„Wie kann ein Journalist oder eine Journalistin erwarten, je wieder von irgend jemandem ernst genommen zu werden, falls er den Mini-Boom ’Bachmann for President’ anders versteht als ein Symbol für ein politisches System, das sich jenseits aller Vernunft katapultiert hat?“, schrieb im Frühling der liberale New Yorker Journalismusprofessor Eric Alterman auf der Website „The Daily Beast“. Ein früherer Medienberater von Präsident George W. Bush wagte an selber Stelle zu widersprechen.
Mark McKinnon, heute in der PR-Branche tätig, zeigte auf, „wie Michele Bachmann gewinnen kann“, und zitierte als einen seiner Kronzeugen den Polit-Strategen und Bush-Intimus Karl Rove: „Sie ist smart, sie ist knallhart, sie ist lustig, sie hat Persönlichkeit, und all das wird ihr helfen…“ McKinnon selbst, kein Freund Bachmanns, argumentierte, die republikanische Abgeordnete würde 2012 eine stärkere Kandidatin abgeben als Sarah Palin, die nach wie vor mehr mit sorgfältig inszenierten Medienauftritten als mit politischen Überlegungen auffällt: „Sie arbeitet härter, sie ist smarter, sie ist disziplinierter, auch fokussierter, und sie hat, vielleicht am wichtigsten, Feuer im Bauch.“
Zwar lassen die Ergebnisse der „Iowa Straw Poll“, die Michele Bachmann am vergangenen Samstag knapp vor ihrem libertären Konkurrenten Ron Paul gewonnen hat, nur bedingt auf das spätere Abschneiden eines Präsidentschaftskandidaten schliessen. Wirklich gewählt wird erst im November 2012, und das ist in der US-Politik eine Ewigkeit. Auch haben nicht alle republikanischen Bewerber an der Testwahl teilgenommen, so zum Beispiel Rick Perry nicht, der Gouverneur von Texas, der erst am Wochenende als vorläufig letzter Kandidat seinen Hut in den Ring geworfen hat und dem Auguren bereits heute mehr als nur gute Chancen auf die Kanidatur seiner Partei einräumen. Trotzdem, der Sieg in Iowa beschert Michele Bachmann Auftrieb und Publizität und nicht zuletzt mehr Wahlkampspenden.
Wer aber ist Michele Marie Bachmann, am 6. April 1956 in Waterloo (Iowa) geboren, ursprünglich norwegischer Abstammung, Anwältin, Protestantin, Mutter von fünf Kindern, 23-fache Pflegemutter und seit 2007 Abgeordnete im Kongress in Washington DC? Sie ist - auf Grund ihrer profilierten politischen Überzeugungen und entsprechender Medienpräsenz - bekannter als erfahren. Unter anderem ist sie im rechten Dokumentarfilm „Sozialismus: eine deutliche und unabwendbare Gefahr“ zu sehen, ein Streifen, der Barack Obama mit Josef Stalin und Fidel Castro vergleicht. Die Amerikaner, warnt sie im Film, seien „Leibeigene“ ihrer Regierung geworden. Den Präsidenten selbst hat sie einst unter Umständen „anti-amerikanischer Ansichten“ bezichtigt.
2007 erklärte Michele Bachmann in einem Zeitungsinterview, sie wisse von einem anscheinend geheimen „Abkommen“ zwischen dem Irak und dem Iran: „Sie (die Iraner) werden die Hälfte des Irak kriegen, und dieser Teil wird ein Refugium für Terroristen werden, von dem aus sie weitere Attacken im Nahen Osten und welche gegen die Vereinigten Staaten planen werden.“ Ein Jahr später forderte sie am Bildschirm die nationalen Medien auf, ein „tief schürfendes Exposé“ zu verfassen und aufzuzeigen, welche Kongressmitglieder „anti-amerikanisch“ seien. Und sie erntete Kritik, nachdem sie im Kabelfernsehen – fälschlicherweise – behauptet hatte, eine Indien-Reise Barack Obamas koste den Steuerzahler 200 Millionen Dollar pro Tag. Michele Bachmann, die 1976 noch für Jimmy Carter gestimmt hatte, stieg 2000 in die Politik ein, nachdem sie bei einer Wahlveranstaltung für den Staatsenat in Minnesota laut eigener Aussage mit Erschrecken festgestellt hatte, wie liberal der republikanische Kandidat war. Sie entschloss sich - gemäss eigener Bekundung auf göttlichen Ratschlag hin - selber anzutreten und gewann. Gott forderte sie sechs Jahre später angeblich auch auf, für das Abgeordnetenhaus in Washington DC zu kandidieren. Sie und ihr Mann hätten darauf drei Tage lang gebetet und gefastet, bis sie überzeugt war, das Richtige zu tun.
Michele Bachmanns Gatte Marcus leitet ein christliches Beratungszentrum, das sich auf „Männer- & Frauenangelegenheiten“, „Missbrauchsthemen“ und „geistige Themen“ spezialisiert. Jedenfalls zog sie 2007 in den US-Kongress ein und gründete dort nach ihrer Wiederwahl 2010 die einflussreiche Fraktion der Tea Party – zum Missvergnügen etlicher republikanischer Parteikollegen, denen die 55-Jährige eine Spur zu gottesfürchtig und zu sozialkonservativ ist. Und die ihr folglich einen Aufstieg innerhalb der Partei-Hierarchie in Washington nicht gönnen mochten. Wobei unter Umständen auch Neid im Spiel war: Kein republikanischer Abgeordneter hat im vergangenen Jahr so viele Wahlkampfspenden gesammelt wie Michele Bachmann. Auf ihrem Konto häuften sich 13 Millionen Dollar an, meistens kleine Beträge einzelner Spender.
Wie bei der „Iowa Straw Poll“ dürfte Michel Bachmann auch bei den ersten wirklich ernst zu nehmenden Vorwahlen, den „Iowa Caucuses“ im Februar 2012, davon profitieren, im Staat geboren worden zu sein. „Wir brauchen einen starken, verfasssungstreuen Konservativen, der sich zu wehren weiss und für jene Werte kämpft, an die wir glauben“, hat Michele Bachmann einst der „New York Times“ gesagt: „Das brauchen wir in jener Person, die wir nominieren, egal ob ich das bin oder ob es jemand anderer ist.“ In der Tat ist das Rennen unter den Republikanern um den Einzug ins Weisse Haus noch völlig offen. Derzeit scheint es auf einen Dreikampf zwischen Michele Bachmann, Rick Perry und Mitt Romney, dem früheren Gouverneur von Massachusetts, hinauszulaufen – mit Sarah Palin, die in Iowa mit einem überraschenden Auftritt allen Beteiligten die Show stahl, als grosser Unbekannter.
Die Kulisse für die „Iowa Straw Poll“ in Ames liefert jeweils der „Iowa State Fair“, ein jährlich wiederkehrender Landwirtschaftskirmes, zu dessen Höhepunkten unter anderem die Kür des gewichtigsten Schweins im Staate gehört. Doch ist es nicht diese Art von Rummel, die Frank Bruni, einen Kolumnisten der „New York Times“, an der „Straw Poll“ verzweifeln liess: „Es war ein zutiefst desillusionierendes Spektakel, weil es so gänzlich vertraut war: Uralt Bekanntes zu einem Zeitpunkt ausserordentlicher globaler Verunsicherung und tiefer nationaler Angst. Amerikaner sind heute furchtsamer und pessimistischer – und Washington ist dysfunktionaler –, als sie es seit langer Zeit gewesen sind. Das Drehbuch für Iowa aber blieb dasselbe.“ Die Zeit sei reif, so Bruni, für „eine noblere, smartere, substanziellere Politik“. Eigentlich überreif: „Dafür aber war Iowa keine Bühne.“ Auch für Michele Bachmann nicht, deren gottesfürchtige Politik polarisiert wie kaum eine zweite.
(Der Artikel ist eine aufdatierte Version einer bereits Ende April im Journal21 erschienen Geschichte.)