Besser kann man eine komische Oper mit durchaus ernst gemeintem Tiefgang kaum inszenieren: Der deutsche Meisterregisseur Herbert Fritsch versetzt Schostakowitschs Groteske nach Nikolai Gogol in ein (nur vordergründig) zeitlos wirkendes, buntes Kaleidoskop.
In diesem tummeln sich in Chaplin’scher Manier die personifizierten Eigenschaften einer Gesellschaft von Bürokraten.
Groteske gegen das Spiessbürgertum
Schostakowitsch (1906–1975) war bei der Uraufführung seiner ersten vollendeten Oper erst 22 Jahre alt, hatte aber bereits schon einen ersten Erfolg mit seinem ersten Klavierkonzert hinter sich. In dieser unsicheren Zeit nach der Russischen Revolution war mit dem Aufbau einer neuen Gesellschaft künstlerisch auch eine avantgardistische Geisselung von überkommenem spiessbürgerlichem Denken angesagt.
Fast ein Jahrhundert früher schon war dieser Angriff auf die damalige zaristische Obrigkeit dem ukrainischen Dichter Nikolai Gogol ein Hauptanliegen gewesen. Schostakowitsch fand in dessen Erzählung «Die Nase» von 1836 eine kongeniale Entsprechung für seinen eigenen zeitkritischen Ansatz in der stalinistischen Gesellschaft.
Eine verlorene Nase
Denn was bewirkt eine Nase, die plötzlich eines Morgens verloren geht, anderes als «bewegte Luft»? Doch der Verlust des sich aus dem Gesicht vorwölbenden Organes, in mancherlei Hinsicht ein «Sinnes-Organ», kann auch den in seiner bürgerlichen Sattheit ruhenden Beamten Kowaljow in seinen Grundfesten erschüttern. Und sowohl er wie auch mit der Zeit die ganze Gesellschaft, welche sich zwecks Wiederauffindung der Nase immer mehr zusammenschliesst, kann er sich der Einsicht nicht verschliessen, dass ein Ausgestossensein aus der bürgerlichen Gesellschaft zu den unerträglichsten Übeln zählt.
Umso freudiger können eines Morgens alle konstatieren, dass die Nase plötzlich nicht nur wieder vorhanden ist, sondern auch an ihrem richtigen Platze im Gesicht sitzt – und dort bleibt. Die Welt der Bourgeoisie ist wieder in Ordnung.
Aus einem Guss
Ein strahlender Dur-Akkord, ein befreites Ausatmen des grossen Orchesters begleitet das endlich geglückte Verschwinden der Nase in den Fluten der Newa. Schostakowitsch spielt kompositorisch mit vielen -ismen und verbindet sie polyphon auf eine einfallsreiche Art und Weise, welche uns Zuhörer staunen lässt – falls man durch das turbulente Bühnengeschehen nicht allzu abgelenkt ist.
Diese Oper sollte man mehrmals erleben, um alles erfassen zu können: Übersteigerungen, schroffe Wechsel, aufblühende, dann jäh abbrechende Kantilenen, unendlich lange Steigerungen bis ins dreifache Forte und dann wieder absteigende Skalen, die im Pianissimo enden – ein ununterbrochener Wechsel, wie es scheint. Chor, Soli und grosses Orchester aus einem Guss – ein Meisterwerk!
Alle beteiligten Protagonisten – mit Ausnahme des Haupthelden Michael Borth als Kowaljov – haben mehrere Rollen zu spielen – kein Wunder bei einem Stück, welches über 50 Rollenbesetzungen aufweist. Sie tun es mit einer unbändigen Spiellust und grosser Stimmbeherrschung und übertragen den absurden, klugen Spass erfolgreich aufs Publikum.
Bühne als Stimmungsbarometer
Herbert Fritsch hat in dieser Inszenierung mit Clemens Heil, dem neuen Musikchef des Theaters Basel, einen kenntnisreichen musikalischen Partner gefunden. Heil führt das Sinfonieorchester Basel mit Verve und Laune. Aber auch die von Fritsch selbst entworfene Szenerie als solche trägt einen wichtigen Teil zur Stimmigkeit bei. Ein aus den Grundfarben entwickeltes, gestaffeltes Mittelstück der Bühne, welches sich nicht nur dreht, sondern auch die Farben im Sinne eines Stimmungsbarometers wechselt, bringt ununterbrochen Bewegung ins Geschehen – gleichermassen Ufer an der Newa wie Bürger- und Frisiersalon.
Nach dem Auffinden der Nase vereinen sich all die Protagonisten befreit zu einem nicht enden wollenden Kasatschok, der sich bis in den frenetischen Applaus des heiteren Publikums hinzieht. Zwei hocherfreuliche Stunden in diesen düsteren Zeiten!
Nächste geplante Aufführung: 13. Dezember