Im Grunde macht diese Universität nur das, was die Politik seit Jahren vehement von den Schweizer Hochschulen fordert. Das ist zu begrüssen, nur Nachhilfeunterricht in Kommunikation hätten beide Institutionen dringend nötig.
Erregungsbereitschaft
Eines der beliebtesten Gesellschaftsspiele heisst ‚Empörung’. Mitmachen können alle: Bürgerinnen und Bürger, politische Parteien, Verbände, NGOs und natürlich die Medien. „Wirtschaft empört wegen Pisa-Test“, stand kürzlich in der Sonntagspresse, nicht etwa weil sich die Schweiz mit dem Test „fremden Richtern“ auslieferte, sondern weil die Schweiz beim Test zum Finanzwissen nicht mitmacht. Oder der Fall Gurlitt: Zuerst Empörung über Gurlitt selbst, dann über die deutschen Behörden, über eine einsame Kunsthistorikerin, später über einen Berner Galeristen und so weiter. – Und von der NSA haben wir noch nicht einmal gesprochen.
Wie im Roulette rollt die Empörung von einem Feld zum nächsten. Dabei spielt es keine Rolle, wenn sich die Fakten später anders präsentieren, besagter Galerist zum Beispiel Opfer einer vorschnell gezogenen Schlussfolgerung der Presse geworden ist. Solche Details stören höchstens die Entwicklung der Empörung, denn beim Spiel gilt der Grundsatz: Je weniger ich über etwas weiss, desto leichter die Empörung. Sich mit den Hintergründen eines Empörungs-Gegenstandes auseinander zu setzen, führt vielleicht zu Empörungspotenzstörungen, gegen die nicht einmal Viagra hilft.
Schnelligkeit scheint wichtiger als Reflexion
Ich bin immer wieder erstaunt, wie schnell sich Personen, kaum haben die Nachrichtenagenturen einen Zweizeiler abgesetzt, in der Öffentlichkeit zu irgend einem angeblichen Skandal zu Wort melden und wie rasch sich Unterschriftenlisten füllen. Dank des Internets werden wir bald, wie an der elektronischen Börse, unsere Namen mittels eines speziellen Programms verzögerungslos auf die Empörungsliste setzen können, in dem wir ein entsprechendes Feld ankreuzen. Zum Beispiel: ‚Ich unterschreibe alles, was von der Partei X oder der NGO Y kommt.’
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es gibt in unserer Welt durchaus Gründe zur Empörung, viel zu viele sogar. Aber ich glaube nicht, dass Stéphane Hessel mit seinem Essay „Empört Euch!“ diese schnell verpuffenden Empörungswellen gemeint hat. Wir sollten seinen Aufruf für Wichtiges und vor allem für Reflektiertes reservieren und die Empörung vor inflationärem Gebrauch schützen.
UBS und UZH: Start mit einem Geburtsfehler
Ein Empörungsfall der jüngsten Geschichte verdient als Beispiel eine nähere Betrachtung: der Kooperationsvertrag zwischen der UBS und der Universität Zürich. Er war für Empörung geradezu prädestiniert, denn er begann sein Leben mit einem kapitalen Geburtsfehler: er war geheim. Der Kampf um seine Veröffentlichung bot ideale Nahrung für die Empörung. Dass Juristen gerne Dinge geheim halten, auch wenn es gar nicht nötig wäre, ist bekannt, aber dass die Kommunikationsspezialisten mit offenen Augen in dieses Desaster gerannt sind, wundert schon.
Wie auch immer, fast wie einst bei Nixons Watergate tröpfelte (und tröpfelt immer noch) die Wahrheit über diesen Vertrag an die Öffentlichkeit, aber – im Gegensatz zu Watergate – lässt sich der grosse Skandal nicht finden. Also muss sich die Empörung an ein paar Nebensächlichkeiten weitere Nahrung suchen. Nur: Was ist denn so schlimm, wenn Mitarbeitende der UBS Zugang zu den Veranstaltungen des neuen Zentrums haben sollen? – Das kann doch nicht schaden. Auch der Einsitz der UBS in einem Beirat des neuen Instituts ist alles andere als skandalös, im Gegenteil, geradezu erwünscht. Das Departement Umweltnaturwissenschaften an der ETH hat nach seiner Gründung im Jahre 1988 alle möglichen ‚Gegner’ aus der Privatwirtschaft in seinen Beirat geholt, so wurden sie zu Partnern und wichtigen Impulsgebern für Lehre und Forschung. Und warum soll ein Auditorium nicht den Namen der Stifterin tragen dürfen? Wir müssen nicht einmal in den USA suchen, wo es von nach Geldgebern benannten Universitäten, Gebäuden und Auditorien nur so wimmelt, wir könnten auch bei der ETH Lausanne lernen. Das Rolex Learning Center ist weltweit ein Aushängeschild ersten Ranges geworden. Unsere weit geschickteren Freunde in der Romandie werden sich erstaunt die Augen reiben über die Probleme der Deutschschweizer.
Die UZH erfüllt den Auftrag der Politik
Doch vor lauter Pulverdampf wagt niemand mehr zu denken – geschweige denn laut zu sagen –, dass die UZH mit ihrer Zusammenarbeit genau das tut, was die Politik seit mehr als einem Jahrzehnt von den Hochschulen fordert, nämlich sich um sogenannte Drittmittel für die Forschung sowohl bei der öffentlichen Hand als auch – wie unsere Vorbild-Universitäten jenseits des Atlantiks – bei der Privatwirtschaft zu bemühen. Wichtig dabei ist es, dass sich die Hochschule in den zentralen Fragen, insbesondere bei den Wahlen und der Festlegung des Forschungsprogramms, absolute Souveränität behält.
Ich sehe nicht, wie diese Selbständigkeit durch den erwähnten Vertrag ernsthaft gefährdet sein könnte. Meinen die Empörten tatsächlich, eine Mitgliedschaft in einem Beirat oder der Name eines Hörsaals würden die Forscher ans Gängelband nehmen?
Forschung über Finanzwirtschaft hat Nachholbedarf
Die wissenschaftliche Forschung und die Wirtschaft sind beide wichtige Teile unserer Gesellschaft. Der Erfolg der Schweiz im 20. Jahrhundert beruht nicht zuletzt auf der guten Zusammenarbeit zwischen den Hochschulen und der Privatwirtschaft, angefangen bei der Land- und Forstwirtschaft über die Maschinen- und Elektroindustrie bis zur Chemie und den Life Sciences. Doch ausgerechnet in der Finanzwirtschaft, welche zu einem der wichtigsten Pfeiler der Schweizer Wirtschaft geworden ist, blieb im akademischen Bereich eine entsprechende Entwicklung aus. (Um Missverständnisse zu vermeiden: Es geht hier nicht um die klassischen Volks- und Betriebswissenschaften).
Im Jahre 2001 nahmen die vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierten ersten 14 Nationalen Forschungsschwerpunkte (NFS) ihre Arbeit auf, darunter auch das von der Universität Zürich angeführte Programm Financial Valuation and Risk Management (FINRISK). In den Jahren danach ermunterten der Bundesrat, welcher die oberste Entscheidungskompetenz für die Lancierung von NFS innehat, und der damalige Staatssekretär für Bildung und Forschung, Charles Kleiber, die Schweizer Finanzunternehmen, angesichts des erwähnten strukturellen Forschungsdefizits zusammen mit den Hochschulen die Forschung im Finanzbereich weiter zu verstärken und über die geplante zwölfjährige Laufzeit des NFS FINRISK hinaus zu unterstützen. Zu diesem Zweck wurde im Jahre 2005 unter Federführung der Schweizer Bankiervereinigung eine Stiftung mit dem Namen Swiss Finance Institute gegründet, an der verschiedene Schweizer Universitäten, darunter auch die UZH, beteiligt sind. Das war ein erster wichtiger Schritt zur Verbesserung der Forschung in einem für die Schweiz zentralen Gebiet, aber noch lange nicht der letzte.
Die UZH darf sich mehr Selbstbewusstsein leisten
Die Gründung der UBS Foundation setzt diesen Prozess fort und ist ausdrücklich zu begrüssen, weil sich damit die Privatwirtschaft in einen gesellschaftlichen Prozess einbringt, der allzu lange vernachlässigt worden ist. Dass der Start dazu so gründlich misslang, ist sehr bedauerlich, aber noch bedauerlicher wäre es, wenn in der Empörung darüber der Blick für den grösseren Zusammenhang verloren ginge.
Empörung und Feindbilder sind schlechte Ratgeber, ganz besonders in schwierigen Zeiten. Und die Universität Zürich dürfte sich verdientermassen wieder etwas mehr Selbstbewusstsein und Grösse leisten; letztere würde es dereinst sogar erlauben, dem geplanten Hörsaal in Sinne einer Geste der Dankbarkeit doch noch einen Namen zu geben, der an diese Initiative erinnert. Alfred Escher hat – nach historischer Empörung – schliesslich auch sein Denkmal auf dem Zürcher Bahnhofplatz erhalten.