Und Griechenland hat sich zu Reformen verpflichtet, deren Umsetzung kontrolliert wird. Von einem echten Schuldenschnitt wollen die Gläubiger weiterhin nichts wissen.
Vor dem Beginn der Sommerferien haben die Finanzminister der Eurozone beschlossen, das dritte Rettungsprogramm für Griechenland seit 2010 im August auslaufen zu lassen. Sie beschlossen ausserdem, die Laufzeiten für die Kredite aus den früheren Rettungsprogrammen um weitere zehn Jahre zu stunden.
Tsipras mit Krawatte
Bei seinem Amtsantritt anfangs 2015 hatte Ministerpräsident Alexis Tsipras angekündigt, so lange mit offenem Kragen aufzutreten, bis Griechenland aus der Krise findet. Nach dem Beschluss der Finanzminister band sich Tsipras nun eine Krawatte um und trat so vor die Presse. Problem gelöst?
In Athen gibt sich niemand der Illusion hin, dass die Krise endgültig gelöst ist. Der Schuldenberg ist nach wie vor da und Griechenland wird ihn auch nie abbauen können. Das ist allen Ökonomen klar; nur wollen die Gläubigerländer ihren Bürgerinnen und Bürger nach wie vor nicht reinen Wein einschenken. Man ist deshalb Hellas beim Schuldendienst stark entgegengekommen: Damit wird der Rucksack mit den Schulden weniger schwer, aber er ist immer noch da und muss weit in die Zukunft geschleppt werden.
Das Ziel besteht jetzt darin, dass Griechenland den Schuldenberg ohne Hilfe von aussen stabil hält. Schon dieses Ziel ist ambitiös und verunmöglicht auf absehbare Zeit jegliche finanzielle Abenteuer. Bis 2022 muss Griechenland Primärüberschüsse (Haushaltüberschuss vor Zinsen und Rückzahlungen) von 3,5 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP) erwirtschaften. In den letzten Jahren hat ausgerechnet die linksradikale Regierung von Ministerpräsident Tsipras das geschafft, was ich als praktisch nicht möglich erachtet hatte und was in der Wirtschaftsgeschichte auch kaum je praktiziert wurde.
Langfristiges Druckmittel der Gläubiger
Auch später werden über viele Jahre Primärüberschüsse von etwa 2 Prozent des BIP nötig sein, um nur zu verhindern, dass der Schuldenberg wächst. Griechenland hat sich verpflichtet, bis 2060 (sic!) solche Überschüsse zu erwirtschaften und das auch kontrollieren zu lassen. Mit vierteljährlichen Inspektionen sorgen die europäischen Institutionen und der Internationale Währungsfonds zusätzlich dafür, dass Griechenland den Pfad der finanziellen Tugend nicht verlässt.
Auch wenn sich Hellas nun wieder an den Finanzmärkten refinanzieren muss, behielten die Gläubiger ein wirkungsvolles Druckmittel in der Hand: Die Stundung der Zinszahlungen geschieht scheibchenweise und nur bei finanziellem Wohlverhalten. Ausserdem musste sich Athen dazu verpflichten, die Reformen der letzten Jahre nicht rückgängig zu machen.
Weitere Schuldenerleichterungen notwendig
Allerdings kann Griechenland auf ein finanzielles Polster von 24 Milliarden zurückgreifen. Dieses Geld stammt grösstenteils aus nicht abgerufenen Geldern aus den drei Rettungsprogrammen. So kann das Land sich im Notfall ohne den Gang an die Finanzmärkte bis im Juni 2020 refinanzieren, falls die Märkte nicht gnädig gestimmt sind (über das aktuelle Geplänkel bei der Auszahlung dieser Kreditrate soll in einem gesonderten Blogbeitrag berichtet werden). Immerhin soll im Jahr 2023 überprüft werden, ob weitere Schuldenerleichterungen nötig sind.
Jeder vernünftige Ökonom kommt nach Prüfung der wichtigsten makroökonomischen Daten zum Schluss, dass sie das zweifellos schon lange sind. Nur erbsenzählende deutsche Finanzminister scheinen das nicht zu verstehen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) fordert eine solche Massnahme schon lange. Er versagte deshalb der vorliegenden Vereinbarung seine Anerkennung, macht aber bei den Kontrollbesuchen weiterhin mit.
Die Kehrseite der Medaille
Der Erfolg ist also höchstens ein halber. Das Rettungsprogramm ist beendet, aber die Inspektoren bleiben. Die Reformen dürfen nicht zurückgefahren werden und der Schuldenberg wird nur bei grösster finanzieller Disziplin nicht höher.
Und der Erfolg wurde erzielt zum Preise einer Wirtschaftskrise, die ihresgleichen sucht – länger und tiefer als die „grosse Depression“ der Dreissigerjahre, deren Schrecken mir nur aus den Geschichtsbüchern bekannt ist. Die Furcht vor den Konsequenzen einer solchen Depression liess mich diesen Blog beginnen, auf dass ich mir die Angst vor den Nebenwirkungen von der Seele schreiben kann!
Schrumpfende Bevölkerung
Die Wirtschaftsleistung brach von ihrem Höchststand im 2008 um einen guten Viertel ein. Die Arbeitslosigkeit erreichte Spitzenwerte von 30 Prozent und ist auch heuer mit 20 Prozent noch im tiefroten Bereich. Vor allem bei der Jugendarbeitslosigkeit sieht es bitter aus: Menschen, die nicht einer privilegierten Schicht angehören, haben die Wahl, arm zu bleiben oder auszuwandern. Und so schrumpft in Griechenland nicht nur die Wirtschaftsleistung, sondern auch die Bevölkerung.
Die Reformen, die Griechenland durchführte, haben denn auch den Begriff Reformen nicht verdient: Sie beschränkten sich auf die Kürzung von Löhnen, Renten und Sozialleistungen sowie die Erhöhung der Steuern in den konfiskatorischen Bereichen, was seinerseits die Binnennachfrage auf Talfahrt schickte, von der sich das Land noch eine Weile nicht erholen wird. Reformen, die Wachstum schaffen, die dem Privatsektor administrative Erleichterung und Rechtssicherheit verschaffen und die hochwertige Arbeitsplätze kreieren, sind nur in Ansätzen vorhanden.
Was wäre, wenn?
Der griechische Zentralbankchef Ioannis Stournaras schrieb kürzlich, dass kein Land der Erde, vielleicht mit Ausnahme einiger erdölproduzierender Länder, über einen derart langen Zeitraum derart hohe Primärüberschüsse erzielt hat, wie das jetzt für Griechenland vereinbart wurde. Im Klartext bedeutet das: Wenn die europäischen Politiker meinen, Griechenland sei jetzt definitiv weg von der Tagesordnung, dann machen sie sich etwas vor. Auch wenn Griechenland finanziell alles richtig macht, bleibt die Lage auf des Messers Schneide, so, dass exogene Schocks das Land sehr schnell wieder in die Krise stürzen können.
Man stelle sich einen bedeutenden Zinsanstieg vor, oder dass die italienischen Schulden der EU um die Ohren fliegen. Politische Instabilität, nachlassende finanzielle Disziplin, you name it. Die Risikozuschläge steigen, Italien braucht ein Rettungsprogramm, gegenüber dem das griechische wie ein Zwerg aussieht. Im Gefolge macht sich an den Finanzmärkten wieder Panik breit und die Risikozuschläge steigen auch für griechische Anleihen. Die Konsequenzen dieses Szenarios kann sich die geneigte Leserin, der geneigte Leser selber ausmalen.