Das G7-Treffen der Finanzminister und Gouverneure der Zentralbanken in London befasste sich mit zahlreichen politischen Fragen. Neben dem Kampf gegen den Klimawandel und dessen Finanzierung, der Unterstützung der Länder mit niedrigen Einkommen und der weltweiten Versorgung mit COVID-Impfstoffen wurden neue Regeln für die Besteuerung der digitalisierten Wirtschaft in einem kleinen Abschnitt zusammengefasst. Aus dem Communiqué atmet vor allem die Erleichterung der teilnehmenden Staaten, dass der Störenfried Trump nicht mehr dabei ist. Das G7-Communiqué spricht von „unseren erneuerten und dringenden Anstrengungen für eine tiefere multilaterale ökonomische Zusammenarbeit“. In den Medien standen ausschliesslich Steuerfragen im Fokus.
Besteuerung der digitalisierten Wirtschaft
Die G7-Staaten wollen ihren Kampf gegen den angeblich schädlichen zwischenstaatlichen Steuerwettbewerb und die aggressive Steuerplanung international tätiger Konzerne fortsetzen. Die Finanzminister der sieben Staaten USA, Kanada, England, Frankreich, Deutschland, Italien und Japan haben lediglich unter sich eine Einigung erzielt. Ausgereifte und verbindliche Entscheide wurden nicht einmal für die sieben Staaten gefällt, geschweige denn weltweit für alle Staaten.
Folgende zwei Steuervorschläge wurden in den Medien kontrovers diskutiert:
- Umsätze der Big Tech in Ländern, in denen sie keine physische Präsenz unterhalten, sollen neu besteuert werden. Die Finanzminister unterbreiten sogar eine konkrete Formel: Gewinn, der die Marge (= Gewinn geteilt durch Umsatz) von 10% übersteigt, dürfen in diesen Marktländern mit 20% besteuert werden.
Nach Berechnungen von Tax Watch würden gemäss dem Steuervorschlag der G7 die Gesellschaften Amazon, eBay, Facebook und Google in Zukunft 330 Millionen Schweizer Franken weniger Steuern abliefern. Dies steht quer zur Idee Big Tech stärker zu besteuern. Amazon weist gegenwärtig eine Marge von 7% auf. Gewinnanteile müsste Amazon somit in Zukunft nicht an Marktländer abgeben: Ziel nicht erreicht.
- Zudem soll weltweit ein effektiver Mindeststeuersatz für Unternehmen von 15% auf Länderbasis eingeführt werden. Verrechnungen mit in anderen Ländern bezahlten höheren Steuern sind nicht erlaubt.
Zahllose buchhalterische Fragen, die für die Ermittlung von Umsatz und Marge wichtig sind, bleiben ungeklärt. Die Grundlage für die Berechnung des steuerbaren Gewinns, also die Steuerbasis, ist von Land zu Land verschieden. Die Definition dieser Begriffe wird Anlass zu endlosen Diskussionen zwischen Ländern, Parteien, Buchhaltungsexperten und Revisoren geben. Finden die europäischen IFRS- oder die US-amerikanischen GAAP-Regeln Anwendung?
Die heute geübte Praxis von steuerlichen Subventionen wird sich mit Haken und Ösen fortsetzen, was die korrekte Erfassung des Unternehmensgewinns verfälscht.
Die unbrauchbaren Vorschläge basieren auf Überlegungen der OECD, die diese 2019 auf der Grundlage der so genannten Zweisäulentheorie entwickelt hat. Im Juli 2021 soll das G7-Konzept beim G20-Gipfel weiteren Staaten unterbreitet werden. Wie vor allem China, Indien und Brasilien reagieren werden ist offen. On verra.
Die Steuervorschläge der G7 sind Tagträume
Die Vorschläge der Finanzminister stehen auf tönernen Füssen, sind nicht durchdacht und noch immer der antiquierten Steuerwelt verhaftet. Schon deshalb werden die Vorschläge innenpolitisch in den einzelnen G7-Staaten einen schweren Stand haben.
Ob der US-Kongress den Vorschlägen der G7 zustimmen wird, ist ebenfalls völlig offen. Die US-Kongresswahlen 2022 stehen vor der Tür, sie verheissen für die Demokraten nichts Gutes. Die im Griff von Trump stehenden Republikaner werden alles daran setzen, die Mehrheit zurückzuholen. Allfällige Steuerbeschlüsse der Regierung Biden werden sie torpedieren.
Auf europäischer Ebene hat jeder EU-Staat seine eigenen Steuergesetze für Unternehmen. Eine inhaltliche Harmonisierung steht in weiter Ferne.
Weiter haben einzelne EU-Länder vor einem Jahr Digitalsteuern eingeführt als Trotzreaktion auf die Zollpolitik von Trump.
England hat eine digitale Steuer von 2% auf Social Media, Internet Suchmaschinen und Online Shopping eingeführt, falls deren Umsatz im Vereinigten Königreich jährlich über £ 25 Millionen liegt.
Frankreich kennt eine digitale Steuer von 3 Prozent auf Online Werbeeinkommen von Gesellschaften mit einem Mindest-Umsatz von EUR 750 Millionen weltweit und EUR 25 Millionen in Frankreich.
Frankreich und das Vereinigte Königreich denken nicht im Traum an die Abschaffung ihrer nationalen Digitalsteuern.
Die Harmonisierung des EU-Steuerrechts für Unternehmen ist eine Illusion.
Der Finanzsektor soll von der Steuer verschont werden
Die Steuerpläne der G7 sind kompliziert, wenig durchdacht und lösen die Herausforderungen der digitalen Welt nicht. Sie werden in der Praxis schon deshalb scheitern.
Selbst wenn die Steuerpläne der G7 Erfolg haben: Die OECD will alle Finanzdienstleistungen von den digitalen Steuern befreien und den Finanzsektor schonen.
Das Vereinigte Königreich betont, die City of London müsse vom geplanten neuen globalen Steuersystem sowieso ausgenommen werden.
Das ist grotesk.
Martin Neff, Chefökonom der Raiffeisengruppe, bezeichnet in seiner Kolumne vom 26.05.2021 „Die Macht liegt im Kleinen“ die aus den Fugen geratene Finanzwelt als das grösste Casino der Weltgeschichte. Abgesehen von Corona wurden in den letzten 25 Jahren sämtliche Rezessionen durch Finanzkrisen ausgelöst. Er betont, Geld werde nicht mehr investiert, sondern damit werde oft nur noch spekuliert. Neff fragt sich, wieso die weltweite Steuerpraxis immer nur die Realwirtschaft anzapft, anstatt sich dort zu bedienen, „wo richtig viel Geld fliesst“.
Mikrosteuer: die Lösung für die Schweiz und die globale Welt
Das überproportionale Wachstum des Finanzsektors in den letzten 25 Jahren im Vergleich zur Realwirtschaft wirft die Frage auf, weshalb das enorme Steuerpotential des mobilen Kapitals nur ungenügend besteuert wird, dies im Gegensatz zum Faktor Arbeit. Das grosse Steuersubstrat des mobilen Kapitals, also der Zahlungsverkehr, mit einem tiefen Steuersatz anzuzapfen ist steuertheoretisch effektiver, als Einkommen und Gewinne mit grossen Sätzen zu belasten.
Würden die in der Schweiz geschätzten Zahlungsströme von jährlich CHF 100’000 Milliarden mit einem halben Promille besteuert, könnten die bürokratische Mehrwertsteuer und die ehemalige Wehrsteuer, also die heutige direkte Bundessteuer, sofort abgeschafft werden. Dies zum Segen der KMU, des Imports und der mittelständischen Familien.
Dank unserer direkten Demokratie haben wir in der Schweiz die Mikrosteuerinitiative. Bei den Politikern ist sie noch nicht ganz angekommen. Die Idee mag revolutionär sein, sie ist aber die intelligente Antwort auf die ausser Rand und Band geratene Kombination Finanzwelt/Digitalisierung/Globalisierung.
Wie der berühmte Bankier Hans J. Bär jeweils sagte: Eine gute Idee kann nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit umgesetzt werden.
Die Verirrungen à la Kryptowelt, des weltweiten Finanzcasinos à la Archegos und Greensill und des fragwürdigen Hochfrequenzhandels werden wohl kaum verschwinden. Aber mit einer Steuer auf den Zahlungsflüssen wird die Finanzwelt wenigstens ihren Obolus entrichten.