Es geht bei der Hilfseinstellung um Beträge von jährlich 250 Millionen Dollars und 20 Millinen Pfund für welche die beiden Staaten bisher der FSA Ausrüstungegegenstände und militärisches Material geliefert haben, Dinge wie: Automobile, Komunikationsgeräte, Essrationen, Kleidung, alles was eine Arme braucht, ausser Waffen und Munition. Natürlich fliessen auch Waffen und Munition in die Hände der FSA und der anderen syrischen Kampfgruppen. Doch dabei handelt es sich um "inoffizielle" Lieferungen, deren Finanzierung, Ursprung, genaue Spezifikationen und Schmuggelwege offiziell ignoriert werden. Aus diesem Grund ist die Bedeutung der amerikanisch-britischen Ankündigung für die FSA unklar.
Für einen „Islamischen Staat Syrien“
Werden auch diese "Lieferungen" tödlichen Materials, eingestellt, reduziert, umgeleitet? Und wieweit sind die beiden Staaten überhaupt in der Lage, die "todbringenden" Lieferungen einzustellen, zu reduzieren, umzuleiten - weil es nicht sie sind, die sie zur Verfügung stellen, oder finanzieren, einschmuggeln, verteilen, sondern arabische Golfstaaten, oder gar deren private Bewohner?
Klar ist hingegen, was die USA und GB zu ihrer angekündigten Massnahme veranlasst hat. Im vergangenen Monat hat sich eine grosse Allianz der syrischen islamistischen Kampfgruppen herausgebildet. Sie umfasst sieben "Brigaden" die bisher auf eigene Faust gekämpft hatten. Sie nennen sich: Ahrar al-Sham, Jaysh al-Islam, Soqour al-Sham, Liwa at-Tawhid, Liwa al-Haqq, Ansar al-Sham und die Kurdische Islamische Front. (Übersetzt ungefähr: Freie Syriens, Heer des Islams, Falken Syriens, Division der Gotteseinheit, Division der Wahrheit, Prophetenhelfer Syriens). Gesamthaft bilden sie nun die Islamische Front.
Es sind alles Kampfgruppen, die einen "Islamischen Staat Syrien" erkämpfen wollen, keine Demokratie. Die Gesamtzahl ihrer Kämpfer wird auf ungefähr 45 000 Mann geschätzt. Dies ist die grösste aller Militärformationen, die sich je in den Reihen des syrischen Widerstandes zusammengefunden hat.
Nusra Front und ISIS – von al-Kaida gelenkt
Die beiden berühmtesten Gruppierungen islamistischer Kämpfer in Syrien, die Nusra Front und ISIS (Islamic State in Irak and Sham), gehören nicht zu der neuen Islamischen Front. Ihre Gründer sagen, sie betrachteten deren Kämpfer als Freunde und Mitkämpfer, und sie seien bereit mit ihnen gemeinsame Aktionen zu führen. Der Hauptunterschied zwischen ihnen und den beiden nicht Teilnehmenden liegt darin, dass die beiden aussenstehenden Gruppen einen Islamischen Staat anstreben, der über Syrien hinausreicht und dass sie sich al-Kaida unterstellt haben, das heisst dem "Oberkommando" von Ayman az-Zawahri, der aus seinem Versteck in Afghanistan oder Pakistan Weisungen und Ratschläge erteilt.
Zwischen Nusra Front und ISIS gibt es auch Differenzen, die zu gelegentlichen Zusammenstössen der beiden führen. ISIS gilt als die Formation, der sich die meisten ausländischen Jihadisten anschliessen, die aus Europa, Amerika oder der islamischen Welt eintreffen. Sie wiederum gelten als die rücksichtslosesten und daher blutigsten aller Kämpfer gegenüber der syrischen Bevölkerung, die in ihre Machtsphäre gerät.
Der Überfall auf ein FSA-Waffendepot
Die neue Islamische Front nun hat in der vergangenen Woche den Grenzübergang von Bab al-Hawa (Tor des Windes), der an Strasse von Aleppo nach Antiochien (türkisch: Antakya) liegt, überfallen und in Besitz genommen. Bisher war der Übergang unter der Obhut der FSA gestanden. Es gab dort bedeutende Depots von Waffen und Kriegsmaterial, aus den erwähnten "nicht tödlichen" Hilfslieferungen neben tödlichen Waffen. Die Leute der Islamischen Armee haben diese Bestände geplündert und in ihren Besitz gebracht. Amerikanische Regierungssprecher erklärten, die Einstellungen ihrer offiziellen Hilfslieferungen sei eine Reaktion auf die Ereignisse in Bab al-Hawa.
Zunächst müsse die dortige Lage gklärt werden, bevor an eine Wiederaufnahme der Lieferungen gedacht werden könne.
Was die Amerikaner fürchten, ist dass die Waffen und Hilfsgüter aus den Händen der Islamischen Front in jene der beiden al-Kaida unterstellten Gruppierungen gelangen könnten. Dies könnte durch Kauf oder Erbeutung geschehen.
Vertreter der FSA, die die Einstellung natürlich verurteilen und bedauern, haben bereits mit den Amerikanern Kontakt aufgenommen, um "Missverständnisse zu klären". Wie gesagt, ob der Beschluss auch für die "tödlichen" Schattenlieferungen gilt und falls ja, wie weit, ist nicht bekannt und dürfte auch später nur gerüchteweise bekannt werden. Sie existieren ja nur "inoffiziell". Doch sie stellen natürlich für die Kampfgruppen, die lebensnotwendigsten aller Hilfslieferungen dar.
Im Vorfeld der geplanten Genfer Konferenz
Ein amerikanischer Sprecher hat weiter angemerkt, dass die Hilfseinstellung die südliche syrische Front an der jordanischen Grenze nicht beträfe. Dort bestehen vertragliche Abmachungen der Amerikaner, Jordanier und Saudis mit dortigen Kampfgruppen der FSA, die dem Hörensagen nach auch Ausbildungshilfe von den Amerikanern erhalten.
Die ganze Frage der Hilfen aus dem Ausland ist natürlich verbunden mit dem Vorbereitungen für die Konferenz Genf II, die auf den 22. Januar angesagt ist, falls sie wirklich zustande kommt. Hilfsgewährung oder Verweigerung sind der wichtigste Hebel, den die "Freunde Syriens" besitzen, um Einfluss auf die Rebellengruppen zu nehmen. Einfluss auszuüben ist notwendig, um diese Gruppen dazu zu bewegen, an der Konferenz teilzunehmen.
Die islamistischen Gruppen beider Färbungen, jene der neuen Islamischen Front, mit ihrer Zielvorstellung eines "islamischen Syriens" und die beiden, sich untereinander auch nicht voll einigen, die einen pan-islamischen Radikalismus vertreten und sich al-Kaida unterstellt haben, lehnen es alle ab, an der Konferenz teilzunehmen. Sie alle beabsichtigen zu kämpfen, nicht zu verhandeln, bis dass das Asad Regime zu Fall komme.
Teilerfolge der Asad-Truppen
Dies ungeachtet des Umstandes, dass gegenwärtig die Asad-Truppen überall kleine Gewinne verzeichnen können. Was daher komme, so glauben ihre Gegner, dass sie vermehrte Hilfe von aussen genössen, von Hizbullah aus Libanon, von Iran direkt und sogar aus den schiitischen Teilen des Iraqs. Diese Hilfskräfte gibt es in der Tat. Doch eine zweite Ursache der gegenwärtigen Erfolge , die das Asad Regime verzeichnet, liegt gewiss in den sich immer weiter akzentuierenden Spannungen unter den rivalisierenden Rebellengruppen, die nicht nur Krieg gegen Asad führen sondern zugleich auch Kleinkrieg gegeneinander.
Die Truppen Asads versuchen zur Zeit die Rebellen in den Vorstädten von Damaskus niederzukämpfen, die Grenze nach Libanon hin in der Region südlich von Homs unter Kontrolle zu bringen und die Verbindungsstrasse zwischen Syrien und Homs, sowie zwischen Hama und Aleppo für den Transit syrischen Nachschubs sicher zu machen. Alle drei Ziele haben sie offenbar noch nicht völlig erreicht, doch an all diesen Fronten können sie Fortschritte verzeichnen.
Asad und das Genfer Konferenz-Projekt
Wenn sie einmal die Hauptverbindungsstrasse zwischen Damaskus und Aleppo, die Hauptachse des Landes, uneingeschränkt beherrschen, dürfte als nächster Schritt eine Offensive im Raum von Aleppo und in der nördlichen Hauptstadt selbst folgen. Im Hinblick auf Genf II bedeutet dies, dass Asad im Hochgefühl seines bevorstehenden Sieges nach Genf kommen wird und daher schwerlich die Konzessionen auch nur in Betracht ziehen dürfte, welche die westlichen Mächte, die Golfstaaten und die wenigen syrischen Rebellen, die gedenken, überhaupt nach Genf zu kommen, von ihm erwarten, nämlich dass er einer Übergangslösung für Syrien zustimmen könnte, die nicht unter seiner Herrschaft und Führung durchgeführt würde.
Auch die Amerikaner sprechen von einer Lösung "ohne Asad", die sie sich von Genf erhofften. Es ist aber nicht ersichtlich, wie dies erreichbar sein soll, solange die Russen, die Iraner und innerhalb Syriens und seiner Sicherheitskräfte die Alawiten, grosse Teile der christlichen und anderen Minderheiten zusammen mit vielen anderen Parteigängern und Nutzniessern des Regimes Asad nicht fallen lassen.
Im Dickicht der Fronten und Interessen
Beobachter, die versuchen über Genf hinaus weiter in die Zukunft zu blicken, fragen sich bereits gegenwärtig: kommt nicht der Zeitpunkt an dem die Amerikaner sich zum zweiten Mal die Frage werden stellen müssen, ob sie den Ereignissen in Syrien weiterhin zuschauen wollen oder ob sie doch noch eingreifen wollen oder müssen. Dieser Augenblick kommt, wenn es klar wird, dass in Syrien die islamistischen Kräfte Territorien gewinnen und halten können, von denen aus sie Anschläge gegen die Sicherheit der USA und anderer westlicher Staaten zu planen beginnen. Vergleichbar vielleicht mit dem, was im Jemen geschah, als die islamistischen Kämpfer der AQAP (al-Kaida in the Arabian Peninsula) Versuche unternahmen, von dort aus in den USA aktiv zu werden.
In der Folge, im Juni 2012, wurden sie durch eine Kombination jemenitischer Truppen und amerikanischer Hilfe, Raketen, Drohnen und ihrer Seite zuneigenden Stämmen aus ihren wichtigsten Schlupfwinkeln Zanjibar, Shuqra und Jaar vertrieben. Sie wichen jedoch in die Wüste aus und führen bis heute einen Bombenkrieg mit Selbstmordanschlägen, nicht mehr gegen die USA, dazu scheinen ihn zur Zeit die Mittel zu fehlen, jedoch gegen die jemenitischen Militärs und die Regierung von Sanaa.
Schwache Hoffnungen für die Diplomatie
Käme es zu einer ähnlichen Lage in Syrien , müssten die Amerikaner sich fragen, wollten sie die Allianzen umkehren und mit Asad gemeinsame Sache gegen die Islamisten machen, vergleichbar der jemenitischen Situation - oder wollen sie einen Krieg gegen die bittersten Feinde Asads führen und dennoch Asad selbst und sein Regime ebenfalls als Gegner behandeln? Beide Alternativen sind wenig erfreulich. Was mit ein Grund sein dürfte dafür, dass auf Genf II, fast wider besseres Wissen, gehofft wird.
Denn ein Erfolg der Diplomatie, so schwindend klein seine Chancen gegenwärtig sein dürften, wäre sehr viel erfreulicher als ein Zwang, gegen die Islamisten - zusammen mit Asad oder unter gleichzeitiger Fortführung des Krieges gegen ihn - doch noch zu den Waffen greifen zu müssen.