Die Golfstaaten haben – zweifellos unter dem Druck Saudi-Arabiens – die libanesische Schiiten-Miliz Hizbullah zur „terroristischen Gruppierung“ erklärt. Gleichzeitig wurde die pro-iranische Miliz mit einem Boykott belegt.
Dies bedeutet, dass Banken und andere Geschäfte in Libanon, die mit Hizbullah zu tun haben, keinerlei Aktivitäten mehr mit den Golfstaaten unterhalten können. Aus „Sicherheitsgründen“ wurden die Bürger der Golfstaaten aus Libanon zurückgerufen. Künftig sollen auch keine Touristen und Geschäftsleute mehr in den Zedernstaat reisen. Wie streng diese Regeln eingehalten werden, bleibt abzuwarten. Jedenfalls belasten sie die ohnehin angeschlagene Wirtschaft und Politik Libanons weiter.
Libanon verurteilt Iran nicht
Auslöser dieses diplomatischen Streits war die Weigerung Libanons, einer Verurteilung Irans zuzustimmen. Wegen der teilweisen Zerstörung der saudischen Botschaft in Teheran und des saudischen Konsulats in Meschhed im vergangenen Jahr hatten arabische und islamische Aussenminister Teheran verurteilt. Nicht so der libanesische Aussenminister Gibran Bassil. Er gehört zur maronitischen Partei von Generals Aoun, die mit Hizbullah zusammenarbeitet.
Saudi-Arabien hatte früher der libanesischen Armee französische Waffen im Wert von drei Milliarden Dollar schenken wollen. Der inzwischen verstorbene saudische König Abdullah hatte mit diesem Kriegsmaterial die libanesische Armee stärken wollen, um sie gegen möglich Übergriffe aus Syrien zu wappnen. Doch auch dem Hizbullah sollte mit den Waffen die Stirn geboten werden. Hizbullah gilt als besser bewaffnet, kampferfahrener und kampfentschlossener als die libanesische Armee und Polizei.
Keine Waffen mehr für Libanon
Doch jetzt, als Reaktion auf die Nicht-Verurteilung Irans durch Libanon, hat Saudi-Arabien die versprochenen Waffenlieferungen gestoppt. Der saudische Aussenminister erklärte am Samstag in Paris, die Waffenbestellung in Frankreich würde nicht annulliert, doch die Waffen gingen jetzt an Saudi-Arabien.
Dass die libanesische Armee ohne die neuen Waffen noch weniger in der Lage sein dürfte, Hizbullah die Stirn zu bieten, erwähnten saudische Sprecher und Kommentatoren nicht. Vielleicht sind sie der Ansicht, die libanesische Armee habe Hizbullah ohnehin nichts entgegenzusetzen – mit oder ohne neue Waffen.
"Verbündete und Klienten Irans"
Die fünf Erdölstaaten am Golf, die zum „Golf-Kooperationsrat“ (GCC) gehören, begründen ihre Verurteilung des Hizbullah damit, dass die schiitische Miliz aufseiten Irans und aufseiten Asad kämpfe. Hizbullah versuche, „Terroristen“ in ihren Ländern zu mobilisieren. Damit sprechen sie wohl, ohne sie zu nennen, von den schiitischen Minderheiten in den Golf-Staaten. In Bahrein machen die Schiiten sogar die Mehrheit aus. Die Golfstaaten übernehmen auch die saudische Wortwahl, wonach die zaiditischen Huthis in Jemen „Verbündete und Klienten Irans“ seien. Neben Saudi-Arabien sind vor allem die Vereinigten Arabischen Emirate tief verstrickt im Kampf gegen die Huthis.
Die saudische Haltung, die nun der Golfrat mitvollzieht, läuft auf eine Gleichsetzung des gesamten libanesischen Staates mit Hizbullah hinaus. Dies ist ein Bruch mit der bisherigen Libanon-Politik Riads. Bisher hatte Saudi-Arabien versucht, die Rivalen und Gegner des Hizbullah in Libanon zu unterstützen. Diese Gegenspieler des Hizbullah treten gemeinsam in der "Koalition vom 14. März" auf.
Der Mord an Rafic Hariri
Das Bündnis Libanons mit Saudi-Arabien geht zurück auf die Zeit nach dem Ende des libanesischen Bürgerkriegs (1975-1991). Damals setzte Rafic Hariri, ein in Saudi-Arabien reich gewordener Grossbauunternehmer libanesischer Herkunft, seine Kapitalien ein, um die zerstörten Städte Libanons wiederaufzubauen. Rafic Hariri wurde später zwei Mal Ministerpräsident Libanons. Am 14. Februar 2005 fiel er einem Bombenanschlag zum Opfer.
Ein internationales Sondergericht, das den Mord aufklären soll, tagt bis heute. Man vermutet, dass Hizbullah hinter dem Mord steht. Doch die Schiiten-Miliz streitet jede Schuld ab und beschuldigt Israel, die Tat begangen zu haben. Hizbullah weigert sich auch, die angeklagten schiitischen Aktivisten an das Sondergericht auszuliefern. Neben der Hizbullah wurde auch Syrien bezichtigt, den Mord in Auftrag gegeben zu haben.
Saad Hariri – Exil in Frankreich
Der Sohn des ermordeten Ministerpräsidenten, Saad Hariri, ist heute das Oberhaupt der "Allianz vom 14. März". Diese ist ein Sammelbecken der libanesischen Sunniten und der mit ihnen verbündeten christlichen Gruppen. Doch Saad fürchtet um sein Leben und lebt deshalb im Ausland. Die Asad-Regierung in Syrien hat ihn zur Verhaftung ausgeschrieben. Er erbte „Saudi Oger“, die Firma seines Vaters in Saudi-Arabien. „Saudi Oger“ baute vor allem Paläste für saudische Prinzen und Prinzessinnen und andere Gebäude für die Königsfamilie.
Die Firma hat zurzeit finanzielle Schwierigkeiten. Ihre Angestellten werden teilweise seit Monaten nicht mehr bezahlt. Doch alle hoffen noch auf eine Rettung des Unternehmens. Das persönliche Vermögen Saad Hariris, der in Frankreich und in Saudi-Arabien lebt, wird auf 1,5 bis 2 Milliarden Dollar geschätzt.
Zäsur
Für Libanon stellt der Bruch mit Riad und den anderen Golfstaaten eine schwere Zäsur dar, und zwar politisch und wirtschaftlich. Saudi-Arabien war die Beschützerin der sunnitischen Libanesen. Diese hatten in den ersten Jahren des syrischen Bürgerkrieges die Rebellen gegen Asad unterstützt. Waffen, die von Saudi-Arabien finanziert wurden, waren via die Sunniten der „Allianz des 14. März“ an die sunnitischen Aufständischen in Syrien geliefert worden.
Nun erklärt sich Saudi-Arabien plötzlich zum Widersacher Libanons. Der neue saudische König Salman und sein Sohn und Verteidigungsminister Mohammed Ben Salman, sind offenbar zur Ansicht gelangt, dass Hizbullah die führende Kraft in Libanon ist. Die Saudis glauben nicht mehr, dass Hariri und seine Verbündeten in der Lage sein würden, den durch die Hizbullah ausgeübten starken iranischen Einfluss im Libanon einzudämmen und Beirut auf die Seite Saudi-Arabiens zu steuern.
Zudecken von Gegensätzen
In Saudi-Arabien gilt zurzeit die Losung: „Gehörst du zu Iran oder gehörst du zu uns“. Etwas dazwischen anerkennt Riad nicht.
Doch der Staat Libanon lebt und überlebt von schwankenden Unbestimmtheiten. Das Land ist so tief gespalten, dass man versucht, bestehende Gegensätze nicht offen ausbrechen zu lassen. Nur so konnte bisher ein Bürgerkrieg vermieden werden. Doch der Staat wird dadurch gelähmt. Seit 2014 ist Libanon nicht in der Lage, einen neuen Staatspräsidenten zu wählen. Dem Land droht die Spaltung und es steht unter dem Druck des Krieges im benachbarten Syrien. Nur durch eine Politik des Zudeckens von Gegensätzen konnte bisher ein Bürgerkrieg vermieden werden.