Die Argumente der Zeitungsverleger sind immer die gleichen. Radio und Fernsehen würden Gebühren erhalten, „Zwangsgebühren“ wie sie sagen. Diese Gelder erhielten sie, um Fernseh- und Radioprogramme zu machen – nicht aber, um sich im Internet breit zu machen.
Die Zeitungen, die keine „Zwangsgebühren“ erhalten, seien im freien Markt benachteiligt. Sie stünden einem subventionierten Konkurrenten gegenüber. Dieser mit Gebührengeldern finanzierte Koloss wolle ihnen jetzt das Geschäft auch im Internet verderben. Es sei ein Kampf mit zwei verschieden langen Spiessen.
Also: „SRG – beschränke dich im Internet. Überlasse das Netz der Presse, die keine Gebührengelder bezieht.“ Auf den ersten Anblick leuchtet die Haltung der Verleger ein.
Die meisten Jungen lesen keine Qualitätszeitung
Dass die Presse die SRG im Netz kasteien will, ist verständlich, denn den Zeitungen geht es nicht gut. Sie werden immer dünner und kosten immer mehr. Die Leserzahlen grosser Zeitungen sinken um bis zu fast zehn Prozent. Die meisten Jungen lesen keine Qualitätszeitung.
Redaktionen werden verdünnt, das Korrespondentennetz wurde teils drastisch reduziert. Es gibt grosse Blätter, die noch mit drei Auslandredaktoren arbeiten und keine fixen Korrespondenten mehr in Paris, Rom oder Madrid haben. Andere haben gar keine Auslandredaktion mehr und beschaffen sich die internationalen Meldungen über eine Nachrichtenagentur.
Immer mehr Leute, keineswegs nur die Jungen, holen sich ihre Informationen im Netz. Sie lesen immer häufiger die Zeitungen im Internet, sie konsumieren das Fernsehen online. Das ist nicht neu. Erstaunlich mag sein, dass diese Entwicklung so rasant vor sich ging. Wer heute im Netz nicht präsent ist, den gibt es nicht.
Lieblos, wenig attraktiv
So drängen denn alle ins Internet. Doch viele Zeitungen taten das fast widerwillig. Man sieht es dem lieblos gemachten Produkt an. Die Internet-Auftritte unserer Lieblingsblätter sind wenig attraktiv. Viele Verleger haben allzu lange den alten guten Zeiten nachgeträumt und das Internet vernachlässigt. Sie tun es oft noch heute. Die meisten Zeitungen drucken vor allem die Meldungen der SDA, der Schweizerischen Depeschenagentur, ab. Eigenleistung fehlen. Dann fügen sie noch einige schon im Print publizierte Artikel bei. Und das war’s dann schon. Und damit glaubt man, User anzuziehen.
„Uns geht es finanziell schlecht“, sagt der Medienkritiker einer grossen Schweizer Zeitung, „wie wollen wir da im Internet viel Geld investieren?“ Die meisten Online-Redaktoren sind schlechter bezahlt, als die Print-Redaktoren. Man verteidigt das mit dem Argument, dass die Online-Journalisten tendenziell jünger sind. In vielen Redaktionen blicken die Print-Leute dünkelhaft auf die Onliner herab. Dies obwohl die Berichte, die im Internet erscheinen, oft häufiger gelesen werden, als jene, die gedruckt sind.
Manche unserer Verleger tun sich schwer im Netz
Da und dort gibt es jetzt zwar Bemühungen, die Online-Auftritte der Zeitungen zu verbessern; da und dort auch gibt es Verbesserungen. Doch die Ergebnisse sind bescheiden. Noch immer stellen auch die grossen Blätter für den Online-Betrieb wenig erfahrene Journalisten ein: vor allem auch Stagiaires und Studenten, die dann plötzlich Redaktoren sind. Manche unserer Verleger tun sich schwer mit dem Netz.
Eigenleistungen produzieren die Internet-Portale der Zeitungen kaum. Hat aber eine Redaktion einmal einen Scoop, einen Primeur, etwas ganz Neues, spart man diese Meldung für die gedruckte Ausgabe auf. Man will ja diesen Scoop nicht schon am Vorabend im Internet „verbraten“ – dann kauft keiner mehr am nächsten Morgen die Zeitung.
Das Fernsehen: eines der führenden Internet-Portale
Und das Fernsehen? Auch in der „Tagesschau“ verlief der Aufbau einer Internet-Redaktion harzig. Auch beim grössten News-Medium des Landes stand man dem Online-Betrieb zunächst kritisch gegenüber. Anfang der 2000er-Jahre hatte noch kaum jemand geahnt, welche Möglichkeiten das Netz bietet. Da wurden plötzlich Pulte ins Grossraumbüro der Tagesschau gestellt. Daran arbeitete zunächst einer, dann zwei, dann drei Redaktoren. Man war nett mit ihnen, doch es war ein mitleidiges Nett-Sein.
Immer wieder wirft man dem Fernsehen vor, es habe die Entwicklung verschlafen. Doch diesmal war alles anders. Im Gegensatz zu manchen Verlegern hatte der damalige Chefredaktor von SF die Zeichen der Zeit erkannt. „Das Internet ist die Zukunft“, betonte er immer wieder. Plötzlich sprang der Funken über. Ihm ist es zu verdanken, dass das Schweizer Fernsehen heute eines der führenden Internet-Portale betreibt. Heute lächelt keiner mehr über die inzwischen 36 Online-Journalisten der Tagesschau (die meisten sind Teilzeitbeschäftigte). Man weiss, dass sie Einfluss und Resonanz haben.
Wenn da die Zeitungen nicht mithalten können, geht es ihnen schlecht
Wieso enervieren sich eigentlich die Zeitungsleute über den Internet-Auftritt des Fernsehens? Presse und Fernsehen sind zwei völlig verschiedene Gefässe, mit verschiedenen Disziplinen und verschiedenen Stossrichtungen. Die Zeitungen ordnen das aktuelle Geschehen ein, analysieren es, bringen Kommentare, bringen Hintergründe, Einordnungen.
Das tut das Fernsehen nicht. Seine primäre Aufgabe ist die kompakte, saubere Berichterstattung – und die Unterhaltung. Sein Trumpf sind die bewegten Bilder. Also sollte eine Koexistenz möglich sein: Also sollten sich beide Medien nicht in die Quere kommen. Wo liegt denn eigentlich das Problem?
Wer den Internet-Auftritt des Schweizer Fernsehens anklickt, sieht schnell, dass sich das Fernsehen auf Bilder, auf News und Unterhaltung konzentriert. Und vor allem: auf die eigenen Sendungen. Ab und zu findet man Dossiers zu aktuellen Themen, Zahlen, Fakten. Mehrwert.
Wenn da die geschriebene Presse nicht mithalten kann, dann geht es ihr tatsächlich schlecht. Anders gesagt: Wenn das Fernsehen in Sachen Hintergrundberichten für die Zeitungen zur Konkurrenz wird, dann nehmen die Zeitungen ihre Aufgabe nicht wahr.
Da gab es doch einst die grossen intelligenten Federn, die uns in den Zeitungen die Welt erklärten. Die langen, gescheiten Analysen oder provokativen Kommentare. Wo findet man sie im Internet? Da hätte doch das Fernsehen nichts Vergleichbares zu bieten. Die grossen Federn der Zeitungen, die Star-Journalisten, wollen noch immer nicht vom Print-Olymp in die Online-Niederungen hinabsteigen. Immer noch gilt bei vielen: print first.
Es geht um Geld, es geht um Werbung
Natürlich wissen auch die Verleger, dass – inhaltlich gesehen – das Fernsehen eigentlich keine Konkurrenz wäre – vorausgesetzt, die Zeitungen nähmen im Internet ihre Aufgabe ernst. Doch es geht nur nebenbei um Inhalte. Es geht ums Geld, um Werbung.
Radio und Fernsehen dürfen – im Gegensatz zu den Zeitungen – im Internet keine Werbung schalten. Das kann für die SRG zum Problem werden.
Werbung richtet sich nach der Einschaltquote. Vor und nach den meistgesehenen Sendungen ist die Werbung am teuersten. Nicht nur viele Zeitungen verlieren ihre Leser ins Internet: Immer mehr Fernseh-Zuschauer konsumieren die Fernsehprogramme nicht mehr über die gute alte Flimmerkiste in der Stube – sondern online.
Ein Beispiel: Immer mehr Leute schauen die Tagesschau im Internet. Die Zahl der Zuschauer, die vor dem Fernsehapparat sitzt, geht also zurück – und damit die Werbeeinnahmen. Die Zahl jener aber, die via PC oder Mac die Tagesschau konsumiert, steigt stark an. Doch davon kann die SRG nicht profitieren, weil sie im Netz nicht werben darf. Also: Unter dem Strich bringt die Entwicklung der SRG Werbeeinbussen.
Dass die SRG jetzt versucht, diese Ausfälle zu kompensieren, indem sie versucht, das Werbeverbot im Netz lockern, ist verständlich. Die SRG hat einen Informationsauftrag. Wenn sich die Zeiten ändern, wenn neue Technologien die Welt erobern, soll und muss sich diese SRG anpassen. Täte sie es nicht, würde man ihr vorwerfen, sie verschlafe den Trend.
Doch da kriegen die Verleger rote Köpfe. Wenn sie der SRG aber die Werbung verbieten wollen, handeln sie blauäugig. Dann geht nämlich die Werbung nicht zu ihren Zeitungen, sondern zu den ausländischen privaten Fernsehstationen, die in der Schweiz Werbefenster betreiben: zu Sat1, Pro7 und RTL. Das hat längst begonnen.
Jetzt träumen die Verleger vom iPad und den kostenpflichten Apps. Wenn sie sich da nur nicht täuschen. Es wird im Netz immer Gratisanbieter geben, die dann die Masse der Leser anziehen - und damit die Werbung.
Nicht das Fernsehen ist Konkurrent der Zeitungen
Wenn die Zeitungen im Internet ihre Aufgabe ernst nähmen und ihre Kernkompetenz pflegten, hätten sie wenig vom Fernsehen zu befürchten. Es gibt immer noch einen grossen Bevölkerungsanteil, der gescheite Analysen und Hintergründe, Einordnungen und Kommentare lesen will. Diese Leute bleiben einer seriösen Presse treu. Sie bleiben deshalb auch für Werber interessant, auch im Internet.
Wenn die Zeitungen aber dem Fernsehen nachrennen, sich kaum mehr von seinen schnellen News unterscheiden, dann braucht es sie eigentlich nicht mehr. Es ist schon seltsam: Da beklagen die Zeitungen immer wieder süffisant die schlechte Qualität des Fernsehens – und fürchten sich vor eben dieser schlechten Qualität. Vielleicht haben sich die Zeitungsverleger wieder einmal den falschen Feind ausgesucht. Nicht das Fernsehen ist ihr echter Konkurrent.
Konkurrenz haben sich zumindest zwei Verlage selbst geschaffen: mit ihren blühenden Gratisanzeigern. Doch nicht genug. Ernsthafte Konkurrenz droht den Verlegern nicht vom Fernsehen, sondern von andern Internet-Portalen. Von jenen nämlich, die gut und intelligent gemacht sind. Und solche wird es immer mehr geben.
Solche nämlich, die nicht nur mit einem lowest cost budget betrieben werden. Solche, die einen Verleger haben, der nicht den alten Zeiten nachtrauert und sagt , „was gibt es Schöneres als ein ganzseitiges Vierfarben-Inserat“. Solche auch, die nicht nur Stagiaires beschäftigen. Und solche, auf denen wichtige Leute schreiben.
Noch immer glauben manche unserer Verleger, dass Internet sei ein Kurzfutter-Medium für Eilige. In Amerika zeigen die New York Times und die Huffington Post, wie intelligent das Netz sein kann. „Gerade im Internet kann ich in die Tiefe gehen, und die Leute honorieren das“, sagt der deutsche Medienberater und langjähriger „Handelsblatt“-Redaktor Thomas Knüwer jüngst in einem Interview mit dem Medienmagazin „journalist“.
Man mag vom deutschen Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ halten was man will. Doch die Spiegel-Leute haben gemerkt, wohin der Hase hoppelt. Allein über hundert Journalisten arbeiten einzig für „Spiegel online“. Sie stehen in – sozusagen – fruchtbarer Konkurrenz zum gedruckten „Spiegel“. Das Resultat ist beeindruckend. „Spiegel online“ ist das führende Internet-Portal in Europa.
Vor allem haben die Spiegel-Leute gemerkt, dass ein Internet-Auftritt nicht einfach ein späterer Abdruck von Print-Artikeln ist. Im Internet gibt es eigene Gesetze: eigene Gestaltungsformen.
Die ganze Debatte zeigt eins: Die Zeitungen erwachen langsam aus ihrem Schlaf, sind verstört – und suchen einen Sündenbock für ihr Versagen. Das Fernsehen eignet sich immer als Sündenbock – für Verleger und Politiker.