Bereits auf der Piste des Flughafens in Kloten holt einen der US-Wahlkampf ein. Die Sitznachbarn im Flieger, ein älteres Ehepaar aus der Nähe von Seattle, erkundigen sich nach der Meinung der Schweizer zum jüngsten politischen Geschehen in Amerika.
„Welcome to America“
Sie würden sich schämen, bekennen die beiden, dass ihre Nation unter 330 Millionen Menschen nicht zwei bessere Kandidaten habe finden können, obwohl die Eine mit Sicherheit für das höchste Amt im Staate geeigneter sei als der Andere. Das Paar hat Freunde besucht, in Wollerau, und ist des Lobes über Zürich und die Schweiz so voll, dass es einem fast peinlich wird.
Trotzdem, in DC gelandet, erinnert sich der Reisende gern an den Schweizer Zoll, denn er gerät unvermittelt in eine eher unangenehme „customs inspection“ von ungewisser Dauer. Der Beamte, nicht eben freundlich, mag nicht gross Auskunft geben, und bis Koffer und Reisetasche durchwühlt sind, vergeht am Ende eine dreiviertel Stunde: „Welcome to America“. Die Fahrt per Taxi in die Innenstadt verläuft dann, vom üblichen Stau zur Rush Hour abgesehen, ereignislos, und der Fahrer, aus Pakistan eingewandert, mag sich nicht zum Wahlkampf äussern. Warum sollte er auch?
Gutes Vorzeichen?
Vier Jahre früher, vor der Wahl zwischen Barack Obama und Mitt Romney, hatten die Folgen des Hurrikans „Sandy“ die Ostküste beeinträchtigt, wo der Sturm die Lichter hatte ausgehen lassen und apokalyptisch als Vorbote eines umstrittenen Urnengangs gewertet worden war. Diesmal war der Final um die Meisterschaft im Baseball, die World Series, in einer Bar am Dupont Circle eines der Hauptgesprächsthemen.
Nach Verlängerung gewannen die Chicago Cubs gegen die Cleveland Indians in einem dramatischen Spiel mit 8:7 – der erste Titel für die Cubs seit 108 Jahren und entsprechend Anlass für ausgelassene Feierlichkeiten in Chicago. Der Sieg der Cubs, meinte ein Barbesucher, sei ein gutes Omen für Hillary Clinton, die in einem Vorort von Chicago aufgewachsen ist und das Spiel unterwegs auf einem iPad verfolgte. Und er bedeutet das Ende des in Sportkreisen legendären Ziegenbock-Fluches: „The Curse of the Billy Goat“.
Hillarys gefüllte Kriegskasse
Der Legende nach hat der Besitzer einer Taverne, der mit Bock Murphy Tier ein Spiel der Cubs besuchen wollte, aber zum Endspiel nicht ins Stadion gelassen wurde, 1945 die Mannschaft verflucht und prophezeit, sie würde nie Meister werden. „The Billy Goat Tavern“, eine Kneipe im Keller des Wolkenkratzers der „Chicago Tribune“, steht noch heute.
Doch die Wahl ganz zu verdrängen, vermochte auch der Sport nicht. In den Werbepausen der Übertragung auf Fox TV meldeten sich Hillary Clinton und Donald Trump in Anzeigen zu Wort und bescheinigten sich gegenseitig Unfähigkeit. Sie seien nicht genügend gerüstet, um nach der Wahl vom 8. November ins Weisse Haus einzuziehen. Im „Luftkrieg“, wie Eingefleischte das Werbeduell in Fernsehen und Radio um die Gunst der amerikanischen Wählerschaft nennen, ist Clinton fünf Tage vor dem Urnengang im Vorteil. In ihrer Kriegskasse lagern über 62 Millionen Dollar, derweil sich Donald Trump mit 16 Millionen begnügen muss. Die Kommunikationschefin der Kandidatin hat verlauten lassen, sie würde keinen einzelnen Dollar sparen.
Obamas Mahnung
Zum Einsatz kommt das Geld vor allem in „swing states“, jenen unentschiedenen Staaten wie Ohio, Pennsylvania oder Florida, die erfahrungsgemäss Präsidentenwahlen entscheiden. In der Mehrheit der Staaten, den blauen demokratischen sowie den roten republikanischen, liegt das Wahlergebnis jeweils im Voraus fest. Wobei demographische und wirtschaftliche Entwicklungen dazu führen, dass sich blaue Staaten in rote und rote Staaten in blaue verwandeln, etwa weil in einem Staat der Anteil der Latinos merklich steigt, was die Republikaner an der Urne benachteiligt, oder sich die Arbeiterschaft in einem andern enttäuscht von den Demokraten abwendet.
Sorgen bereitet den Demokraten der Umstand, dass sich Schwarze dieses Jahr weniger zahlreich an der vorgezogenen Wahl („early voting“) beteiligen als noch vor vier Jahren – Grund für Präsident Barack Obama, sich am Mittwoch in einem Radiointerview für eine grössere Stimmbeteiligung von Afroamerikanern auszusprechen: „Es ist nötig, dass jedermann versteht, dass alles, was wir erreicht haben, davon abhängt, dass wir den Stab an jemanden übergeben können, der an dieselben Sachen wie ich glaubt.“
Die E-Mail-Affäre
Derweil erinnert Hillary Clinton in einem Radio-Werbespot Wählerinnen und Wähler daran, dass sich Donald Trump öffentlich über die afroamerikanische Gemeinschaft mokiert habe. Bis zur Wochenmitte sollen über 30 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner ihre Stimme frühzeitig abgegeben haben, was je nach Staat entweder Clinton oder Trump nützen wird, unter dem Strich aber eher die Demokratin bevorteilen dürfte.
Gleichzeitig versucht Donald Trump weiterhin, aus Hillary Clintons E-mail-Affäre Kapital zu schlagen, die FBI-Chef James Comey vergangene Woche erneut losgetreten hat, als er dem Kongress in einem Brief mitteilte, auf einem fremden Laptop seien Mails gefunden worden, die mit der ursprünglichen Untersuchung vom vergangenen Sommer zu tun haben könnten. Genaueres über Anzahl und Art der Mails oder die Dauer der neuen Untersuchung wusste Comey, ein Republikaner, allerdings nicht.
Rüge des Präsidenten
Das eigenwillige Vorgehen trug dem FBI-Chef eine deutliche Rüge des Präsidenten ein. „Wir agieren nicht aufgrund unvollständiger Information“, sagte Barack Obama in einem Fernsehinterview, ohne James Comey namentlich zu nennen: „Wir agieren nicht aufgrund von undichten Stellen. Wir agieren aufgrund konkret getroffener Entscheidungen.“
Umso aggressiver reagierte Donald Trump Mitte der Woche bei einem Wahlkampfauftritt in Orlando (Florida): Hillary Clinton werde mutmasslich noch jahrelang Ziel von Untersuchungen bleiben, „die wahrscheinlich in eine Strafuntersuchung münden.“ Seine demokratische Konkurrentin, so der Republikaner zuvor in Miami, sei eine „sehr instabile Person“. Einzelnen Berichten zufolge soll Trump erwägen, ein Amtsenthebungsverfahren („impeachment“) anstrengen zu lassen, sollte Clinton gewählt werden.
Trumps Entgleisungen
Schlagzeilen machte am Donnerstag auch der Umstand, dass Donald Trumps Gattin Melania Trump in einem Vorort von Philadelphia (Pennsylvania) auftrat und die Öffentlichkeit dazu aufrief, bei der Kommunikation via Soziale Medien mehr Zurückhaltung zu üben und Anstand zu wahren – nicht zuletzt den Kindern des Landes zuliebe. Der Aufruf überraschte insofern, als Donald Trump bei Wahlkampfanlässen oder via Twitter äusserst aggressiv bis unanständig zu kommunizieren pflegt. So hat er sich zum Beispiel einmal über einen behinderten Reporter der „New York Times“ lustig gemacht, dessen spastische Gesten er auf der Bühne imitierte.
Erneut griff Trump in Florida auch die Medien an, die Teil eines „korrupten Systems“ seien. Missfallen haben dürften ihm Diskussionen wie jene auf CNN, dem „Clinton News Network“, in denen sich Experten dazu äussern, wie wahrscheinlich es sei, dass Trump-Anhänger am Wahltag versuchen würden, Schwarze durch Einschüchterung daran zu hindern, ihre Stimme abzugeben. Einzelnen Berichten zufolge hat es bereits entsprechende Versuche gegeben wie jenen, Wählerinnen und Wähler davon zu überzeugen, sie könnten per SMS abstimmen. Ein Experte meinte aber, dass ein solches Vorhaben, falls es tatsächlich passiere, sich eher kontraproduktiv auswirken könnte.
„Nächste Woche, wenn alles gut geht, wird jemand die Präsidentschaft gewinnen“, schreibt „New York Times“-Kolumnist Farhad Manjoo: „Was danach geschieht, weiss niemand. Wird die Verliererseite das Resultat anerkennen? Wird eine Mehrheit der Amerikaner die Legitimität des neuen Präsidenten bejahen? Und werden wir alle in der Lage sein, all die Lügen, all die falschen Behauptungen und all den Dreck wegzukehren, die in diesem Fakt-freien Wahlkampf herumgeschleudert worden sind?“ Die Hoffnung stirbt auch in den USA zuletzt.