Wenigstens die Kampflinie ist klar. Auf der einen Seite die Befürworter der vollständigen Aufhebung des Bankgeheimnisses gegenüber Steuerbehörden. Auf der anderen Seite die Verteidiger der Vertraulichkeit von Bankdaten als Teil des Schutzes der Privatsphäre. Und dazwischen werkelt Finanzministerin Widmer-Schlumpf ohne Fortüne vor sich hin. Hinter dem Kampfbegriff «Kein Asyl für Steuerhinterzieher» verschwinden Logik und Realität. Setzen wir uns mit ein paar Fragen mitten in die Nesseln.
Der Neukunde Müller
Kommt Herr Müller an den Bankschalter, weist sich ordnungsgemäss mit seinem EU-Pass aus und möchte gerne mit 100 000 Euro ein Konto eröffnen. Nach heute noch gültigem, aber nicht mehr angewendetem Gesetz muss die Bank nur überprüfen, ob es sich da um kriminell erworbenes Geld handelt – oder nicht. Das gebietet eines der rigidesten Geldwäschereigesetze der Welt. Im Rahmen der sogenannten Weissgeldstrategie schaut nun aber der Bankschwengel dem potenziellen Kunden Müller noch tief in die Augen und fragt: «Haben Sie das Geld an Ihrem Steuersitz auch ordungsgemäss deklariert?» Wenn Müller tapfer «aber sicher doch, gebe ich gerne auch schriftlich», sagt, dann ist die Bank mitten im Schlamassel.
Die Absurditäts-Leiter
Stufe eins: Müller, der Frechdachs, lügt. Dann ist die Bank nicht dadurch aus dem Schneider, dass sie gefragt hat. Sondern macht sich erst recht der Beihilfe zur Steuerhinterziehung schuldig. Stufe zwei: Der Bankschwengel fasst nach; «können Sie mir das durch Vorlage Ihrer Steuererklärung beweisen?» Müller zieht das Papier einer der knapp 200 Steuerbehörden der Welt aus der Tasche und sagt: «Bitte sehr, falls Sie kein Kyrillisch verstehen, das ist meine offizielle Steuererklärung aus Weissrussland, richten Sie Ihr Augenmerk auf diese Zahl hier: 100 000 Euro.» Stufe drei: Der Bankschwengel hat immer noch so seine Zweifel, aber leider keinen Zugriff auf die Datenbank der weissrussischen Steuerbehörde. Aber es gibt noch eine oberste Stufe der Absurditätsleiter.
Zurück in die Zukunft
Stufe vier: Kunde Müller sagt wahrheitsgemäss: «Nein, diese 100 000 Euro habe ich noch nicht versteuert. Das werde ich aber Ende Jahr nachholen, denn ich muss erst dann meine Steuererklärung abgeben. Ich unterzeichne aber gerne eine Absichtserklärung, dass ich das korrekt tun werde.» Was macht nun der Bankschwengel, wenn er das Geld entgegennimmt, einen Vermerk beim Konto einträgt, Ende Jahr nachfasst und von Müller keine Antwort kriegt? Muss er dann das Konto sperren, sich an die Steuerbehörde von Weissrussland wenden? Allenfalls einen wieder aufgetauchten Kunden Müller besänftigen, der Zugriff auf sein Guthaben verlangt und mit Schadenersatzforderungen droht, weil ihm ohne das Geld ein Geschäft durch die Lappen geht? Er habe halt, das sei in Weissrussland nicht ungewöhnlich, seinen Steuerausweis noch nicht bekommen, andere Länder, andere Sitten. So viel zur Weissgeldstrategie, die weder eine Strategie ist noch etwas mit Weissgeld zu tun hat.
Dann doch gleich alles
Eben, sagen da die Vertreter des automatischen Informationsaustauschs. Sobald Kunde Müller sein Konto eröffnet, bekommt die Steuerbehörde seines Landes automatisch eine Mitteilung über diesen Vorfall. Jedes Landes? Auch Diktaturen, auch Gebilde, die weitgehend frei von Rechtsstaatlichkeit sind? Auch Länder, vor deren illegaler Enteignung Herr Müller sein legal und hart erarbeitetes Geld in Sicherheit bringen möchte? Aber nein, das gilt natürlich nur für die 34 Mitglieder der OECD mit rechtsstaatlichen Lichtgestalten wie Griechenland, Mexico oder Ungarn. Und für die rund 160 übrigen Staaten der Welt nicht. Werden da denn grundsätzlich keine Steuern hinterzogen? Funktioniert beispielsweise in Schwarzafrika wenigstens der Fiskus? Schön zu wissen.
Wenn schon, denn schon
In diesem ganzen Gemurkse vertreten für ein Mal die USA eine klare Linie. Sie sagen nämlich: Uns ist es wurst, wo Kunde Miller lebt, arbeitet und Steuern zahlt. Solange er einen US-Pass hat, unterliegt er unseren Steuergesetzen. Weltweit. Nun gut, mit Ausnahme von Delaware, Florida und Wyoming, aber da verbitten wir uns jegliche Einmischung in innere Angelegenheiten. Auch dieses Modell hat wenig mit Steuergerechtigkeit, dafür viel mit Heuchelei zu tun.
Die Vortat zur Geldwäsche
Steuerhinterziehung zu kriminalisieren gelingt sowieso nur, indem man sie in die Nähe von Geldwäscherei rückt. Das bedeutet, dass beispielsweise in Deutschland Drogen-, Menschen- und Waffenhandel mit Steuerhinterziehung gleichgestellt sind. In der Schweiz, während das gleiche Deutschland ein bekanntes Geldwäscheparadies ausser bei Steuern ist, nicht. Was wäre dann also der Lösungsvorschlag, fragt hier der Leser gerne. Angesichts all dieser Absurditäten, Heucheleien und Murksereien bleibt doch wohl nur: Abgeltungssteuer analog zur guten, alten Verrechnungssteuer. Aber dank der Unfähigkeit der Landesregierung und der Schweizerischen Bankiervereinigung ist dieser Zug abgefahren.