Es ist fast wie immer in Salzburg: die Festspiele geben den Takt an, die Menschen kommen wieder von überall her, die Pandemie ist in den Hintergrund gerückt. Ganz an der Spitze der Festspiele hat nun allerdings etwas geändert: Nach 27 Jahren hat die bisherige Präsidentin Helga Rabl-Stadler die Verantwortung an Kristina Hammer abgegeben – und die kommt aus Zürich …
Mittelpunkt in Kristina Hammers Büro oben im Festspielhaus ist ein grosser ovaler Tisch. Hier haben alle Platz, wenn über Schauspiel, Konzerte, Opern und auch über Geschäftliches diskutiert wird. Jetzt sitzen wir in kleiner Besetzung am Tisch: Kristina Hammer am oberen, ich am unteren Ende. Die Sitzordnung ermöglicht, ohne Maske miteinander zu sprechen, denn ansonsten herrscht im gesamten Festspielbetrieb Maskenpflicht hinter den Kulissen, um vor allem die Künstler zu schützen.
«Festspiele in diesen Zeiten – darf man das?»
Wie geht es Ihnen, so nach der ersten Halbzeit, frage ich Kristina Hammer. «Sehr gut», sagt sie voller Begeisterung. «Die wunderbaren Premieren, die wir erleben durften, und die Reaktionen des Publikums sind so schön und überwältigend, dass es einem viel Kraft gibt. Ich finde, es ist uns gelungen, mit unseren Eröffnungsveranstaltungen eine nachdenkliche Tiefe zu zeigen, die nicht pathetisch war. Ich glaube, es ist sehr relevant gewesen, dass wir uns mit der Frage auseinandergesetzt haben: Festspiele in diesen Zeiten – darf man das?»
Schon in den beiden Jahren der Pandemie hat Salzburg die Frage mit «ja» beantwortet. Im ersten Jahr fanden die Festspiele eingeschränkt mit rund 100 Aufführungen vom 1. bis Ende August 2020 statt, im vergangenen Jahr wieder mit vollem Programm – und rigorosen Corona-Sicherheitsmassnahmen. Dieses Jahr ist alles lockerer, aber der Krieg in der Ukraine drückt auf die Stimmung. «Was mich bewegt hat, waren die Leute, die nach dem Eröffnungs-Festakt zu mir gekommen sind und sagten, sie hätten zum ersten Mal Tränen in den Augen gehabt beim Hören der Europa-Hymne. Es ist ihnen dabei bewusst geworden, dass die Welt, in der wir hier sicher leben, nicht selbstverständlich ist und dass man achtsam sein soll.»
Ihr selbst, so betont sie, sei vor allem auch Schostakowitschs Sinfonie Nr.13 zu Beginn der Festspiele sehr nahe gegangen. «Diese dramatische Musik reflektiert das unendliche Leid, das in Babi Jar passiert ist.» Damals haben deutsche Truppen im Zweiten Weltkrieg innerhalb von zwei Tagen 33’000 jüdische Männer, Frauen und Kinder bei Kiew umgebracht. «Und das liegt nur 20 km von Butscha entfernt … Die Stimmung an diesem Abend im Festspielhaus war ergreifend.»
Wirtschaftsjuristin und Unternehmerin
Bevor Kristina Hammer Präsidentin der Salzburger Festspiele wurde, leitetet sie als selbständige Unternehmerin eine Kommunikationsberatung in Zürich und hatte zuvor Managementerfahrungen in Deutschland, Österreich und England gesammelt. Sie ist Wirtschaftsjuristin und besitzt die deutsche und Schweizer Staatsbürgerschaft. Ihre Affinität zur Musik führte sie auch in den Vorstand der Freunde des Opernhauses Zürich.
In Salzburg steht nun auch die Sanierung und der Ausbau der Festspielstätten und der technischen Infrastruktur unter der Leitung des Kaufmännischen Direktors Lukas Crepaz an. Das kostet Geld. Zusätzlich zu den übrigen Kosten.
Hat Kristina Hammer vielleicht schon Sponsoren aus der Schweiz mitgebracht? Sie lacht … «Natürlich bin ich von Anfang an in Gesprächen mit Sponsoren …, aber ich kann noch nichts verraten. Wir prüfen, wer in unser Portfolio passt.» Solway aus der Schweiz passt jedenfalls wegen der Menschenrechtsverletzungen im Bergbau nicht mehr nach Salzburg. Stattdessen springt die Würth-Gruppe zusätzlich zur Ouverture Spirituelle beim Jugendprogramm ein. Und das Jugendprogramm liegt Kristina Hammer sehr am Herzen. Schliesslich sind die Kinder von heute das Publikum von morgen. Einer der Hauptsponsoren der Festspiele ist aber weiterhin ein Unternehmen aus der Schweiz, die Firma Rolex.
Hellseherische Kräfte?
Wenn man einen Blick auf die verschiedenen teils düsteren und ernsten Opern und Konzerte wirft, könnte man den Eindruck bekommen, der Krieg in der Ukraine habe bereits im Spielplan seine Spuren hinterlassen. «Jemand hat unserem Intendanten auch schon die Frage gestellt, ob er hellseherische Kräfte habe, dass er solche Werke programmiert hat, die sich so intensiv mit der aktuellen Situation auseinandersetzen», sagt Kristina Hammer und fügt bei: «Ich denke, ich spreche für viele Menschen, wenn ich sage, dass das diesjährige Programm keinen unberührt lässt.»
Neben dem Emotionalen spricht aber gleich auch die Geschäftsfrau aus ihr, wenn sie anfügt: «Was nicht zu erwarten aber zu erhoffen war, ist der Kartenverkauf: Wir befinden uns auf dem vorpandemischen Niveau des Rekordjahres 2019. Das liegt wohl auch am Mut des vorherigen Direktoriums, das die Salzburger Festspiele mit einem ausgefeilten Sicherheitskonzept und personalisierten Tickets durch die Pandemie geführt hat. So haben wir unser grosses Stammpublikum nicht verloren.»
Und welche Erfahrungen aus Zürich hat Kristina Hammer in Salzburg einbringen können? «In Zürich bekam ich einen ersten Einblick hinter die Kulissen eines Opernbetriebes. Das hat meinen Willen und die Begeisterung für diese Arbeit entfacht, weil ich gesehen habe, wie nützlich es sein kann, wenn man sowohl kunstaffin ist, aber von aussen kommt, sprich Erfahrungen aus der Wirtschaft einbringt und – ganz wichtig! – wenn man die Besucherperspektive beibehält. Ich wurde schon im Vorstand der Freunde des Opernhauses in Zürich gerne um meine Meinung gebeten, als jemand aus einer anderen Generation, mit anderem beruflichen Hintergrund und gelebter Internationalität. Und bei ungewohnten Ideen hiess es, wir wissen nicht, ob’s funktioniert, aber probieren wir es doch mal! Diese Einstellung gefällt mir.»
Heisst das, dass sie nun auch gleich Veränderungsvorschläge im Gepäck hat? Kristina Hammer lacht wieder … «Erst will ich eine Saison vollständig erleben. Und diese ist kaum zu toppen: 174 Vorstellungen an 17 verschiedenen Spielorten an 46 Tagen und 74 Nationen im Publikum. Das ist einzigartig und das müssen wir erhalten. Hugo von Hofmannsthal hat ja so richtig gesagt: Wir müssen uralt Lebendiges immer wieder aufs Neue lebendig machen.
Aber natürlich gibt es Themen, die wir angehen müssen. Die Digitalisierung beschäftigt uns wie alle anderen Kulturbetriebe auch. Wie werden wir künftig mit unserem Publikum kommunizieren, über welche Kanäle, in welchen Medien, in welcher Tiefe und welcher Breite, und wie bleiben wir unseren Besuchern das ganze Jahr im Gedächtnis. Wir können auch nicht davon ausgehen, dass sich das Publikum vor der Vorstellung in der Tiefe über ein Stück kundig gemacht hat und wir wollen schauen, dass wir das richtige Mass an Information für die richtige Person analog und digital anbieten können.»
Der «Fall Currentzis»
Einer der grossen Diskussionspunkte vor und zu Beginn der Festspiele war dieses Jahr der Auftritt und das Engagement von Teodor Currentzis. Soll er, darf er, muss er in Salzburg dirigieren? Wie sieht die neue Präsidentin den «Fall Currentzis»?
«Teodor Currentzis ist einer der aussergewöhnlichsten Dirigenten unserer Zeit und ein Mensch, der subtile, aber sehr klare Zeichen setzt. Intendant Markus Hinterhäuser war und ist eine differenzierte Haltung in Bezug auf das Auftreten russischer Künstler wichtig und damit war und ist die Position der Salzburger Festspiele eindeutig dargestellt.
Diese Einstellung ist von Anbeginn des fürchterlichen Angriffskrieges in der Ukraine die gleiche: Auf unseren Bühnen wird niemand auftreten, der sich proaktiv und positiv zu diesem Krieg beziehungsweise Putin positioniert. Wir haben aber ebenso betont, dass man von Künstlern, die sich nie positiv gegenüber dem Angriffskrieg und dem Regime gezeigt haben, nicht verlangen könne, sich zum Krieg zu äussern. Denn wenn sie das tun, können sie in Russland mit bis zu 15 Jahren Gefängnis bestraft werden. Daher muss man hier mit einer westlichen Erwartungshaltung sehr vorsichtig sein.
Und manchmal geht es nicht nur um die eigene Person; der gebürtige Grieche Teodor Currentzis trägt Verantwortung für seine Musiker und seinen Chor. In einem kürzlich erschienenen Fernsehinterview betont er: ‚Ich bin Grieche. Und Griechenland hat ein wichtiges Wort hervorgebracht: Demokratia – Demokratie. Dieses Wort bedeutet mir viel. Es bedeutet, dass jeder Mensch über sich selbst entscheiden kann‘.»
Teodor Currentzis hat seit der Premiere ohne jeglichen Protest, dafür mit Erfolg und unter grossem Applaus die düstere Geschichte von Béla Bartóks «Herzog Blaubarts Burg» und Carl Orffs «De temporum fine comoedia», dem «Spiel vom Ende der Zeiten», auf der grossen Bühne der Felsenreitschule dirigiert und Schostakowitschs Sinfonie Nr.13 zu Beginn der Festspiele.
Drei visionäre Gründerpersönlichkeiten
Dann wirft Kristina Hammer in diesem Zusammenhang noch einen Blick zurück auf die Ursprünge der Salzburger Festspiele vor 100 Jahren: «Die Festspiele sind von drei visionären Männern gegründet worden. Das waren Hugo von Hofmannsthal, Max Reinhardt und Richard Strauss. Ein Schriftsteller, ein Schauspieler und Regisseur, ein Komponist. Diese drei Männer haben bereits während und nach den fürchterlichen Ereignissen des Ersten Weltkrieges und übrigens auch nach einer Pandemie, der Spanischen Grippe, Festspiele in Salzburg gegründet, mit dem Gedanken, Nationen zusammenzuführen. Dieser Friedensgedanke und auch der Gedanke von Humanität und Offenheit ist bis heute unser Auftrag.»
Vom Festspielhaus hört man wieder die Glocke klingeln. Das Nachmittagskonzert beginnt. Jonas Kaufmann singt u. a. Lieder von Richard Strauss. «Merci vielmal …», sagt Kristina Hammer ganz schweizerisch zum Abschied und macht sich auf den Weg zu ihrem Platz im Grossen Festspielhaus.