Schon kurz nach dem Bekanntwerden des Vergleichs von Wegelin mit den US-Behörden legte Professor Peter V. Kunz den Ton vor. «Schlimme Sache für die Schweiz», «Problem für die übrigen Banken». Und dann spekulierte der Bankenbüttel sogar, Wegelin habe sich eine milde Strafe erkauft, indem sich die Bank als «Kronzeuge» zur Verfügung gestellt habe. Ein erbärmliches Niveau für einen Ordinarius.
Dann die Parteien
Als nächster meldete sich Nationalrat und CVP-Präsident Christophe Darbellay zu Wort. «Dazu ziehen Bruderer und Hummler noch den ganzen Schweizer Finanzplatz in den Dreck – für mich sind sie Verräter», schäumte der bekannte Wendehals aus dem Wallis in der «Aargauer Zeitung» ganz unchristlich. Nestbeschmutzer, gar Verräter sollen die beiden Teilhaber der Privatbank sein, die in New York als erste Schweizer Bankchefs persönlich Verantwortung für US-Recht verletzende Handlungen ihrer Mitarbeiter übernahmen? Im Wallis wird auch verbal scharf geschossen. Noch verblüffender dann der Auftritt des FDP-Präsidenten und Nationalrats Philipp Müller: «Das Wegelin-Vorgehen passt in die Kaskade von Schweinereien der von den US-Behörden zur Verantwortung gezogenen Banken», wütet der Aargauer in der «Sonntagszeitung». Und überhaupt, meint Müller: «Wir haben die Schnauze voll.» Das stimmt allerdings. Wer die Schnauze voll hat, sollte sie vielleicht besser halten.
Festhalten an einer Lüge
Was treibt einen Professor, zwei Parteichefs und inzwischen auch viele Kommentarschreiber dermassen zur Weissglut? Ein Satzteil in der Erklärung, die Wegelin vor dem Bezirksgericht in New York abgegeben hat. Die Bank habe nicht geglaubt, dass sie in den USA strafrechtlich verfolgt werde, weil sie «in Übereinstimmung mit und nicht entgegen Schweizer Gesetze handelte und solches Verhalten im Schweizer Bankgewerbe üblich war». Also US-Steuerpflichtigen dabei zu helfen, ihre Rechtspflichten zu verletzen. Hat sich Wegelin an (im Übrigen bis heute gültige) Schweizer Gesetze gehalten, die eine Bank nicht dazu verpflichten, den steuerlichen Zustand ihr anvertrauter Gelder zu überprüfen? Ja. War das auf dem Finanzplatz Schweiz üblich? Aber ja. Oder will jemand ernsthaft behaupten, dass ab 2009 jeder Schweizer Banker jeden Neukunden fragte: «Ist das Geld auch ordentlich versteuert, und wenn ja, können Sie mir das bitte beweisen?» Lachhaft.
Warum das Getobe?
Bislang lautete die verlogene Sprachregelung der Schweizer Banken, wenn sie bei der Beihilfe zu Steuerhinterziehung erwischt wurden: «Da haben bedauerlicherweise einige wenige Mitarbeiter gegen klare interne Reglemente verstossen. Leider fiel das auch der Kontrolle nicht auf, und selbstverständlich hatte die Bankleitung keine Ahnung davon.» Die betroffenen Kunden, die Mitarbeiter und ein paar subalterne Chargen wurden verraten und verkauft, während die Bankbosse ihre Hände in Unschuld wuschen und, wenn es eng wurde, in den USA einen Deal für sich selbst aushandelten. Nun stellen sich doch die Teilhaber einer Bank hin und sagen: Natürlich wussten wir davon, natürlich übernehmen wir die Verantwortung. Und natürlich war das im Bankgewerbe üblich. Futsch ist die Hoffnung der übrigen Banken, dass der Sündenbock Wegelin seine Schuldigkeit für alle anderen tut. Futsch ist die trügerische Sicherheit, dass die Steueraffäre zwar noch viel kosten wird, auch weiteren Bankmitarbeitern die Stelle. Aber doch sicher nicht das Wohlergehen von Bankenlenkern beeinträchtigen wird. Deshalb das Getobe.
Nützliche Idioten
So nannte der geniale Machtmensch Lenin andere, die unwissentlich seiner Sache behilflich waren. Was Kunz, Darbellay und Müller hier tun, erfüllt dieses Kriterium vollkommen. Besonders verwunderlich ist dabei der FDP-Chef, der seinem eigenen Parteimitglied Hummler dermassen an den Karren fährt. Und dazu noch deutlich Unlust zeigt, Schweizer Banken hilfreich beiseite zu stehen. Ausgerechnet der Präsident der Partei, die bislang und überall (man erinnert sich an den FDP-Bundesrat Merz: «Am Bankgeheimnis werdet ihr euch die Zähne ausbeissen») den Finanzplatz Schweiz mit seinen Dunkelkammern so lebhaft verteidigte. Ein Professor, zwei Parteipräsidenten, und viele weitere werden noch folgen. Unglaublich, und dennoch wahr. Aber wem nützen sie denn eigentlich?
Wahn und Wirklichkeit
Wahrscheinlich wollen sie mit ihren geschäumten Worten populistisch punkten und den Schwarzen Peter der Bank Wegelin zuschieben. Wahrscheinlich meinen sie sogar, damit dem Bankenplatz Schweiz und seinen Bankenlenkern einen Dienst zu erweisen. In Wirklichkeit nützen sie aber all denen, die diesen Finanzplatz niedermachen und ausbluten wollen. Denn wer meint, mit der verlogenen Heuchelei durchzukommen, dass spätestens ab 2009 keine Schweizer Bank mehr unversteuerte Gelder entgegennahm, irrt gewaltig. Wer meint, mit der verlogenen Heuchelei durchzukommen, wenn doch das nur die Taten von einzelnen Mitarbeitern waren, von denen die Geschäftsleitung aber überhaupt nichts gewusst habe, irrt gewaltig. Lüge und Heuchelei ist nie und nirgends eine nachhaltige Geschäftsgrundlage. Im Bankwesen nicht, in der Politik nicht und in Machtkämpfen zwischen konkurrierenden Finanzplätzen erst recht nicht.