Mit meinem Artikel „Fragwürdige Israelfreunde“ vom 30.4.2013 im Journal21 habe ich in ein Wespennest gestochen. Es ging um Kritik an der sogenannten „Jerusalemgruppe“ (Offiziell: Forum für Israel, www.israelforum.ch). Der Umfang der Reaktion hat mich überrascht. Meine bescheidenen Erwartungen wurden in einem Ausmass übertroffen, von dem ich mich noch nicht ganz erholt habe. Ich wurde mit diversen und perversen Bezeichnungen betitelt (Muster: Antichrist), die ich sammle, denn vielleicht sind sie in der Zukunft von soziologisch-psychologischem Interesse.
“Abtrünnige Christen“
Dieser Artikel wurde erst als offener Brief direkt an die Mitglieder der Jerusalemgruppe gesandt, mit der ernsthaften Aufforderung die darin angesprochenen Punkte zu diskutieren und Stellung dazu zu beziehen. Auch machte ich darauf aufmerksam, dass ich über das Thema publizieren würde, sollten sie ihrer Tradition frönen, alle Probleme unter den Teppich zu kehren, statt offen damit umzugehen. Meiner Aufforderung wurde nicht stattgegeben. So, kam die Publikation im Journal21 zustande. Extremistische Kreise, besonders aus dem religiösen und politischen Bereich, fegen unangenehme Wahrheiten über sich selbst gerne unter den Teppich, bis sie über den entstandenen Berg stolpern.
Mit einer Hysterie sondergleich wurde über mich und andere kritische Kollegen (Christen und Juden) hergefallen. Die Opfer der bisherigen Machenschaften der Gruppenwichtigen wurden als abtrünnige Christen bezeichnet, denn, so wurde mir später erklärt, nichts beleidigt evangelikale Extremisten so sehr, wie die Tatsache, dass eines ihrer Mitglieder zum Judentum übertritt. Damit besteht eine auffallende Ähnlichkeit zum Islam. Wiederholt wurde ich aufgefordert, meine Quellen aufzudecken, doch da ich inzwischen gelernt hatte, welch sozialem Druck, welch unflätigen Bedrohungen, Beschimpfungen und Verleumdungen zum Judentum übergetretene Ex-Evangelikale ausgesetzt werden, weigere ich mich Namen zu nennen.
Denken in Schwarz und Weiss
Viel ist seither geschehen, nur nicht die verlangte Stellungnahme oder gar eine offene Diskussion. Nur Unflätigkeiten, Sündenbocksuche und Rundumschläge. Anderes hatte ich eigentlich auch nicht erwartet, stehen doch extremistische Gruppen – ob religiös oder politisch - prinzipiell jeglicher offenen Diskussion feindlich gegenüber. Wissen sie doch alles besser und Selbstkritik ist ihnen auch in leichtester Form ein Fremdwort. Inzwischen habe ich viel hinzu gelernt, meine Kenntnisse und Erkenntnisse über radikal-evangelikale Christen und politisch kurzsichtige Juden, die sich dem evangelikalen Endzeit-Antisemitismus – verlogen als Israelfreundschaft deklariert – verkauft haben.
Hier eine Darstellung der Situation, von einem betroffenen Mitglied der Jerusalemgruppe selbst geschrieben, welche die heutige Situation der Jerusalemgruppe als Insider beschreibt (die Person ist mir bekannt). „Auch eine FFE (Fürsorgerische Freiheitsentziehung) in einer Klinik würde bei diesen Leuten nichts ändern, denn diese Art von "Geisteskrankheit" ist in den seltensten Fällen kurierbar, denke ich. Eine solch geballte Ladung an Hass, Lügen, Verdrehungen und Beschuldigungen habe auch ich bis jetzt nicht in dieser Form erlebt. Die unvergleichliche Höchstleistung dieser sogenannten "Israel-lover" besteht darin, dass sie sich jeglicher Kritik entgegenstellen… Religiös fundamentaler Extremismus ist letztendlich tödlich, weil einengend im Denken; die fehlende Dialogbereitschaft dieser Moralisten und ein Schwarz-Weiss-Denken führt zu einer Fanatisierung ihrer Lehren, duldet keinen Widerspruch und Andersdenkende sind ihre Feinde…
Warten auf ein christianisiertes Gross-Israel
Diese Beschreibung entspricht weitgehend meinen Erfahrungen der letzten Wochen, so wie ich sie „live“ miterlebt habe und noch miterlebe. Mir wurde telefonisch mitgeteilt, man sei nicht religiös, sondern gläubig. Mein subjektives Verständnis dafür ist, dass mit „religiös“ Ethik und Verhalten gemeint sind, während mit „gläubig“ das Abgeben des Hirns an den „Glauben“ gemeint ist, den denkfeindlichen Fundamentalismus, der fremdbestimmten „Gläubigen“ die Vernunft raubt. Der den hilflosen und denkfeindlichen Menschen zum Roboter bigotter Sektenführer macht. Eine grundsätzliche Erklärung über Glaube und Motivation evangelikaler Israelfanatiker stammt aus dem Blog der Freidenker-Vereinigung der Schweiz:
“Die Faszination der Evangelikalen für Israel ist nichts Neues: Der evangelikale Endzeitglaube verheisst nämlich, dass der “Messias” zurückkehre, wenn ein christianisiertes Gross-Israel erreicht sei, welches laut „Israel heute“ die Palästinensergebiete, den grössten Teil Libanons und einen Viertel Syriens umfasse (4. Mose 34,1-12). Darum mögen es die krasseren unter den Evangelikalen, wenn es im Nahen Osten so richtig eskaliert, weil sie auf Territorialgewinne für Israel hoffen, womit sie sich der Erfüllung dieser „Prophezeiung“ näher wähnen – schönes Verb, in diesem Zusammenhang“. (Blog der Freidenker-Vereinigung der Schweiz, 13.1.2012)
Zusammengefasst: hinter der "pro-israelischen" Haltung evangelikaler Endzeitchristen verbirgt sich ein schlimmer Antijudaismus. Liebe zu Israel (nicht zu Juden), ist nur ein Mittel zum Zweck. Dem Zweck nämlich, das Kommen der Apokalypse durch die Konzentration des jüdischen Volkes in einem Grossisrael (was nur sehr wenige Israelis überhaupt wollen) zu beschleunigen. Interessanterweise deckt sich dieser Plan mit einer bekannten Grundsatzaussage des Hisbullah-Führers Hassan Nasrallah: „Nasrallah sagte in einer Rede grossspurig, er sähe es gern, wenn alle Juden der Welt nach Israel zögen – denn dann könnte man sie dort alle auf einen Streich umbringen.“ (Hannes Stein in der Jüdischen Allgemeinen, 30.8.2012)
Jüdische Mitläufer und extreme Rechte in Israel
Leider gibt es in der oben beschriebenen Szene jüdische Mitläufer. Über ihre Motivation kann ich nur Vermutungen anstellen. Sind es jüdische Supernationalisten, die ein Grossisrael erstreben. Sind es Juden, die im Kreise evangelikaler, zionistisch Gleichgesinnter endlich das gefunden haben, das ihnen bisher vorenthalten war: Anerkennung ihrer sehr beschränkten und vorwiegend nicht mehr relevanten Kenntnisse über Israel, Judentum und Zionismus. Es ist diesen Juden (Israelis und Juden der Diaspora) egal oder einfach unbekannt, mit wem sie diesen Pakt abgeschlossen haben.
Dann gibt es israelische Politiker der extremen Rechten, deren grenzenloser Zynismus es ihnen erlaubt jeden zu umarmen, der nach ihrer Zunge redet oder nach dessen Zunge sie selbst reden können. Ein besonders feines Beispiel dafür ist Dani Ayalon, ehemaliger Stellvertreter des israelischen Aussenministers im Ausstand, Avigdor Lieberman. Von diesen ist anzunehmen, dass sie genau wissen, mit wem sie sich einlassen – daher dieser Zynismus. Für sie ist es Realpolitik – der Feind meines Feindes ist mein Freund - nicht sauber, aber immerhin von einer gewissen intellektuellen, aber nicht ganz ehrlichen Grundlage getragen. Realpolitik eben.
Verdrehte Liebe zu Israel
Jüdische Menschen überhaupt, jüdische Zionisten, Juden, die noch einen Rest von Selbstrespekt besitzen, haben in einer solchen Vereinigung nichts zu suchen. Die Israelliebe ihrer „Freunde“ ist ein Lockmittel, um ihre endzeitlichen Vorstellungen mit jüdischer Hilfe zu erreichen. In Israel gibt es einen jüdischen Ausdruck für den „St. Nimmerleinstag“, nämlich „wenn der Messias kommt“. Also nie!
Doch abergläubische Vorstellung sind nicht immer nur amüsant – die religiöse Variante könnte das sein, doch Nebengeräusche von evangelikaler Seite, wie die absolute Feindschaft zur Zweistaatenlösung, zum Konzept eines Friedens mit unseren Nachbarn überhaupt, ihre nur auf religiöse Vorurteile begründete Islamophobie, ihrem Hass auf Vernunft und auf politisch anders Gesinnte, machen diese apokalyptischen Sehnsüchte zu einer echten Gefahr für Israel, das Judentum und die Welt.