Die Schweizerische Volkspartei nimmt für sich in Anspruch, in ihren Reihen die wahren, die richtigen Schweizerinnen und Schweizer zu versammeln. Sie versteht sich als Garantin echten Schweizertums (was immer das ist), sie zelebriert ununterbrochen das „Erfolgsmodell Schweiz“ und tut so, als sei sie die verlässlichste Hüterin der Faktoren -Freiheit, Unabhängigkeit, Neutralität -, die dieses Modell so erfolgreich werden liessen.
Gemeinsamen Herzens
Auffällig oft legt sie auch ein Bekenntnis ab zur Konkordanz. In einer Welt, die aus den Fugen zu geraten droht, ist Konkordanz nicht nur ein vernünftiges, sondern auch sehnsuchtsbehaftetes Prinzip, drückt es doch das Bedürfnis nach Friedfertigkeit aus. Schliesslich ist die Konkordanz nah verwandt mit der guten alten Concordia - ein Wort, in dem mitten drin der lateinische Ausdruck für Herz (cor) steckt und das nichts anderes meint, als “gemeinsamen Herzens“ sich einer Sache anzunehmen. Wer schmückt nicht alles seinen Namen mit der Concordia. Krankenkassen und Berghütten, Sportvereine und Restaurants, Studentenverbindungen, Freimaurerlogen und Gewerkschaften heissen so.
Das Betriebssystem namens Kompromiss
Selbstverständlich ist Konkordanz nicht identisch mit Concordia und sie löst allein auch noch kein Problem. Dazu braucht es eine Art Betriebssystem. In der Schweiz hat sich diesbezüglich der Kompromiss etabliert, wozu es allerdings eines langen und oft schmerzhaften Prozesses bedurfte. Erst im Gefolge des Generalstreiks von 1918, der das Land tüchtig durchschüttelte, fand sich der alles beherrschende Bürgerblock zu Kompromissen in der Machtverteilung bereit, und knapp 20 Jahre später fochten in der Arbeitswelt die Sozialpartner harte Kämpfe aus, bevor sie sich auf das Friedensabkommen einigen konnten.
Natürlich soll man die Vergangenheit nicht glorifizieren. Damals flogen die Fetzen - und wie! Aber der Streit hatte ein Resultat. Die erwähnten Wendepunkte waren in gewisser Weise Gross-Kompromisse, denen nach dem Krieg, als es wirtschaftlich aufwärts ging und die „Verteilmasse“ anstieg, hunderte von kleineren folgten. So wurde dieses Prinzip allmählich zum Markenzeichen der Schweizer Politik. Zwar schnödete man darüber, viele fanden solche Konsensfindung langweilig, das Ausland belächelte sie. Doch ist nicht zu leugnen, dass das Land gut damit gefahren und der Kompromiss zu einem wesentlichen Faktor des viel gepriesenen Erfolgsmodells geworden ist.
Die Verabsolutierung
In der jüngeren Vergangenheit flogen ebenfalls die Fetzen. Resultat: Blockade. Das lag daran, dass sich die Bereitschaft zu Kompromissen verflüchtigte. Insbesondere die SVP schwang sich wiederholt in geradezu bonapartistischer Manier aufs hohe Ross und deklarierte: Was wir sagen, ist das einzig Richtige. Entweder wird es so gemacht, oder wir sind dagegen. Sie verabsolutierte ihre Positionen, ihre Forderungen nahmen immer häufiger ultimativen Charakter an, und weil die andern sich nicht immer brav duckten, entwickelte sie sich zur sturen Neinsager-Partei, die - nicht selten im Verbund mit der Linken, die vom Dogmatiker-Virus auch nicht ganz verschont blieb - Vorlage um Vorlage bodigte.
Wenn der Kompromiss das typische Merkmal schweizerischer Lösungsfindung ist, dann hat sich die SVP in den vergangenen Jahren zutiefst unschweizerisch verhalten. Es ist höchste Zeit, dass die Partei wieder zur Vernunft zurückkehrt. Gerade jetzt, wo sie so stark wie nie zuvor geworden ist. Zwar beteuern die SVP-Häupter seit dem Wahlsieg, man wolle Verantwortung übernehmen. Das aber schliesst auch ein, dass man sich kooperativ zeigt. Die politische Landschaft der Schweiz ist zu vielfältig, als dass eine Partei allein ihr den Stempel aufdrücken könnte, auch wenn diese Partei mit fast 30 Prozent Wähleranteil die meisten Pfunde in die Waagschale wirft. 70 Prozent der aktiven Stimmbürger lehnen sie immerhin ab.
Blick auf die Bundesratswahl
Daher wird entscheidend sein, dass die Vereinigte Bundesversammlung, wenn sie im Dezember zur Neuwahl der Bundesräte zusammentritt, der SVP und ihren Kandidaten ihrerseits den Tarif durchgibt: entweder loyale Kooperation oder Status quo.