Herr Leshem, wie sind Sie darauf gekommen, ausgerechnet über die heutige Jugend Teherans einen Roman zu verfassen?
Die ganze Geschichte fing eigentlich mit einem Zufall an. Eines Nachts saß ich in meinem Haus bei Tel Aviv und schrieb. Und manchmal, in einsamen Nächten, suche ich dann im Internet nach Kontakten mit Fremden. Und in dieser Nacht stellte ich mir diese sehr israelische Frage: „Hassen die Iraner uns denn wirklich so sehr wie unsere Politiker es behaupten?“ Also sagte ich mir: „Jetzt suche ich Iraner im Internet und rede mit ihnen!“ Also besuchte ich eins dieser Freundschaftsnetzwerke und bat dort Iraner um „Freundschaft“. Obgleich ich bereits aus Erfahrung wusste, dass aus Ägypten so gut wie niemand der Internet-Freund eines Israelis sein will. Mit den Palästinensern ist es dasselbe.
Und dann?
…dann wachte ich morgens auf und entdeckte, dass ich plötzlich einhundert iranische „Freunde“ hatte. Alle hatten meine Anfrage um Freundschaft positiv beantwortet!
Woher kommt diese Offenherzigkeit und Aufgeschlossenheit der jungen Iraner? Wieso haben die - im Gegensatz zu ihren arabischen Altersgenossen- keine Berührungsängste gegenüber Israelis?
Die Iraner begreifen sich nicht als ein Teil der arabischen Welt, sie leben nicht unter israelischer Besatzung, sie haben keine Erinnerungen – wie etwa die Ägypter – an einen Krieg mit Israel. Übrigens: Früher, vor der Revolution, waren die Beziehungen zwischen Persien und Israel gut. Die dortige Landwirtschaft wurde durch israelische Hilfe entwickelt.
Und mit wie vielen der Iraner haben Sie dann tatsächlich korrespondiert?
Alle schrieben mir. Sie erzählten und erzählten und stellten unzählige Fragen. Und sie waren sehr, sehr interessiert an meinem Leben in Israel. Offenbar ist es nicht nur bei den Israelis so, dass sie wissen wollen was man über sie denkt. Das ist bei den Iranern ebenso. Und dann wurde ich wütend. Ich wurde wütend auf mich selbst, weil ich plötzlich erkannte, dass ich wirklich überhaupt nichts über das Leben junger Iraner wusste. Über ihr Leben im Untergrund von Teheran.
Ich habe während der letzten anderthalb Jahre rund zwanzig Länder besucht. Gewisse Ähnlichkeiten mit uns Israelis habe ich natürlich überall entdeckt. Aber nur bei den jungen Leuten im Iran hatte ich das Gefühl, dass sie wirklich so eine Art Zwillingsgeschwister der heutigen jungen Israelis sind. Die Frauen im Iran sind zwar eleganter als jene in Israel, aber abgesehen davon sind wir uns doch sehr, sehr ähnlich.
Obwohl der Alltag in Teheran dem in Tel Aviv nicht gerade ähnelt. Schließlich ist Israel eine Demokratie.
Noch! Noch ist sie das. Eigentlich bin ich ja ein sehr optimistischer Mensch. Aber ich glaube dass die Gefahr leider sehr groß ist, dass Israel in zwanzig, dreißig Jahren keine Demokratie mehr sein wird. Das ist ein Problem der Demographie. In zwanzig Jahren werden die meisten Jugendlichen in Israel den Ultra-Religiösen zugehörig sein. Das heißt, entweder sind sie dann Charedim, also sehr jüdisch-orthodox, oder es sind Islamisten. Und dieser Gedanke, dass die meisten der jungen Leute hierzulande keine Demokraten sein werden, der macht mir Angst. Große Angst.
Und dann, ab einem bestimmten Moment, nachdem ich bereits lange Zeit mit meinen iranischen Freunden korrespondiert hatte, beschlich mich die Frage, wie ich denn reagieren würde, wenn mir mein Staat gestohlen wird. Was würde ich denn machen, wenn Israel plötzlich zu einer Diktatur der Religiösen wird?
Würde ich mich beugen und auch religiös werden? Oder würde ich auf die Straße gehen und dort, ohne Waffen, gegenüber den Maschinengewehren der Revolutionsgarden demonstrieren? Oder würde ich mich zuhause einschließen und mich auf der Suche nach Freiheit in der Matrix des Netzes herumtreiben? Ich wollte auf einmal dort sein. Im Iran. Das ist es immer, was mich beim Schreiben antreibt: An einem verbotenen Ort zu sein! Bei mir ersetzt das Schreiben das richtige Leben. Ich schreibe um das Gefühl zu haben „dort“ zu sein. Und ich wollte Teheran, das Leben der dortigen Jugendlichen im Underground, wirklich begreifen. Also schloss ich mich in meinem Zimmer ein. Mit Karten und Fotos aus Teheran an der Wand. Mit Büchern, mit Liedern und Filmen. Und dann stellte ich mir vor dort zu sein. Und ich stellte meinen iranischen Freunden Fragen übers Internet. Jede Nacht.
Das heißt, Sie haben Ihre iranischen Freunde, die Ihnen über das Leben in Teheran erzählt haben, nie persönlich getroffen?
Oh doch! Schließlich bin ich nach Europa geflogen um einige meiner neuen Freunde zu treffen. Unter diesen Freunden war übrigens auch eine Frau. Eigentlich wollte ich mich ja nicht mit Exil-Iranern treffen, sondern mit Leuten die heute in Teheran leben. Diese Frau war jedoch eine Ausnahme: Denn als wir unsere Korrespondenz begannen lebte sie noch in Teheran, erst ein Jahr später zog sie nach Europa. Aber mich mit meinen anderen iranischen Freunden zu treffen, das war schwierig. Ich musste sie wirklich aus dem Iran herausholen. Sozusagen.
Was für Schwierigkeiten gibt es, wenn junge Iraner ihr Land verlassen möchten?
Naja, wer im Iran zum Beispiel keinen Militärdienst absolviert, der kriegt auch keinen Reisepass. Und als junger Mann kommt man nur raus, wenn man eine Einladung bekommt im Ausland zu studieren. Gleichwohl muss man in diesem Fall 20.000 Euro als Pfand hinterlegen, damit sicher ist, dass man auch zurückkommt. Im Iran ist das wahnsinnig viel Geld. Für gewöhnliche Menschen ist beinahe unmöglich so viel Geld zu hinterlegen.
Wo trafen Sie Ihre iranischen Freunde?
Einen von ihnen traf ich in Paris. Er war noch nie zuvor geflogen. Meine Freunde hatten mir von diesem Treffen abgeraten: „Mach das nicht!“, hatten sie gesagt. „So etwas darfst du nicht!“ Aber ich antwortete: „Das ist ein Freund von mir! Zwei Jahre lang schon schreiben wir uns jede Nacht.“ Doch meine Freunde in Tel Aviv sagten: „Du kapierst es nicht! Der Mossad wird denken, dass du dich an den Iran verkaufst. Und die Iraner werden denken, dass du vom Mossad bist und den Mann für Israel rekrutieren willst.“ Aber ich musste ihn treffen! Ich wartete also im Hotel. Und wartete und wartete. Ganze sechs Stunden!
Hatte er Schwierigkeiten bei der Ausreise gehabt?
Nein, der Grund für seine Verspätung war ein Mädchen. Auf dem Flug hatte er sie kennen gelernt und dann waren die beiden erst einmal in ein Hotel gegangen. Aber davon wusste ich ja nix. Eine Horrorgeschichte nach der anderen jagte mir durch den Kopf, als ich im Hotel saß und auf ihn wartete. Er trudelte schließlich um halb zwei Morgens ein. Ich ging in die Lobby und wir begrüßten uns und das Eis war sofort gebrochen. Dann gingen wir am Seine-Ufer spazieren. Und er erzählte mir über das Leben in einem Land, in dem 70% der Bevölkerung unter 30 Jahre alt ist. „Was meinst denn du“, sagte er, „im Untergrund haben wir alles was das Herz begehrt: Sex, Drogen, alle illegalen Bücher und Filme. Alles was verboten ist gibt’s im Untergrund.“ Und ich fragte: „Sag mal, habt ihr keine Angst, dass man euch erwischt?“ „Aber die Polizei möchte, dass wir so leben! Wir sollen uns in der Jugend die Hörner abstoßen und dann sollen wir schließlich einen Beruf ergreifen und eine Familie gründen. Solange wir jung sind, will die Polizei ja gerade, dass wir die Illusion der Freiheit haben.“
Den Roman „Der geheime Basar“ konnten Sie also nur mit der Unterstützung Ihrer iranischen Freunde schreiben?
Schreiben ist ja eigentlich ein Erlebnis der Einsamkeit. Aber bei diesem Buch war es anders: Ich war in der Gesellschaft von drei, vier Freunden die das Buch wirklich mit mir zusammen geschrieben haben. Meine iranischen Freunde lasen den Roman dann in der englischen Fassung. Aber ich hatte ihnen schon während des Schreibens jeden Abend gemailt und ihnen erzählt wie die Geschichte weitergeht. Das war ihnen sehr wichtig: dass das junge Teheran in diesem Buch eine Stimme bekommt. So ist das Buch entstanden.
Wie wurde Ihr Roman in Israel aufgenommen?
Mein Buch wurde in Israel zum Bestseller. Und trotzdem bin ich enttäuscht. Denn in Israel wird „Der geheime Basar“ als ein Buch gelesen, das einen Blick auf den ach so „exotischen“ Iran gibt. Die israelischen Kritiker begriffen einfach nicht, dass es auch ein Buch über uns ist. Dass es ein Warnsignal für unser Land ist! Unser Leben in Tel Aviv ist so liberal, so gut, dass wir die dunklen Wolken nicht sehen, die um uns heraufziehen. Man denke nur an diese religiösen Gesetze, die bei uns im Parlament verabschiedet werden. Doch die Israelis wollen diesen Alarm nicht hören. Sie denken, dass mein Buch nur vom Iran handelt.
Ron Leshem, „Der geheime Basar“ Aus d. Hebräischen von Barbara Linner 448 Seiten Rowohlt Berlin 22, 95 EURO