Wasserwanderer sind auf Yacht- und Clubhäfen angewiesen. In Deutschland sind diese ein Spiegel der vielfältigen Vereinskultur.
Es ist schon 18 Uhr, als wir endlich aus der Schleuse Viereth fahren und für die letzten paar Kilometer bis Bamberg den fast zweihundert Meter langen Schubverband überholen können. Während mehr als fünf Stunden hatten wir hinter dem langsamen Schiff geklebt; vorher zu überholen wäre sinnlos gewesen, denn an der nächsten Schleuse hätte man uns wieder auf unseren Schleusenkameraden warten lassen.
Noch in der Schleuse hatte ich die Hafenchefin des Motorbootclubs Regnitz-Main Bamberg, bei der ich am Vorabend einen Liegeplatz reserviert hatte, telefonisch unterrichtet, in einer halben Stunde seien wir nun endlich da. Sie hätte den ganzen Nachmittag auf uns gewartet und sei jetzt zuhause, hörte ich sie etwas verärgert sagen, aber wir würden unseren Platz auch ohne sie finden. Sie erklärte mir, wo wir einen Schlüssel für das Tor zum Clubgelände fänden.
Ankunft in Bamberg
Vorsichtig fahren wir unterhalb Bambergs in den linken Regnitzarm, einen gut zwanzig Meter breiten, ziemlich schnell fliessenden Nebenfluss des Main. Obschon ich im Flussführer gelesen habe, die Regnitz sei hier genügend tief für unser Schiff, lasse ich kein Auge vom Tiefenmesser, denn schon oft hatte unser Schiff die Differenz zwischen Theorie und Realität schmerzlich zu spüren bekommen. Doch hier scheint alles in bester Ordnung. Nach kürzester Zeit liegt die Solveig am Gästesteg, einem kleinen Quai, welches – wie wir später erfahren – von den Gründern des Vereins vor dreissig Jahren über eine Länge von gut hundert Metern vor der steilen, dicht bewachsenen Uferböschung in den Fluss hinaus gebaut worden war.
Wer auf deutschen Flüssen unterwegs ist, lernt unweigerlich das reichhaltige System der vielen Motorboot-, Motoryacht-, Wassersport-Clubs (oder wie sie alle heissen) kennen, welche in ihren Häfen meistens auch ein paar Gastliegeplätze halten und diese gegen eine Gebühr für die Übernachtung von Wasserwanderern zur Verfügung stellen. Die Art, wie die Häfen gebaut, gepflegt, organisiert und mit Hinweistafeln verziert sind, sagt dem Besucher schon einiges über den Verein. Oft geben anwesende Vereinsmitglieder zusätzliche Auskunft, aber manchmal bleibt es bei Mutmassungen, weil man am nächsten Tag weiterfährt, ohne eine Person getroffen zu haben.
Geld und Schlüssel bitte deponieren
Bamberg scheint uns eher ein kleiner Club. Stromabwärts vom Gästeplatz liegen gerade einmal sechs Boote, vermutlich von Clubmitgliedern. Sie sind an kleinen Flössen festgemacht, welche mit dem Quai durch ein Scharnier verbunden sind, um Wasserstandschwankungen der Regnitz auffangen zu können.
Der Hafen hätte noch Platz für ein paar weitere Boote. Das schmale Grasband entlang des Quais ist frisch gemäht. Unter einem kleinen Zelt stehen Tisch und Bänke, daneben ein grosser Grill, der offenbar schon einige Zeit nicht mehr benutzt worden ist. Auf einem gelben Schild – es muss Jahrzehnte alt sein – lesen wir: „Clubgelände – Betreten verboten – Eltern haften für ihre Kinder.“ Am Strunk einer Weide finde ich eine Steckdose für den Stromanschluss der Gastboote. Am gleichen Strunk ist ein kleines Lavabo fixiert, daneben ein Wasserhahn mit Schlauch, als ob der alte Baum Spender von Wasser und Strom wäre. Das Schild „Kein Trinkwasser“ provoziert allerdings die Frage, ob man hier den eigenen Wassertank überhaupt auffüllen sollte.
Ich steige ein paar Treppenstufen das Flussbord hoch und finde hinter einem Strauch einen mit einem Zahlenschloss gesicherten Metallschrank. Die Hafenmeisterin hat mir am Telefon die Kombination verraten. Tatsächlich: Sesam öffne dich. Im Schrank finde ich einen Schlüssel für das Tor, durch das wir das Clubgelände verlassen können, ebenso einen Aktenordner mit Anmeldeformularen, Preisliste, Stadtplänen von Bamberg, einem ausführlichen amtlichen Bericht über die Wasserqualität, welcher das Schild „Kein Trinkwasser“ relativiert und eher als Vorbeugemassnahme gegen amerikanische Schadenersatzklagen erscheinen lässt. Man möge, so wird der Gast gebeten, beim Wegfahren das ausgefüllte Formular zusammen mit dem Geld und dem Schlüssel bitte im Briefkasten neben dem Metallaschrank deponieren.
Werk von Freiwilligen
Am nächsten Tag treffen wir einen älteren Herrn beim Putzen eines der im Hafen liegenden Boote. Er sei Gründungsmitglied des Clubs. Vor dreissig Jahren hätten hier – nach langen Verhandlungen mit den Wasserbehörden – die ersten Mitglieder mit grossem persönlichem Einsatz ein steiles Flussufer in einen kleinen Schiffsanleger verwandelt.
Allerdings müssten im Winterhalbjahr alle Schiffe ausgewassert, die Einrichtungen, auch die kleinen Flosse, das Zelt, die Stromleitungen abmontiert und zehn Meter weiter oben deponiert werden. Das Hochwasser im Main und in der Regnitz könne im Winter den Wasserspiegel um mehr als vier Meter ansteigen lassen, manchmal passiere das auch im Sommer, was jeweils einen Grosseinsatz aller Clubmitglieder zur Sicherung der Boote und der Steganlage erfordere. Meine Frage nach dem Nachwuchs trifft offensichtlich eine wunde Stelle, ich bohre nicht weiter.
Wechsel zur Generation Fun
Über das Problem des Generationenwechsels erfahren wir mehr im Sportboothafen Mainkur, einem in einer alten Schleuse eingerichteten Anleger einige Flusskilometer oberhalb von Frankfurt. Hier liegen um die dreissig Boote. Bodo, der Hafenmeister, ist vom Trägerverein fest angestellt. Sein Büro hat er im alten Schleusenhaus eingerichtet; hinter seinem Schreibtisch prangt das elektromechanische Schaltpult der alten Schleuse aus den Dreissigerjahren des letzten Jahrhunderts, eine Trouvaille für Techniknostalgiker, die an ein altes elektromechanisches Stellwerk der SBB erinnert.
Bodo sorgt für Ordnung, schneidet Gras, Büsche und Bäume, hilft bei kleinen Schiffsreparaturen – ein Volljob, wie er sagt, den er seit bald zwanzig Jahren mache. Man spürt eine gewisse Resignation, wenn er die Gegenwart mit den „alten Zeiten“ vergleicht, als die Freiwilligenarbeit eine Selbstverständlichkeit war. Zwar gäbe es auch jüngere Clubmitglieder, aber die seien nur noch an schnellen Booten, an Wasserski und Saufgelagen interessiert und würden lieber zahlen als helfen. Es sei dahingestellt, ob Bodos Eindruck tatsächlich einen zeitlichen Trend oder seine persönliche Entwicklung, quasi seine innere Uhr, widerspiegelt.
Nobel und gnädig
Dann gibt es auch die vornehmen Clubs, bei denen es gar keine Frage ist, dass Comment und Umgangsformen von Generation zu Generation weitergegeben werden. Der Yachtclub Miltenberg gehört dazu. Das Clubgelände gegenüber der alten Stadt ist tadellos gepflegt, das Clublokal nicht einfach in einem Container oder Zelt untergebracht, das im Winter abgebaut und in Sicherheit gebracht werden muss, nein, das vornehme, solid gebaute Clubhaus steht auf vier Meter hohen Stelzen über dem Fluss und übersteht jedes Hochwasser.
Dort gibt es für Mitglieder und Gäste Duschen und WCs. Alles ist tipptopp sauber, überall hängen Verhaltensmassregeln, so dass man sich beim Duschen ständig fragt, ob man den Ort tatsächlich so sauber verlassen könne, wie man ihn angetroffen hat, und ob es nicht besser gewesen wäre, die eigene Dusche an Bord, so eng sie auch sein möge, zu benützen. Der Gastlieger wird freundlich, aber irgendwie auch gnädig empfangen, die Liegegebühren sind deutlich über dem Durchschnitt, aber man hätte Hemmungen, dies gegenüber dem inmitten seiner Mitglieder residierenden Clubpräsidenten anzumerken.
Bodenständige Variante
Dann gibt es auch die Bodenständigen. In Mainstockheim, etwas stromaufwärts von Kitzingen gelegen, liegt der Hafen des Motor-Yacht-Clubs Ansbach. (Wie Ansbach, westlich von Nürnberg und weit weg vom Main gelegen, zu diesem Club gekommen ist, das wäre eine andere Geschichte.) Hier regiert das gute Handwerk – fast wähnt man sich bei den Meistersingern von Nürnberg. Das Clublokal ist im 150-jährigen ehemaligen Fährhaus untergebracht.
Die Fähre gibt es noch immer, aber der Fährmann lebt nicht mehr am Fluss wie in früheren Zeiten, als man ihn wohl zu allen Tages- und Nachtzeiten mit dem Ruf „Fährmann, hol’ über“ aufbieten konnte. Sie fährt über den kaum fünfzig Meter breiten Main zwischen Mainstockheim und Albertshofen hin und her und bietet Platz für drei oder vier Autos. Das alte Haus ist ein Bijou. Die Clubmitglieder haben es vor Jahren selber ausgebaut. Im Versammlungslokal findet man wunderbar gearbeitete Tische und Bänke aus massivem Nussbaumholz. Fast verschämt hebt der Präsident, der mir das Haus zeigt, eine Ecke des Tischtuches beim Tisch des Präsidiums und zeigt mir das schön verarbeitete und lackierte Holz.
Im Gegensatz zu Frankreich, wo Anlegemöglichkeiten für Boote fast immer von der Stadt oder Gemeinde zur Verfügung gestellt werden (manchmal gegen eine Gebühr, oft aber im Sinne der Förderung des lokalen Gewerbes auch gratis), hat der Staat in Deutschland die Initiative fast überall den Bootsvereinen überlassen.
Zaungäste und Strassenmusikanten
Auch hier gibt es Ausnahmen: Die Stadt Schweinfurt besitzt einen langen Quai mitten in der Stadt, wo Boote über Nacht liegen können. Es gibt dort zwar weder Strom noch Wasser und auch sonst keinerlei Infrastruktur, sondern nur Poller, um die Boote festzumachen, was allerdings den vorgeblichen Betreiber der Anlege nicht davon abhält, am Abend vorbeizukommen und zehn Euro einzukassieren. Er hätte die Poller zum Festmachen der Schiffe auf eigene Kosten montieren lassen, lautete seine Begründung für den Preis.
Vor einigen Tagen wären wir darüber fast in einen Streit geraten, aber zum Glück feierte die Stadt Schweinfurt an diesem Sonntag ihr alljährliches Musikfest „Pflasterklang“, an dem tagsüber überall in der Stadt Strassenmusikanten stehen, die sich dann abends entlang des Stadtquais für ein grosses Schlussbouquet zusammenfinden.
Wir waren ahnungslos, als wir am Nachmittag dort angelegt hatten, und sahen uns beim Einnachten – ich hatte unseren kleinen Grill auf der Hafenmauer installiert – plötzlich von hunderten von Personen umringt, welche unsere Vorbereitungen für das Nachtessen kommentierten und mit ihren Kindern beim Vorbeigehen ins Schiff starrten, als wären wir die ausgestellten Affen im Zoo. Uns hat es nicht gestört und wir genossen unseren privilegierten Platz. Die Musikgruppen spielten bis gegen Mitternacht, dann wurde es ruhig.
Am nächsten Morgen, es war ein Sonntag, setzten wir, den Pflasterklang im Ohr, unsere Reise beschwingt fort und hielten eine dankbare Gedenkminute ab für all die fleissigen und initiativen Menschen, welche mit ihrem Einsatz das Wasserwandern entlang der Flüsse nicht nur zu einem landschaftlichen Genuss machen, sondern auch zu einer Begegnung mit der reichhaltigen deutschen Vereinskultur.