Kaum sind die Schalmaienklänge von Wirtschaftskoryphäen wie Klaus Wellershoff und vielen anderen verklungen, dass der G-20-Gipfel deutliche und klare Zeichen für die Beruhigung der Finanzmärkte gesetzt habe, ergänzt eine italienische Opera buffa die griechische Tragödie. War natürlich mal wieder unvorhersehbar, dass ein riesiger Schuldenberg, eine stagnierende Wirtschaft und eine in Agonie liegende Regierung Italien an den Rand treiben.
Unvorstellbar oder unvorhersehbar?
Unvorhersehbar war das allerdings nur für alle, die lieber den Kopf in den Sand stecken, die Augen schliessen und zur Sicherheit auch noch mit den Händen abdecken. Man wollte es sich schlichtweg nicht vorstellen, dass die drittgrösste Wirtschaftsmacht der Euro-Zone in Schieflage geraten könnte. Der Primärhaushalt Italiens sei doch positiv, also ohne Schuldzinsen decken die Einnahmen die Ausgaben, das Land könne doch gar nicht mit Griechenland oder Portugal verglichen werden, und überhaupt.
Nun, inzwischen sind die Realzinsen für 10-jährige italienische Staatsanleihen auf über 7 Prozent gestiegen, und Ausfallversicherungen darauf kosten mehr als 5 Prozent. Das bedeutet konkret, dass der italienische Staat für heute geliehene 500 Millionen Euro in zehn Jahren das Doppelte zurückzahlen muss, also 1 Milliarde. Müsste, denn natürlich kann er das nicht.
Ach, die Märkte
Die Märkte, man muss langsam wirklich Mitleid mit ihnen haben, reagieren schon wieder erschreckt, verunsichert, gar leicht panisch, nachdem sie doch die Ergebnisse des G-20-Gipfels noch vor wenigen Tagen mit kleinen Kursfeuerwerken begrüsst hatten. Vielleicht sollte man den armen Märkten mal Valium verabreichen oder gleich einen ganzen Cocktail, ergänzt durch Antidepressiva, Stimmungsaufheller und Stabilisatoren.
Oder man könnte endlich zur Kenntnis nehmen, dass nicht die Märkte Stimmungsschwankungen unterliegen, sondern die Marktteilnehmer. Also in erster Linie professionelle Trader an den Börsen, die, unterstützt von Heerscharen von Analysten, die ihre Supercomputer beinahe bis zur Kernschmelze treiben, mit wissenschaftlicher Präzision die richtigen Entscheidungen treffen. Oder nicht.
Und weil der Mensch bekanntlich ein wankelmütiges Wesen ist, werden ja sowieso weltweit mehr als 50 Prozent der Börsengeschäfte direkt von mathematische Algorithmen umsetzenden Computern getätigt.
Stecker raus
Computer können heutzutage ja vieles. Aber hektisch, nervös, betrübt oder panisch werden, das können sie nicht. Ausserdem haben sie einen unschlagbaren Vorteil: Wenn man den Stecker rauszieht, dann herrscht Ruhe im Computer. Bei Analysten, Chartspezialisten, Entwicklern von modernen finanziellen Massenvernichtungswaffen und anderen modernen Schamanen ist das leider nicht so einfach.
Die haben sich ein fast perfektes Perpetuum mobile gebaut. Um angeblich Gefahren abzuwenden, die erst durch ihr unnützes Tun entstanden sind, verdienen sie sich ein zweites Mal dumm und dämlich. Dabei ist ihre Tätigkeit schlicht und einfach im besten Fall nutzlos, im schlechtesten Fall schädlich.
Und Italien?
Wie soll es nun weitergehen mit Bella Italia, dem Euro und schon wieder im Regen stehenden Rettungsschirmen? Nun, man kann die bisherige Logik eines Tollhauses weiter anwenden und beschliessen: Okay, Italien ist ja doch ein wenig grösser als Griechenland, also spannen wir einen neuen Rettungsschirm von, ach, seien wir grosszügig, von 10 Billionen Euro auf. Ach was, das entspricht doch auch nicht dem echten europäischen Geist. Nehmen wir doch gleich eine Fantastillion, die können wir uns bei Dagobert Duck leihen.
Oder aber, ein Fünkchen Hoffnung besteht noch, der Euro in seiner heutigen Form wird endlich, endlich beerdigt. Dann stürzt das europäische Haus vielleicht nicht zusammen. Und immerhin, in der sicheren Gewissheit, dass man auf das Kurzzeitgedächtnis der Öffentlichkeit immer vertrauen kann, hat auch Ökonom Wellershoff sanft seine Meinung geändert. Inzwischen stellt sich für ihn sogar «die Frage nach der Zukunft des Kapitalismus», wie er dem «Tages-Anzeiger» gesteht. Da sind wir ja mal gespannt auf die nächste, vorläufige Antwort.