Einmal mehr geht eine Welle selbstgerechter Entrüstung durch die Schweiz: Die G7 schilt die Schweiz wegen ungenügender Unterstützung der Ukraine und fehlender Gründlichkeit bei den Sanktionen gegen Russland; die Botschafter dieser Länder in Bern werden zu einem «klärenden Gespräch» zitiert.
Behördliche Reaktionen und jene in den Medien sind eindeutig: Wie können sie das wagen, wo wir doch alle Sanktionen mitmachen und eben gleichzeitig ein sprichwörtlicher Rechtsstaat sind.
Aber ist diese Pose selbstgerechten Patriotismus’, die Rolle der beleidigten Souveränitäts-Leberwurst angebracht? Eine nüchterne Betrachtung fällt klar negativ aus; es wäre vielmehr angebracht, die Demarche unserer wichtigsten Partnerländer als Alarmzeichen aufzufassen und unsere gesamte Ukraine-Politik einer Prüfung zu unterziehen.
Schlusslicht Schweiz
Die Schweiz ist am Schwanz der Rangliste aller westlichen Länder bei der Unterstützung der Ukraine gegen den Kriegsverbrecher Putin und seinen Aggressionskrieg. Die G7 hat recht, die Schweiz muss und kann mehr tun. Die Lieferung von Kriegsmaterial, auch im Ringverkauf via eine dritte Partei, ist im Moment blockiert durch den Bundesrat. Die gegenwärtige offizielle Politik der Schweiz liegt damit auf der Linie rechter Nationalisten in der SVP und naiver Pazifisten in der grünen Partei, dürfte aber kaum einer Mehrheit in der Schweiz entsprechen.
Die viel zitierte und zur Verteidigung der offiziellen Position gern vorgebrachte humanitäre Hilfe, welche die Schweiz doch liefere – welche uns bislang nicht von den hintersten Rängen westlicher Unterstützung fortgebracht hat – reicht keineswegs aus, um den völligen Mangel an handfester Unterstützung zu kompensieren. Damit ist primär Kriegsmaterial und sind weiter Milliardenbeträge zur Zahlungsbilanzhilfe gemeint. Dieser Mangel wird auch keineswegs kompensiert durch die neu von Bundesrat Cassis genannten, höheren Beträge von humanitärer Hilfe, welche zudem teilweise auf Kosten anderer, eigentlich bereits zugesprochener Unterstützung im Ausland gehen.
Hinhaltepolitik
Vollends offensichtlich ist die Hinhaltepolitik des offiziellen Bern, was sowohl die Verwendung russischer Vermögenswerte als auch die Tätigkeit und die Finanzen von in der Schweiz domizilierten Handelsunternehmen mit russischen Rohstoffen anbelangt. Als weltweiter Leader in der Vermögensverwaltung und Rohstoffhandelsplatz ist der Finanzplatz Schweiz eben auch Hauptdrehscheibe für russische Vermögen. Ein abstraktes Recht auf russisches Eigentum mit den buchstäblich von Tod und Vernichtung bedrohten Ukainerinnen und Ukrainern – und deren Unterstützung durch beschlagnahmte russische Vermögenswerte – auf dieselbe Ebene zu stellen, ist lächerlich. Die russischen Gelder in der Schweiz stammen mindestens von Diebstahl am russischen Volksvermögen her – Stichwort überstürzte Privatisierung nach dem Zusammenbruch der UdSSR – und maximal von Korruption und der Umgehung von rechtsgültigen Sanktionen. Dies sind alles strafrechtliche Tatbestände, die hier das «Recht auf Eigentum» absurd erscheinen lassen.
Schweizerisches Echo
Die Charakterisierung der diplomatischen Vertreter der G7-Staaten, welche entsprechend beim Bundesrat vorstellig werden, als «Radau Diplomaten», so ein TA-Journalist, ist unklug und kontraproduktiv. Dies, weil das Ansehen der Schweiz und damit auch die Einstellung unserer Partnerländer gegenüber schweizerischen Begehren, wie beispielsweise in der Europapolitik, sich momentan auf einem Tiefstand befindet. Zum selben Zeitpunkt, da letztere völlig festgefahren ist und ein globaler Bankencrash auch in der Folge der selbstverschuldeten Kernschmelze der Credit Suisse nur knapp abgewendet worden ist, stellen wir gegenüber der Ukraine auf stur. Wenn uns dies unsere wichtigsten und besten Partner via ihre Vertreter in der Schweiz in Erinnerung rufen, sind diese nicht «Radaubrüder», sondern tun ihren Job als Vertreter ihrer Regierungen.
Auch ein Rechtsprofessor, der in einem TA-Interview meint, es gäbe keinerlei Beweise für unrechtmässige Vermögenswerte von Russland und seinen Staatsangehörigen in der Schweiz, müsste vorsichtig sein. Die Vorwürfe der G7 und speziell der USA würden wohl kaum in dieser öffentlichen Form vorgebracht werden, wenn nicht geheimdienstliche Erkenntnisse vorliegen würden, die das Gegenteil beweisen. Eine schweizerische Teilnahme an der internationalen Taskforce zur Überwachung der Ukraine-Sanktionen ist überfällig. Wenn diese dereinst die Beschlagnahmung russischer Vermögenswerte beschliesst, wird sich die Schweiz ohnehin anschliessen müssen. Wenn nötig mit Notrecht. Der Bundesrat hat mit der eigenmächtigen Abschreibung auf null von international breit gestreuten CS-Obligationen eben erst gezeigt, dass dies im Notfall ohne weiteres möglich ist.
Der Notfall ist da
Hier liegt denn auch der springende Punkt. Im Gegensatz zum übrigen Westen hat man in Helvetien offenbar noch nicht begriffen, dass mit russischer Aggression und Putins Völkermord gegen die Ukraine ein wirklicher Notfall bereits eingetreten ist, für die Schweiz, für Europa und, zumindest, für die Gesamtheit westlicher Länder. Um Putins Expansionswahn wirklich zu begegnen, muss er zunächst eine deutliche sichtbare Niederlage erleiden. Dies ist nur mit schneller und handfester Hilfe aus dem Westen möglich; erst dann kann über einen Waffenstillstand, damit den Wiederaufbau der Ukraine und später über vom Westen garantierte Grenzen gegen Russland gesprochen werden.
Wir sollten also die G7-Mahnungen ernst nehmen, anstatt mit gekränktem Patriotismus wild um uns zu schlagen. Bekanntlich folgen auf diplomatische Demarchen Massnahmen, welche dann wirklich weh tun können, wie Boykotte und weiteres mehr.