Zur US-amerikanischen Kultur gehört die Werbung - bis hin zur Unkultur der Superlative und der Manipulation. Unser Bild von New York verbindet sich rasch mit der Times Square und ihrem schrill und grell werbenden Lichterspektakel. Der Kapitalismus geht ins Auge. Dagegen wirkt Reklame auf Polizeifahrzeugen zwar komisch, aber sanft.
Bis zur Erstickungsgrenze
Wie die Welt aussieht, wenn die Werbung nach dem öffentlichen Raum auch den privaten überflutetet und uns rund um die Uhr mehr bedroht als kauflustig stimmt: dieser Weg bis zur Erstickungsgrenze, hinter der wir nur noch Werbebotschaften schlucken und einatmen, ist in den USA sehr erlebbar.
Die Werbekultur mit ihrer grafischen Ästhetik und ihrem witzigen Einfallsreichtum kippt ins Böse einer Diktatur. Die Social Media, diese Zauberlehrlinge, erleichtern die Vollendung dessen, was die klassischen Medien vorbereitet haben.
"Die Werbung zerschlagen"
Einigermassen tröstlich: Wo eine Kultur wegen ihrer schlechten Gene masslos über die Stränge schlägt, bauen sich Gegenkräfte auf. Sie sammeln sich unter dem Begriff "adbusters", was heisst, die "Werbung zerschlagen", "to bust the advertisement".
Im Riesenland, das flächendeckend für Rauchfreiheit sorgt und Kindergärten, Schulen und Spitäler mit waffenfreien Zonen schützt, "no weapons beyond this point", liegen werbefreie Oasen oder doch Gebiete mit Einschränkungen fürs Treiben aus den Marketing-Tollhäusern.
Eines der Beispiele ist Vermont. Der ländlichste Bundesstaat, auf knapp 25.000 km² mit rund 630.000 Einwohnern schwach besiedelt, praktiziert ein Verbot für grosse Reklametafeln im öffentlichen Raum. Keine Plakatwände versperren in den Städten und Dörfern die Sicht, keine Werbeflächen und Reklamemasten an den Strassen verunstalten die Landschaft. Sie kommt als Idylle zur Geltung. Die meist roten und gelegentlich gelben oder grauen Holzhäuser und die weissen Holzkirchen sind die optisch ungestörten Hauptdarsteller auf der weiten grünen Naturbühne. Das ist eine kulturelle Leistung.
Diskrete und normierte Metallschilder weisen an den Ortseingängen auf allgemein zugängliche Einrichtungen hin. Farmen, Gasthäuser und Gewerbebetriebe dürfen an ihren Fassaden kleine Schrifttafeln anbringen: gemalt, geschnitzt und unter Verzicht auf Neonlicht. Es ist wohltuend wie vor hundert und mehr Jahren. Der Neuengland-Staat wirbt ohne monströse Werbung für sich. Er lebt neben der Landwirtschaft und den Marmor- und Granitbrüchen ausgezeichnet vom Tourismus.
Vermont kennt die restriktive Werberegelung seit vierzig Jahren. Ähnliche Einschränkungen beschlossen Maine, Hawaii und Alaska.
Die Versuchung ist gross, sich auch in der Schweiz ein schöneres Zusammenspiel von Werbefreiheit und Freiheit von der Werbung zu wünschen.