Der starke Anstieg der Warenpreise, relativ leere Geschäfte und die besorgten Gesichter der Teheraner und Teheranerinnen deuten darauf hin, dass sich die wirtschaftliche Lage in Iran im neuen Jahr weiter verschlechtern wird. Die Sozialaktivistin Afra* hat sich in der iranischen Hauptstadt umgesehen.
Seit der Antike ist Nowruz das grösste iranische Fest. Dieses nicht-islamische Neujahrsfest (das iranische Jahr 1403 beginnt am 20. März, d. Redaktion) hat eine Vielzahl von Traditionen – dazu gehören Treffen mit Verwandten und Freunden in neuen Kleidern und Schuhen, insbesondere für Kinder und Jugendliche.
Am 13. März veröffentlichte die iranische Nachrichtenagentur ILNA einen Bericht über den Schuh- und Bekleidungshandel kurz vor dem Neujahrsfest. Darin heisst es unter anderem: «In den Geschäften Teherans gibt es so viele Schuhe, dass die gesamte Teheraner Bevölkerung (von über 10 Millionen Menschen) jeweils mehr als zwei Paar Schuhe kaufen kann.» Damit weist Ilna auf den stagnierenden Markt in den beiden Branchen hin.
Um über Angebot und Nachfrage bei Schuhen zu sprechen, habe ich zwei Schuhgeschäfte in einem der Einkaufszentren Teherans besucht. Der Besitzer des ersten Ladens erklärte einfach: «Setzen Sie sich nur einen halben Tag hier hin, dann werden Sie sehen, wie schlimm es mit unserer Branche steht.»
Dabei zeigte er auf einen älteren Mann, der auf einem Stuhl neben der Eingangstür sass: «Dieser Mann ist ein pensionierter Angestellter. Wir haben ihn als Verkäufer für das Nowruz-Geschäft engagiert, weil seine Rente für den Lebensunterhalt von ihm und seiner Frau nicht ausreicht. Er hat heute nur zwei Paar Schuhe verkauft. Dafür kann er nichts. Es gibt kaum Kunden, aber mein Gewissen lässt nicht zu, ihn zu entlassen.»
Im Iran beginnt mit dem Ruhestand für die Unter- und Mittelschicht der Weg in die Armut, da die Inflation steigt, die Renten aber nicht wesentlich. Aus diesem Grund sind Arbeitnehmer wie etwa Lehrer und Lehrerinnen nicht daran interessiert, in Rente zu gehen. Und es hat dazu geführt, dass viele Rentner und Renterinnen einen Nebenverdienst haben müssen. Viele der iranischen Tele-Taxifahrer sind Rentner, die sich im nervtötenden Stadtverkehr abmühen.
Das zusätzliche Problem älterer Menschen ist ihr Bedarf an verschiedenen Medikamenten, die zum Teil schwer zu finden sind. Einige Apotheken geben sie nur an Kunden ab, die bereit sind, mehr zu bezahlen. Die Regierung beharrt seit Jahren darauf, dass es im Bereich der Medikamente keine Probleme gebe. Doch wenn man einige Apotheken besucht, kommt man zu einem anderen Schluss: Das Problem ist so gravierend, dass sogar in Teheran selbst Antibiotika immer wieder knapp sind.
Wer ist schuld an der Misere?
Der Besitzer des zweiten Schuhgeschäfts, das ich besuche, wiederholt die Worte von Rasoul Shajari, dem Präsidenten der Teheraner Schuhhändler-Vereinigung. Der hatte am 13. März im Interview mit der Nachrichtenagentur ILNA gesagt: «Die Inflation und der Rückgang der Kaufkraft der Menschen haben zur Flaute des Schuhgeschäfts geführt. Die Nachfrage nach allen Arten von Schuhen kurz vor dem Neujahrsfest ist in diesem Jahr viel schwächer als im gleichen Zeitraum des letzten Jahres.»
Die Besitzer der beiden Läden und die Teheraner Schuhhändler-Vereinigung sind sich einig: Die Regierung sei nicht in der Lage, die Inflation in den Griff zu bekommen, und versuche, ihren «Erfolg» in der heimischen Wirtschaft mit gefälschten Statistiken zu demonstrieren. Sie schiebe den Lieferanten und Geschäftsleuten die Schuld in die Schuhe.
In diesen Tagen werden Regierungsvertreter nicht müde, Phrasen wie «Spekulanten verderben den Markt» zu wiederholen, während – auch offizielle – Zahlen auf den ungezügelten Anstieg der Inflation hindeuten. Auf den Strassen, auf den Märkten, in der U-Bahn und an anderen öffentlichen Orten reden die Menschen über horrende Preissteigerungen, die Abwertung der iranischen Währung Rial gegenüber dem US-Dollar und über die Unfähigkeit der Regierung, dem etwas entgegenzusetzen. Da die Neujahrsfeiertage in den Fastenmonat Ramadan fallen, wird die um sich greifende Armut noch sichtbarer. In diesem Monat spenden gläubige Muslime Bedürftigen warme Mahlzeiten und spezielle Snacks. In den vergangenen Jahren wurde dies auch im Iran praktiziert, aber derzeit sind viele Iraner und Iranerinnen nicht mehr in der Lage, den Brauch einzuhalten.
Gehaltserhöhung deutlich unter Inflation
Laut dem Berater des staatlichen Verbands der Islamischen Arbeitsräte, Faramarz Toufighi, liegen die Lebenshaltungskosten für eine dreiköpfige Familie in iranischen Grossstädten derzeit bei etwa 29 Millionen Toman, in kleineren Städten bei 23 Millionen Toman im Monat. Das monatliche Gehalt eines einfachen Arbeiters liegt aktuell bei etwa 10 Millionen Toman. In bestimmten Bereichen der Dienstleistungsbranche bekommen die Angestellten sogar noch weniger Lohn. Der geschätzte Lebensunterhalt von 29 Millionen Toman beinhaltet dabei noch keine unerwarteten Ausgaben wie etwa die enorm hohen Behandlungskosten im Krankheitsfall, die nur teilweise von den Krankenkassen gedeckt werden.
In den vergangenen Monaten haben viele Beschäftigte privater und öffentlicher Unternehmen Protestkundgebungen veranstaltet, um auf ihre verheerende Situation hinzuweisen. Doch statt sich um die Probleme zu kümmern, haben die zuständigen Behörden dafür gesorgt, dass die Organisatoren der Protestaktionen verhaftet oder entlassen wurden.
Am 18. März erklärte das iranische Arbeitsministerium, dass die Arbeitgeber bereit seien, die Gehälter der Beschäftigten um 35 Prozent zu erhöhen. Demnach wird der Durchschnittslohn der Arbeiter und Arbeiterinnen im neuen iranischen Jahr unter 14 Millionen Toman betragen. Doch diese Gehaltserhöhung steht in keiner Relation zu den Preiserhöhungen. Im laufenden Jahr ist der Preis für rotes Fleisch um 52 Prozent gestiegen, für Hühnerfleisch um 37 Prozent, schwarzer Tee kostet 111 Prozent mehr, Eier und Käse 51 Prozent. Die Preise für Zucker und Reis stiegen um 74 Prozent und 21 Prozent – um nur einige Beispiele zu nennen.
Aus diesem Grund arbeiten die minderjährigen Kinder vieler Arbeiterfamilien als Strassenverkäufer oder im Handwerk. Je größer die Kluft zwischen der Lohnerhöhung und der Inflation, desto mehr steigt die Zahl der Kinderarbeiter im Iran.
Wenn man durch die Strassen Teherans geht und die müden Gesichter der Menschen sowie die halb leeren Kleider- und Schuhgeschäfte sieht, die an den Tagen vor Neujahr boomen müssten, kommt man zu dem Schluss, dass die meisten Bewohner und Bewohnerinnen der Hauptstadt keinen Grund zur Freude am Nouruzfest haben, sondern mit Sorgen und Zukunftsängsten ins neue Jahr gehen. Und die wirtschaftliche Situation in den meisten Provinzen ist noch schlechter.
*Afra ist ein Pseudonym, unter dem eine im Iran lebende Aktivistin für das Iran Journal schreibt.
Mit freundlicher Genehmigung Iran Journal