Wie an dieser Stelle bereits ausführlich gewürdigt, ist Xi Jinping nicht nur Staats-, Partei- und Militärchef, sondern auch ein bekennender Fussballfan. In der Schulzeit soll er nach der von der Propaganda liebvoll verbreiteten Legende nicht vor allem den Nationalsport Ping-Pong betrieben haben, sondern lieber im Schweisse seines Angesichts dem runden Kunstleder nachgerannt sein und es erfolgreich getreten haben. Immerhin, die Chinesen haben schliesslich schon lange vor den Europäern vor über zweitausend Jahren Fussball gespielt. Und dies vor allem: Xis Vor-vor-vor-vor-Gänger, der „Grosse Vorsitzende“ Mao Dsedong, soll – parteisportlich ausgedrückt – als „überragender Torhüter“ gewirkt haben.
Einheimisches Gewächs
Kein Wunder deshalb, dass Chinesen und – jawoll! – auch Chinesinnen nach der WM 2014 in Brasilien jetzt auch die Euro in Frankreich mit Begeisterung und kenntnisreich verfolgen. Der europäische Fussball von der Premier League über die Primera Division und der Serie A bis hin zur Bundesliga (noch nicht aber die Schweizer Superleague) ist dem chinesischen Publikum dank wöchentlicher Berichterstattung und zum Teil Direktübertragungen wohlbekannt.
Die grossen Stars des europäischen und internationalen Fussballs sind in China besser bekannt als das einheimische Gewächs. In Chinas Super League wird noch immer sehr chinesisch gespielt, das heisst, das Kollektiv, die Mannschaft hat – ähnlich wie in der Gesellschaft insgesamt – absoluten Vorrang vor dem individuellen, brillanten Einzelspieler. Das soll sich jetzt ändern, ähnlich wie zuvor im Basketball. Dort haben sich einige Spieler bereits in der amerikanischen NBA durchgesetzt und sind wie Yao Ming zu auch in China bewundernden Weltstars geworden.
„Sehnsucht nach Fussball“
Etwas ähnliches wie beim Basketball wiederholt sich seit kurzem im chinesischen Fussball. Dank Fussballfan Xi. Bereits 2011, ein Jahr vor Machtantritt, formulierte Parteichef Xi seinen Fussball-Traum: „China soll sich für eine WM qualifizieren, China wird eine WM austragen und China wird schliesslich eine WM gewinnen.“
Xi, der für die Nation den „Chinesischen Traum“ ökonomisch, sozial und kulturell formuliert hat, ist sich auch sicher, dass das „Volk Sehnsucht nach Fussball“ hat. Im vergangenen Jahr dann gaben Partei und Regierung die entscheidende Losung aus: „Eine Wiedererstarkung des Fussballs ist entscheidend auf Chinas Weg zu einer grossen Sportnation.“ Sport gehört wie Kultur – beispielsweise die weltweit über dreihundert Konfuzius-Institute – zur „weichen Kraft“, welche Chinas Aufstieg auf der Weltbühne begleiten soll.
Pflichtfach Fussball
Fussball ist mittlerweile an chinesischen Schulen Pflichtfach. Landauf, landab wurden überdies Fussballschulen gegründet. Zum Teil mit ausländischer Hilfe wie beispielshalber in Kanton, wo der reiche Erfolgsclub Guangzhou Evergrande mit Hilfe des Partners Real Madrid die grösste Fussballschule der Welt betreibt. An Geld soll es auch sonst nicht mangeln. Xis grosser „Fussballtraum“ wird mit zig Millionen unterfüttert.
So ist in der vergangenen Winter-Transferperiode in China mehr umgesetzt worden als im fussballreichen Europa. Die chinesische Super League hat für neue Spieler 334 Millionen Euro aufgeworfen gegenüber 253 Millionen Euro bei der ebenfalls nicht knausrigen britischen Superleague oder den 53 Millionen Euro bei der Bundesliga. Selbst Chinas zweite Profi-Liga (China League One) hat mit Transfers im Werte von 57 Millionen Euro die Deutsche Bundesliga noch übertroffen.
Bescheidenes Wochengehalt
Chinas 16 Super-League-Vereine klotzen dank Unterstützung von superreichen Unternehmern und Staatsfirmen und ködern so Europas Topspieler. Längst sind die Zeiten vergangen, als alternde Topfussballer sich in China ein vergoldetes Gnadenbrot verdienten. Wie Frankreichs Superstar Nicolas Anelka, der von Chelsea kommend für ein bescheidenes Wochengehalt von 233‘000 Euro in Shanghai seinen leicht ermüdeten Körper über chinesischen Rasen quälte.
Heute allerdings werden die Fussballschuhe anders geschnürt. Chinas Meister Guangzhou Evergrande kaufte so von Atletico Madrid für 42 Millionen Euro den voll im fussballerischen Saft stehenden kolumbianischen Superstar Jackson Martinez. Der 26 Jahre alte brasilianische Stürmer Alex Teixeira wurde im Februar gar von Schachtjor Donezk für die horrende Summe von 50 Millionen Euro zu Jiangsu Suning transferiert. Dieser Verein überwies nochmals 32 Millionen Euro an den FC Chelsea für den Brasilianer Ramires. Von AS Roma kaufte schliesslich Hebei China Fortune den Brasilianer Gervinho für unterdessen schon fast bescheidene 18 Millionen Euro.
Dann gibt es die kolportierten Wahnsinns-Offerten, zum Beispiel für den 34 Jahre alten Schweden Zlatan Ibrahimovic, dem vom Lieblingsclub ihres Korrespondenten, dem FCB (FC Beijing Guoan), ein Dreijahresvertrag mit einem Jahresgehalt von 75 Millionen Euro in Aussicht gestellt worden sei. Da wäre die gerüchtweise verbreitete Offerte aus Shanghai mit einem Jahresgehalt von 35 Millionen Euro für Wayne Rooney von Manchester United schon fast bescheiden und eine Beleidigung für Englands Fussball-Ikone. Besonders aufmerksam jedenfalls werden die Scouts der chinesischen Vereine die Euro-Spiele in Frankreich verfolgen und nach diesem oder jenem Schnäppchen – eventuell Kraftwürfel Shaqiri? – Ausschau halten.
Investitionen
Auch europäische Trainer stehen hoch im Kurs. Berühmte Namen aus Europa und Südamerika zieren viele der chinesischen Super-Leage-Teams. Eben hat Felix Magath, einst berühmter Fussballer und danach Meistertrainer für den VfL Wolfsburg, bei Shandong Luneng Taishan in Jinan unterschrieben. Auch Othmar Hitzfeld soll laut dem Schweizer Stammtisch-Leitmedium „Blick“ schon mal Offerten bekommen haben.
Es wird aber nicht nur in „Spieler-Material“ investiert. Viele Privatunternehmer und Staatsfirmen haben sich Clubs in der Super League gekauft. Neuerdings wird ähnlich wie in anderen Industrien auch im Ausland investiert. Der neueste Coup: Der Elektronikriese Suning – Eigner des Super-League-Clubs Jiangsu Suning – hat sich für 270 Millionen Euro einen 69-Prozent-Anteil am italienischen Traditionsclub Inter Mailand gekauft. Der Unternehmer Xia Jantong wiederun hat für 100 Millonen Euro Aston Villa in England übernommen.
Eine chinesische Investorengruppe mit dem staatlichen CITIC Capital und der privaten China Media Capital (CMC) stieg mit 377 Millionen Euro oder 13 Prozent der Anteile bei der von Abu Dhabi gesteuerten City Football Group (CFG) ein. Der CFG wiederum gehört Manchester City sowie die Clubs New York City und Melbourne City und teilweise der japanische Verein Yokohoma. Aber auch andere schwerreiche chinesische Unternehmer kaufen oder beteiligen sich an ausländischen Clubs in Spanien, Frankreich oder Grossbritannien.
TV-Rechte und Merchandisiing
Die zitierten Millionen-Deals zeigen, dass Fussball im Riesenreich der Mitte zu einem Mega-Business geworden ist. Derzeit wird der Markt der chinesischen Sportindustrie auf jährlich 22 Milliarden Euro geschätzt. In zehn Jahren sollen es dann happige 700 Milliarden Euro sein, davon allein 40 Prozent für den Fussball.
„Der chinesische Fussball befindet sich in einer entscheidenden Entwicklungsphase mit besten Wachstumchancen“, sagte Li Ruigang, der Vorsitzende der auch in der Unterhaltungsindustrie tätigen China Media Capital. Li hat sich vor zwei Jahren die Fernsehrechte der chinesischen Super League für acht Milliarden Yuan (umgerechnet 1,25 Mrd. Schweizer Franken) bis 2020 gesichert. Zwanzig mal mehr als bis anhin.
Kein Wunder deshalb, dass der grösste Europäische Sportrechte-Vermarkter Infront für eine Milliarde Euro vom chinesischen Milliardär Wang Jianlin für seinen Dalian-Wanda-Konzern gekauft worden ist. Auch das international-chinesiche Start-up Shankai Sports mischt mit, mit Schweizer Beteiligung, wie ein kenntnisreicher NZZ-Hintergrundbericht zeigt. Auch europäische Vereine aus England, Spanien, Italien und Deutschland mischen in Asien und China mit. Es geht um TV-Rechte und um Merchandising von Fussball-Accesoires. Als Beispiel mag Bayern München dienen. Der Club ist auf Chinas sozialen Medien Sina Weibo, Tencent oder WeChat höchst aktiv und betreibt ein Büro in Shanghai.
Hisense
Wer die Euro am Bildschirm verfolgt, wird bald festgestellt haben, dass neben den bekannten Marken wie McDonald’s, Samsung und dergleichen auch Hisense in lateinischen Buchstaben und chinesischen Schriftzeichen am Platzrand Werbung macht. Hisense ist ein staatlicher Elektronik-Konzern mit 75‘000 Mitarbeitern und fabriziert TV-Apparate, Kühlschränke, Klimaanlagen, Waschmaschinen, Laptops und Smartphones. Hinter den Südkoreanern Samsung und LG und noch vor Japans Sony ist Hisense weltweit die Nummer drei.
In China ist Hisense natürlich ein Haushaltname, in den USA schon leidlich bekannt. Die Firma ist in 135 Ländern tätig und versucht deshalb ihren Firmennamen unter anderem auch mit Sport-Sponsoring zu fördern. Als einer der zehn Hauptsponsoren soll Hisense für die Euro in Frankreich 50 Millionen Euro hingeblättert haben. Bereits zuvor engagiert sich Hisense mit erklecklichen Summen im Tennis- und Motorsport.
Winzlinge
Das Interesse der chinesischen Fussballfans an der Euro ist gross. Schon die WM 2014 in Brasilien zeigte Rekord-TV-Einschaltquoten. Um drei Uhr in der Früh (Ortszeit) verfolgten damals hundert Millionen Chinesinnen und Chinesen den Sieg Deutschlands bei der WM.
So viele werden es bei der Euro wohl doch nicht sein. Dennoch: obwohl die Spiele nach chinesischer Zeitrechnung zwischen neun Uhr Abends und drei Uhr in der Früh angepfiffen werden, gucken zig Millionen hin, schon darum, weil, wie meist in China, bei Matches auch munter – illegal – gewettet wird. Auch in einer Sportbar im Xiguan Hutong in der Pekinger Altstadt, wo Ihr Korrespondent zuweilen Sport live mit chinesischen Mittelständlern verfolgt und einige wenige Yuan verliert oder gewinnt.
Die Euro-Matches jedenfalls, das Spiel der Fussballzwerge Schweiz gegen Albanien eingeschlossen, sind allemal attraktiver als eine Begegnung der Fussballwinzlinge China (Fifa-Weltrangliste Nr. 82) gegen Buthan (188), China gegen Usbekistan (66) oder China gegen die Malediven (174).