Hugh Sidey, 1927 geboren, hat während seiner langen journalistischen Laufbahn von Dwight E. Eisenhower bis zu Bill Clinton über neun US-Präsidenten berichtet, erst für "Life", später für "Time". Er schrieb auch ein Buch über Amerikas Präsidenten und moderierte eine Fernsehserie zum Thema. Sidey, aus Iowa stammend, wurde bekannt zu einer Zeit, als das Verhältnis zwischen dem Weissen Haus und den Medien noch nicht so angespannt war, wie es das heute ist. Er war ein Insider mit beneidenswert gutem Zugang zu den Männern im Oval Office, dem es aber trotzdem gelang, wie zum Beispiel während Watergate, eine kritische Distanz zur Macht zu bewahren. Als Hugh Sidey 2005 beerdigt wurde, würdigte ihn George H. W. Bush, mit dem er, wie mit Ronald Reagan, persönlich gut befreundet gewesen war.
Hugh Sidey war auch mit John F. Kennedy unterwegs, als dieser am 22. November 1963 in Dallas erschossen wurde. Zwei Jahre zuvor, im Juli 1961, hatte ihn der Präsident laut "time.com" zu einem Dinner in Palm Beach (Florida) eingeladen, nachdem JFK von einem bewegten Gipfeltreffen mit dem sowjetischen Parteichef Nikita Chruschtschow in Wien zurückgekehrt war. Während des Essens (es wurde Fisch serviert) erzählte Kennedy, wie sehr sich Chruschtschow über Berlin ärgere, jene Insel der Freiheit innerhalb des mit dem Eisernen Vorhang geschützten Sowjetimperiums. "Wir haben eine geschäftige kommunistische Enklave nur vier Strassenzüge vom Weissen Haus entfernt", sagte Sidey zu Kennedy, womit der Journalist die sowjetische Botschaft in Washington DC meinte. Da hörte Kennedy zu essen auf und sagte: "Was Sie wohl nicht wissen: Sie (die sowjetischen Diplomaten) haben eine Atombombe im dritten Stock des Botschaftsgebäudes." Hugh Sidey, der wusste, wie sehr JFK Spionageschichten liebte, antwortete: "Sicher, wieso nicht?"
Reines Wunschdenken
Doch John F. Kennedy liess sich von Hugh Sideys Skepsis nicht beirren. Seines Wissens, so der Präsident, hätten die Russen die Bestandteile einer Atombombe im diplomatischen Gepäck in die Botschaft geschmuggelt und die Bombe dann im Estrich zusammengebaut. "Falls es wirklich sehr schlimm und ein Krieg unausweichlich wird", sagte Kennedy, "werden sie die Bombe zünden und das wäre dann das Ende des Weissen Hauses und des Rests der Stadt." Sidey berichtet, er habe darüber gelacht, worauf der Präsident, wenig amüsiert, beifügte: "Das ist zumindest das, was ich höre. Wissen Sie denn etwas, was ich nicht weiss? Fünf Jahre später, so der "Time"-Korrespondent, habe ihm anlässlich eines öffentlichen Vortrages ein Zuhörer bestätigt, dass der Geheimdienst der amerikanischen Armee (DIA) Anfang der 60er-Jahre davon überzeugt gewesen sei, dass die Russen eine Atombombe im Estrich der Botschaft in Washington DC versteckt hätten.
Vor zwei Jahren hat sich übrigens ein Ausschuss des US-Senats in einer Reihe von Anhörungen mit der Wahrscheinlichkeit eines nuklearen Angriffs auf Amerikas Hauptstadt beschäftigt. Die Explosion einer Bombe mit einer Sprengkraft von 10 Kilotonnen (ähnlich zerstörerisch wie die Bombe über Hiroshima während des 2. Weltkrieges) in der Nähe des Weissen Hauses, so mutmassten die Experten, würde rund 100 000 Menschen töten und die Regierungsgebäude im Zentrum von DC flach legen. "Es ist unausweichlich", warnte 2008 Cham E. Dallas, ein Professor der University of Georgia, die Mitglieder des Ausschusses für Heimatschutz und Regierungsangelegenheiten: "Ich glaube, es ist Wunschdenken, anzunehmen, dass so etwas innerhalb der nächsten 20 Jahre nicht passieren wird."
Bob Woodward’s jüngstem Buch ("Obama’s Wars") zufolge hat ein geheimes Manöver im Mai gezeigt, dass die Regierung in Washington DC im Falle einer nuklearen Attacke auf die USA erschreckend unvorbereitet wäre. Die Simulation ging von der Explosion einer kleinen, primitiven Atombombe in Indianapolis und der Androhung einer zweiten Zündung in Los Angeles aus. Präsident Barack Obama sagte im Gespräch mit dem Starjournalisten der "Washington Post", ein nuklearer Angriff wäre "potenziell Spiel entscheidend": "Wenn ich die Liste jener Dinge durchgehe, die mir am meisten Sorgen bereiten, dann ist das an der Spitze, weil es jene Sache ist, auf die bezogen man sich keine Fehler leisten kann."