen, Führungsqualitäten. Aber statt Staatsmännern und –frauen versammelte sich wieder einmal ein kläglicher Haufen von erbärmlichen Opportunisten, überfordert, inkompetent, nur auf eines bedacht: Wenigstens für ein Momentchen das eigene Gesicht zu wahren. Eurobonds darf es nicht geben? Dann nennen wir die Vergemeinschaftung der national verbrochenen Schulden halt anders. Kontrollen, Aufsicht und Bedingungen darf es auch nicht geben? Dann lassen wir halt einen «spezifischen Fahrplan mit Terminvorgaben für die Verwirklichung einer echten Wirtschafts- und Währungsunion» ausarbeiten», also Pipifax. Auf wann? Ach, so auf Ende Jahr. Nein, dann ist der Fahrplan fertig, sonst nichts.
Europäische Demokratie?
Ob der Euro noch ein paar Monate mehr überlebt oder nicht, spielt überhaupt keine Rolle. Was in Wirklichkeit in den letzten zwei Jahren endgültig zu Grabe getragen wurde, ist die Illusion, dass es eine demokratisch legitimierte europäische Regierung geben könnte. Seit Louis XIV. gab es eine keine absolutistischere Regierungsform als in der EU. Ein zahnloses Parlament ohne legislative Macht, eine absurde europäische «Regierung» namens EU-Kommission, Gruppenchefs, Ratspräsidenten, Troikas und Gouverneursräte ohne Haftbarkeit, jeder demokratischen Kontrolle entzogene Rettungsschirme: jeder absolutistische Herrscher würde vor Neid erblassen. Nehmen wir nur den «Überrettungsschirm» ESM, immerhin Herr über angeblich 700 Milliarden Euro. Eine Aktiengesellschaft nach luxemburgischem Recht, deren niemals demokratisch legitimierten Chefs völlig illegal von jeglicher Haftbarkeit für ihre Untaten freigestellt sind, mit einer vertraglich festgelegten Generalamnestie. Besser hätte das Louis XVI. auch nicht hingekriegt. Aber ihn hat es wenigstens den Kopf gekostet.
Und der Bürger?
Den Unterschied zwischen einer absolutistischen Herrschaft und jeder Spielart von Demokratie macht die Beteiligung der Betroffenen aus, der Steuerzahler und Bürger. Hinter der Fassade von demokratischen Wahlen und angeblichen Mitbestimmungsrechten von derjenigen, die die Zeche zahlen müssen, hat sich spätestens seit der Einführung des Euro eine jeglicher Kontrolle entzogene Herrschaft von Eurokraten etabliert. Und darüberschwebend beschliessen die 17 Regierungschefs sowieso, wie es ihnen drum ist. Es ist heutzutage nur noch Hohn, wenn es beispielsweise im deutschen Grundgesetz im Artikel 20 heisst: «Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.»
Das Ende ist bekannt
Die Überstrapazierung historischer Vergleiche ist immer gefährlich. Dennoch hilft der Rekurs auf vergangene Erfahrungen, wahrscheinliche zukünftige Entwicklungen zu antizipieren. Wenn sich eine bedeutende Mehrheit der Betroffenen nicht mehr repräsentiert durch ihre angeblichen Interessensvertreter sieht, dann ist der gesellschaftliche Konsens einer Demokratie aufgekündigt. Dann gebricht es den angeblichen Volksvertretern an jeglicher Legitimation für ihr Handeln. Dann spielt es keine Rolle mehr, ob sie ihr Entscheidungen als gottgegeben, vom König gewünscht oder als «alternativlos» begründen.
Der Sturm
Dann werden sie weggefegt werden. Nicht unbedingt durch Besserers ersetzt, wie die Geschichte der europäischen Revolutionen leidvoll belegt. Aber wer Wind sät, wird Sturm ernten, dieses Bibelwort trifft auch auf völlig säkulares verbrecherisches Handeln von Eurokraten, von europäischen Staats- und Regierungschefs zu. Wir alle werden die Folgen zu unseren Lebzeiten erleiden.