Putin kündigt die Stationierung taktischer Atomwaffen im Nachbarland Belarus an. Damit versucht er, im Westen Angst zu schüren. Moskau habe bereits, sagte er, ein Iskander-Kurzstreckenraketensystem, das mit nuklearen oder konventionellen Sprengköpfen bestückt werden kann, nach Belarus geliefert. Iskander-Raketen haben eine Reichweite von bis zu 500 Kilometern.
Die ukrainische Regierung, die sich Einschüchterungen gewohnt ist, reagierte demonstrativ unbeeindruckt.
Putin erklärte im Staatsfernsehen «Russia 1», Russland habe Belarus bereits geholfen, zehn Flugzeuge umzurüsten, damit diese taktische Atomwaffen tragen können. Anfang April werde die Ausbildung der Piloten beginnen.
Belarus und sein Präsident Alexander Lukaschenko gehören zu Russlands engsten Verbündeten. Lukaschenko, der einst als «letzter Diktator Europas» bezeichnet wurde, unterstützte Russland beim Überfall der Ukraine im Februar 2022 und ermöglichte den Truppen des Kremls den Einmarsch in die Ukraine von Norden her.
Am 1. Juli bereit
Was sind taktische Atomwaffen, die Putin jetzt im Nachbarland stationieren will? Im Gegensatz zu den weitfliegenden, ballistischen Interkontinentalraketen, die auch die USA treffen könnten, haben taktische Waffen eine geringere Reichweite. Das russische «Iskander»-Raketensystem, das mit Cruise Missiles (Marschflugkörpern) bestückt werden kann, wurde 1987 entwickelt, 2006 in den Dienst gestellt und 2017 modernisiert. Die Raketen können sowohl von Abschussrampen am Boden als auch von Flugzeugen abgeschossen werden. Da ihre Reichweite bis zu 500 Kilometern beträgt, könnten sie weite Teile der Ukraine und die Nachbarländer Polen, Estland, Lettland und Litauen treffen. Die Atomsprengköpfe würden zur Aufbewahrung in speziellen Schächten aufbewahrt, die jetzt ausgehoben würden, sagte Putin. Die Schächte würden am 1. Juli bereit sein.
Der Kreml-Herrscher erklärte, Russland mache nur das, was der Westen «schon seit Jahrzehnten» mache. Damit spielte er auf die Tatsache an, dass die USA in Nato-Ländern, zum Beispiel in Deutschland und Rumänien, Atomwaffen stationierten. Seit jeher hat Putin den Abzug atomarer Waffen aus Deutschland verlangt.
Keine Verletzung des TPN?
Ist die Stationierung taktischer atomarer Waffen in Belarus ein Verstoss gegen den Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen («Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons» TPNW)? Putin verneint dies ausdrücklich.
Belarus hat seit Anfang der 1990er Jahre keine Atomwaffen mehr auf seinem Territorium. Kurz nachdem es nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion seine Unabhängigkeit erlangt hatte, stimmte es zu, alle dort stationierten Massenvernichtungswaffen aus der Sowjetzeit an Russland zu übergeben.
«Wir werden die Kontrolle über die Atomwaffen nicht aus der Hand geben», sagte Putin im Fernsehen. «Die USA geben sie auch nicht an ihre Verbündeten ab. Wir tun im Grunde das Gleiche, was die US-Führung schon seit langem tut.»
«Extrem gefährliche Eskalation»
Der Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons (deutsch: Atomwaqffenverbotsvertrag) verbietet es Staaten, ausländische Atomwaffen auf ihrem Territorium zuzulassen. Das Abkommen wurde 2017 geschlossen und bisher von 122 Staaten unterzeichnet, nicht jedoch von Russland und Belarus. Auch die USA und die übrigen Nato-Staaten mit US-Atomwaffenstützpunkten sind nicht dabei. Dazu gehören Deutschland, Belgien, Italien, die Niederlande und die Türkei.
Die in Genf beheimatete «International Campaign to Abolish Nuclear Weapons» (ICAN) erklärte, die Ankündigung Putins sei eine «extrem gefährliche Eskalation». Das Risiko einer Fehlinterpretation sei extrem hoch. ICAN war 2017 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden.
«Drei Mal mehr russische Panzer»
Putin kündigte auch an, die russische Panzerproduktion stark zu erhöhen – dies angesichts der westlichen Panzerlieferungen an die Ukraine. Russland werde 1600 neue Panzer bauen und bereits vorhandene Tanks modernisieren. «Die Gesamtzahl der Panzer der russischen Armee wird die der ukrainischen um das Dreifache übertreffen, sogar um mehr als das Dreifache», sagte er.
Laut westlichen Militärexperten ist Russland zur Zeit nicht einmal in der Lage, in der einzige Panzerfabrik des Landes mehr als zehn Panzer pro Monat zu produzieren.
Putin hat immmer wieder andeutungsweise oder offen mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht. Auch die jetzige Ankündigung, taktische Atomwaffen in Belarus zu stationieren, wird im Westen gelassen aufgenommen.
«Keine Anzeichen für den Einsatz von Atomwaffen»
«Wir haben weder einen Grund, unsere eigene strategische Nuklearposition anzupassen, noch gibt es Anzeichen dafür, dass Russland den Einsatz einer Atomwaffe vorbereitet», sagt am Samstag der Sprecher des amerikanischen Aussenministeriums, Vedant Patel, gegenüber CNN.
Washington hat immer wieder deutlich gemacht, dass jeder Einsatz von Atomwaffen, selbst von taktischen Waffen mit geringer Reichweite und Sprengkraft, «schwere Konsequenzen» haben werde. Wie diese aussehen würden, wurde nicht gesagt. Präsident Joe Biden deutete die Möglichkeit einer gefährlichen Eskalation an: «Es wäre unverantwortlich von mir, darüber zu sprechen, was wir im Falle eines russischen Atomwaffeneinsatzes tun oder nicht tun würden.»
Laut amerikanischen Medienberichten drohe Putin mit Atomwaffen und versuche Angst zu schüren, weil es «den Russen auf dem Schlachtfeld gar nicht so läuft, wie sie geplant hatten.» Die Ankündigung, Atomwaffen nach Balarus zu verschieben, gehöre zu Putins «Drohungsarsenal».
(Journal21/hh)