Äusserlich ist der „Los Angeles Times“ nur wenig anzumerken von der inneren Unruhe, die Amerikas zweitgösste städtische Tageszeitung erfasst hat, seit deren Mitarbeiter wissen, dass ihr Blatt demnächst wohl erneut den Besitzer wechselt. Der alte Eigentümer, Immobilienmagnat Sam Zell, hatte die Tribune Co., der die „Times“ seit der Jahrtausendwende gehört, 2007 gekauft, ausgeweidet und ein Jahr später in Konkurs schlittern lassen.
Illustre Nachbarschaft
Die Zahl der Mitarbeitenden schrumpfte um die Hälfte auf 500 und diverse Sparrunden dünnten die Zeitung aus, liessen die Moral sinken. Gleichzeitig ist die Auflage der “LA Times“ seit 2000 um fast die Hälfte auf 600‘000 Exemplare gefallen‚ ein tieferer Fall, als ihn im selben Zeitraum vergleichbare Blätter wie die „Chicago Tribune“ oder die „Washington Post“ erfuhren.
Noch aber prangt das Logo der „Los Angeles Times“ stolz am imposanten Gebäude im Stadtzentrum an der Spring Street, direkt gegenüber dem nicht weniger eindrücklichen Hauptquartier des LAPD, der berühmt-berüchtigten Stadtpolizei. Deren unverhältnismässig brutales Vorgehen gegen den schwarzen Automobilisten Rodney King löste 1992 schwere Rassenunruhen aus, nachdem ein Gericht die involvierten Beamten freigesprochen hatte. Das LAPD, dem die Nähe zur Zeitung und deren Reportern angeblich nicht immer geheuer ist, beschäftigt heute gegen 13‘000 Leute.
Sturm der Entrüstung
Auch im Innern des Gebäudes, das von der Architektur her an einen Tempel erinnert, wird sichtbar, dass die 1881 gegründete Zeitung eine lokale, wenn nicht nationale Institution ist. Die Wände zieren historische Frontseiten, Bilder hauseigener Fotografen sowie gerahmte Auszeichnungen unterschiedlicher Provenienz, am prominentesten all die Pulitzerpreise, die das Blatt in seiner stolzen Geschichte gewonnen hat. In der mit Fresken verzierten Eingangslobby an der 1st Street steht noch, als Hommage an frühere Zeiten gedacht, eine Setzmaschine des Typs Linotype. Und im Gesundheits-bewussten Kalifornien fehlt auch ein Fitness-Raum für Mitarbeitende nicht.
Als Investor Warren Buffett im vergangenen Jahr in Amerika für 142 Millionen Dollar 63 Zeitungen kaufte, schlug das in den Medien und in der Öffentlichkeit kaum Wellen. Der 83-Jährige gilt als Sympathisant von Präsident Barack Obama und befürwortet ausdrücklich höhere Steuern für Reiche. Als aber bekannt wurde, dass David und Charles Koch daran interessiert seien, die „Los Angeles Times“ (und weitere Tageszeitungen wie die „Chicago Tribune“, die „Baltimore Sun“ oder den „Orlando Sentinel“) zu kaufen, erhob sich im liberalen Los Angeles, einer Hochburg der Demokraten, ein Sturm der Entrüstung.
Sprachrohre erzkonservativer Ideologie
Anlässlich einer internen Preisübergabe hoben im April fast die Hälfte aller Redaktionsmitglieder die Hand, als ein Kolumnist fragte, wer die Zeitung verlassen würde, falls die Gebrüder Koch das Blatt kauften. Nur wenige gelobten, das zu tun, falls Rupert Murdoch, der ebenfalls als möglicher Käufer gilt, die „Times“ erwerben würde. Und niemand hob die Hand auf die Frage, wer kündigen würde, falls eine Gruppe um den reichen Kunstmäzen Eli Broad und Investmentbanker Austin Beutner, die beide als liberal und den Demokraten zugeneigt gelten, die Zeitung übernähme.
Auch städtische Gewerkschaften, demokratische Politiker und liberale Interessengruppen wehren sich gegen einen Verkauf der „LA Times“ an den 72-jährigen David und den 77-jährigen Charles Koch, deren Koch Industries im Energie- und Produktionssektor tätig und Amerikas zweitgrösstes nicht börsenkotiertes Unternehmen ist. Der Jahresertrag der Firma liegt laut „New York Times“ bei rund 115 Milliarden Dollar. Wie Sam Zell sind auch die Koch Brothers mehrfache Milliardäre.
Ein früherer Berater von Koch Industries argumentiert, die beiden Brüder seien an der Tribune Co. lediglich als Investitionsobjekt interessiert, ähnlich wie es Warren Buffett beim Kaut seiner 63 Zeitungen war. Dagegen befürchten lokale Stimmen, David und Charles Koch wollten die acht Zeitungen der Kette inklusive der „LA Times“ in erster Linie kaufen, um sie zu Sprachrohren ihrer erzkonservativen Ideologie umzuformen, die sich lokalen Gewerkschaften zufolge als „anti-Arbeitnehmer, anti-Umwelt, anti-öffentliche Erziehung und anti-Einwanderer“ äussert.
Schweigsames Management
Gewerkschaftsführer in Los Angeles haben verlauten lassen, sie könnten im Fall eines Verkaufes der Tribune Co. an Koch Industries gezwungen sein, Pensionskassengelder von jener Finanzverwaltungsfirma abzuziehen, die derzeit als Gläubiger rund jede vierte „Tribune“-Aktie hält. Auch L.A.s neuer Bürgermeister Eric Garcetti unterstützte zumindest vor der Wahl die Motion eines Stadtrats, der den Abzug städtischer Pensionskassengelder fordert, falls die “LA Times“ an einen Käufer gehe, der „professionellen und objektiven Journalismus“ nicht unterstützte. Indes hat es auch vor dem Hauptquartier der „Tribune“ in Chicago Proteste gegen eine mögliche Übernahme durch die Gebrüder Koch gegeben.
Mitarbeitende der „Times“ selbst haben vom Management seit längerem nichts mehr gehört, was es die Verkaufspläne betrifft. Aussen Stehende zweifeln, ob im Falle eines Deals mit Koch Industries tatsächlich die halbe Redaktion das Blatt verlassen würde – nicht zuletzt, weil es in Los Angeles kaum Alternativen zur “Times“ gibt (das lokale Büro der „Huffington Post“ beschäftigt ganze drei Mitarbeiter).
Öffentliche Verpflichtung
Der erinnert die „New York Times“ daran, dass politische Einflussnahme der „Los Angeles Times“ nicht fremd sei: „Die Gründerfamilien der Zeitung, die Otises und die Chandlers, haben ihre aufstrebende Publikation dazu eingesetzt, um jene Entwicklung zu fördern, die das moderne Los Angeles hat entstehen lassen.“ So hätte Verleger Harrison Gray Otis seinerzeit die ausreichende Versorgung der Stadt mit Wasser ermöglicht, eine Episode, die in Roman Polanskis Film „Chinatown“ figuriert. Die „LA Times“ propagierte einst auch den Bau des Hafens von Los Angeles.
Historiker Kevin Starr, der die Geschichte Kaliforniens wie kaum ein zweiter kennt, schildert Otis als einen Geschäftsmann, „der den gesamten politischen Apparat und die öffentliche Meinung zu seiner Bereicherung manipulieren konnte“. Otis war es auch, der über einem Fries auf der Fassade des neuen Hauptquartiers einen Adler aus Bronze anbringen liess, der ein Motto verkündete, das Harrison Grays Frau Eliza verfasst hatte: „Stand Fast, Stand Firm, Stand Sure, Stand True“. Wer immer die „Los Angeles Times“ kauft, sollte sich an Eliza Otis‘ Grundsatz erinnern. Ein Kolumnist der „Washington Post“ befürchtet, dass Vertreter zweier Banken und zweier Hedgefonds im Verwaltungsrat der Tribune Co. Verkauf des Unternehmens lediglich als finanzielle Transaktion einstufen. Doch die Leser der „Los Angeles Times“ (und die Gebrüder Koch selbst) würden eine Übernahme durch Koch Industries in erster Linie als politisches Geschäft sehen, das die Zeitung in eine Art gedruckter Fox News verwandelte, deren Bemühen um empirischen Journalismus im besten Fall unbewiesen wäre: „Eine Zeitung ist nicht nur ein Geschäft, sondern eine öffentliche Verpflichtung.“
Quellen: „Los Angeles Times“; „The New York Times“; “The Washington Post”; „Huffington Post“; Wikipedia,