Stimmig zum internationalen Frauentag hat die Pariser Opéra Garnier ihre von Salzburg übernommene Produktion wieder aufgenommen. Sie wurde hier 1998 zum ersten Mal gezeigt in einer sehr direkten, schnörkellosen Inszenierung des Zürcher Regisseurs Christoph Marthaler. Ein tief beeindruckender Abend.
‚Katia Kabanova’ ist die Geschichte einer Frau, die am Druck der innerfamiliären und den Anforderungen der gesellschaftlichen Verhältnisse in einem kleinen russischen Dorf um 1860, zerbricht, vor allem aber auch an den von ihr verinnerlichten religiösen Werte.
Katia Kabanova als Individuum gibt es eigentlich gar nicht; sie hat kein Selbst-Bewusstsein. Sie existiert, auch für sich selbst, nur als Projektion der anderen; agiert nicht, reagiert nur. Sie zerreisst sich, den Ansprüchen anderer zu genügen, ohne Anerkennung dafür zu ernten. Wie ein Spielball wird sie herumgetrieben. Ihre Bitten, ihre Hilferufe bleiben ungehört. Ihre Bedeutungslosigkeit geht bis in den Freitod. Sie wird kaum beweint, im Gegenteil; ihre Schwiegermutter prostet sich zufrieden zu.
Die Geschichte basiert auf dem Schauspiel ‚Das Gewitter’ des russischen Schriftstellers Ostrowski. Leos Janacek, der tschechische Komponist, hatte das Libretto persönlich angepasst, denn die Situation der Katia betraf auch ihn selbst: 1917 ging Janacek eine Beziehung mit der 38 Jahre jüngeren verheirateten Kamila Stösslowa ein und das Paar hatte mit ähnlichen Pressionen zu leben. Janacek schrieb 1922 an seine Geliebte: ‚Beim Komponieren haben sich Ihr Bild und das von Katia immer wieder überlagert.’ So wurde diese Geschichte in eine hochemotionale Musik umgesetzt.
Marthaler lässt die Oper in der Enge und im Mief einer Mietskaserne der 50er-Jahre spielen. Die Oper wird zum schwer erträglichen Beziehungsstück. Jane Herschel (Schwiegermutter Kabanicha) und Angela Denoke (Katia) spielten ihre Rollen darin schon in der ersten Produktion 1998. Herschel war auch jetzt wieder überzeugend. Doch getragen und geprägt wurde die ganze Oper von einer überragenden Angela Denoke. Die Hamburger Sopranistin verkörperte die Rolle. Sie wurde so überzeugend gespielt und intensiv gesungen, dass der Zuhörer nicht unbeteiligt bleiben konnte. Man fühlte ihre Zerrissenheit, spürte ihre Angst, nahm teil an ihrer Verzweiflung, und war fast erleichtert bei ihrem Freitod; der einzigen Freiheit, die sie dachte sich erschaffen zu können.