“Also, unsere Tochter Lisa, ich muss schon …”
“Schsch, die Kleine hört mit, wenn du so laut sprichst, Roger.”
“Gut, ich bin leise. Aber, Marie-Lou, jedes Mal, wenn sie von den Grosseltern zurückkehrt, hat sie diese Ideen.”
“Roger, dein Vater ist Kommunist, was willst du tun?”
Aus dem Kinderzimmer hört das Ehepaar Rightwing einen Seufzer. Nur leise jetzt!
“Aber, Herrgott, Lisa ist erst fünf. Und heute hat sie erzählt: Die Banker sind Schweine. Weisst du, was sie gesagt hat: Die Boni-Banker! Und die SVP sind Rechtsextreme. Marie-Lou, kannst du dir das vorstellen: Unsere Lisa sagt, die SVP sind Rechtsextreme!”
“Ein bisschen sind sie es schon, oder?”
Roger Rightwing steht auf und nimmt sich ein Schweppes Tonic aus dem Elternzimmer-Eisschrank. “Ja, aber, zum Teufel. Lisa erzählt das im Kindergarten herum. Und die Mitschüler erzählen es ihren Eltern. Und es heisst dann: Roger Rightwing hat eine linke Tochter.”
“Schscht, Roger.”
Sie hören ein Murmeln aus dem Kinderzimmer.
“Ja aber sorry, wir sind doch keine Faschisten. Die in Brüssel sind Faschisten. Die EU ist faschistisch. Lisa hat das alles falsch verstanden. Mein Vater bläut ihr diesen kommunistischen Mist ein, und sie kommt in den Kindergarten zurück und schreit: Es lebe Karl Marx. Marie-Lou, so kann das nicht weiter gehen. Entweder sie geht nicht mehr in den Kindergarten oder sie geht nicht mehr zu meinem Vater, diesem kommunistischen Arschloch.”
Die fünfjährige Lisa steht plötzlich im Elternschlafzimmer. Sie macht das Licht an und schreit: “Ich höre euch. Und es stimmt nicht, dass der Grossvater ein Arschloch ist. Er hat recht: Papa ist ein verdammter Rechtsextremer.”
“Komm zu mir, sagt Marie-Lou, “nimm es nicht so ernst. Papa hat einen schlechten Tag.”
Roger Rightwing brüllt jetzt: “Und du nimmst die Göre in Schutz? Und du findest es richtig, dass sie im Kindergarten erzählt, ich sei ein reaktionärer Unmensch? Jawohl, das hat sie gestern auch noch gesagt: Reaktionärer Unmensch.”
Roger Rightwing kennt das Ritual. Er steht auf und begibt sich in das Gästezimmer. Mutter und Tochter allein. Die Göre hat sich durchgesetzt. Das Kind schmiegt sich an die Mutter. Roger Rightwing krümmt sich im Nebenzimmer in den Schlaf.
“Ist Papa wirklich so böse, wie alle sagen?”, fragt Lisa.
Die Mutter wiegt sie in den Schlaf. “Aber nein, Papa ist ein guter Mensch.” “Aber Papa will, dass Kinder wie ich Fussbälle zusammen nähen. Und dass die Armen nichts zu essen bekommen.”
“Aber nein, liebes Kind. Das will er bestimmt nicht. Papa liebt dich.”
“Aber die Reichen sind doch böse? Sie wollen nur alles für sich haben. Das sagt Grossvater. Und die Boni-Banker…”
“Weisst du, Grossvater ist ein alter Mann. Schlaf jetzt, liebes Kind.”
“Aber Papa. Sie nennen ihn… wie war es? Generalissimo-im-Taschenformat. Das hat Selina von ihrem Vater gehört.”
“Papa war bis zur dritten Primar auch Kommunist, das ist normal, Lisa. Später ist er doch ein anständiger Rechtsextremer geworden.”
Lisa ist eingeschlafen.
Roger Rightwing ist im Gästezimmer eingeschlafen.
Der Mutter fallen die Augen zu.
Alles in Ordnung an der Villenbergstrasse 223.
Roger schlief mit einem letzten Gedanken ein: Sonst hat man ja alle für sich. Nur in der eigenen Familie nicht. Da sitzen die Verräter.