Bei den jüngsten Verhandlungen von US-Aussenminister Kerry in Moskau zum Thema Syrien haben die Amerikaner nachgegeben und die Russen ihre Position halten können. Bisher hatten die Amerikaner darauf bestanden, dass eine Lösung in Syrien erst möglich werde, nachdem Asad und seine Regierung zurückgetreten seien. Die Russen haben immer die Formel unterstützt, die besagt: "eine Lösung in Syrien muss durch Verhandlungen der Syrer untereinander erfolgen." Wobei das Problem der künftigen Position Asads und seines Regimes offen gelassen wurde.
Wer genau wird verhandeln?
Die Amerikaner haben nun der russischen Formel zugestimmt. Eine internationale Konferenz soll stattfinden, an der sich alle Teilnehmer über die in Syrien auf Grund dieser Formel zu treffenden Massnahmen einigen sollen. Das tönt erfreulich und ist zu Recht als "ein erster Schritt" angesprochen worden.
Doch der Teufel liegt in den Details. Jedes Wort der nun für beide Supermächte geltenden Formel muss hinterfragt werden. Wer sind "die Syrer"? wer genau soll mit wem verhandeln? und wer wird dafür sorgen, dass die Resultate dieser Verhandlungen, wenn einmal zustande gekommen, auch durchgesetzt werden?
Zerstrittene Exilregierung, „befreite Gebiete fragmentiert
Wer sind die Syrer, die untereinander verhandeln sollen? Auf der einen Seite wird die gegenwärtige Regierung mit ihrer Armee und ihren Sicherheitsdiensten stehen. Diese Seite ist hieratisch gegliedert. An ihrer Spitze steht Bashar al-Asad selbst. Doch die Gegenseite? Die syrische Exilregierung ist erstens untereinander verzankt und zweitens hat sie innerhalb Syriens praktisch nichts zu sagen. Die sogenannte Syrische Freie Armee existiert beinahe einzig im Ausland und auch dort ist sie nicht bereit, sich der syrischen Exilregierung voll unterzuordnen.
Innerhalb Syriens herrschen in den "befreiten" Gebieten Dutzende wenn nicht Hunderte von Kleingruppen über Territorien und Geländeabschnitte, die nie voll unter ihrer Kontrolle stehen, weil die syrische Luftwaffe und die Raketen der Regierung sowie Artillerie und Panzer solche Gebiete völlig zusammenschiessen, sobald der Staat Asads seine militärischen Mittel gegen eine dieser "befreiten" Oasen zusammenzieht.
Asymmetrische Positionen
Die Schwäche der Asad-Regierung besteht einzig darin, dass die syrische Armee nicht genug Mannschaften besitzt, um sich an allen Orten, die sich erhoben haben oder erheben möchten, gleichzeitig mit ihren schweren Waffen eingreifen zu können. Gegenwärtig kämpft die syrische Armee, offenbar nicht ohne Erfolg, in der Region von Damaskus und um die Strassenverbindung, die Syrien von Süden nach Norden zwischen Deraa an der jordanischen Grenze über Damaskus bis nach Aleppo durchzieht.
Die Gebiete am Euphrat und jenseits des Euphrats sowie Idlib, die gebirgige Provinz an der türkischen Grenze, überlässt Damaskus vorläufig weitgehend sich selbst. Dort herrschen Bewaffnete aller Art, und einige ihrer Gruppen, nämlich die islamistischen, versuchen eine Art von Kriegsverwaltung unter islamischen Vorzeichen für die überlebende und verbliebene Bevölkerung zu improvisieren.
Die Exilregierung als Verhandlungspartner?
Die Exilregierung hat im Westen eine Art von vorläufiger Anerkennung als die Vertreterin Syriens errungen. Man muss erwarten, dass sie diese Position auszunutzen versuchen wird, um sich, möglichst ausschliesslich, als den Verhandlungspartner mit Damaskus zu positionieren. Doch eine Befriedung des Landes kann nur zustande kommen, wenn die Kampfgruppen, alle oder mindestens weit überwiegend, einem Frieden zustimmen. Also müssten eigentlich sie verhandeln. Nur haben sie bisher, ziemlich übereinstimmend erklärt, das wollten sie erst tun, wenn Asad gegangen sei. Ausserdem wird es schwer bis unmöglich sein, sie alle unter einen Hut zu bringen.
Angestrebt wird eine Übergangsregierung
Was ist das Ziel der Verhandlungen? In dieser Hinsicht herrscht grössere Klarheit: eine Übergangsregierung soll zustande kommen, die den Weg zu einer Verfassung und zu Neuwahlen zu ebnen hätte. Unklar ist jedoch, wer die Machtmittel, sprich Armee, Polizei, Waffen, Geheimdienste, Gefängnisse, der geplanten Übergangsregierung in welcher Form wird einsetzen können.
Vielleicht könnte dies in ähnlicher Art geschehen wie es gegenwärtig in Jemen versucht wird. Dort gibt es seit anderthalb Jahren eine Übergangsregierung und seit einem Monat einen Versöhnungskongress, der bis Ende des Jahres eine Verfassung entwerfen und dann Wahlen durchführen soll.
Die Armee war gespalten, doch sie scheint sich allmählich zu einer Wiedervereinigung durchzuringen.
Unentbehrliche äussere Mächte
Doch der Vergleich mit Jemen macht eines klar. Diese Lösung war nur erreichbar, weil die zuständigen äusseren Mächte im Falle Jemen sich einig waren und alle an einem Strick zogen. Ihre vereinten Kräfte waren unentbehrlich, um den Lösungsversuch in die Wege zu leiten, und sie bleiben unentbehrlich, weil der Lösungsansatz weiterhin beständig genährt und gefördert werden muss.
In Jemen sind die äusseren Mächte, die Golfstaaten, die USA und die Uno sowie, mehr am Rande, die europäischen Staaten. Sie sind alle darum bemüht, diese Lösung zu fördern. Sie haben den ersten Schritt zu ihrer Durchführung erzwungen, nämlich den Rücktritt des bisherigen Machthabers, Ali Abdullah Saleh.
Wird Iran mit einbezogen?
In Bezug auf Syrien sind die äusseren Mächte bisher in zwei Fronten geteilt gewesen: Russland, China und Iran, gegen die USA, Europa, Saudiarabien und Qatar. Die wichtigsten unter ihnen - aber nicht alle - haben sich nun verbal geeinigt: die USA und Russland. Iran einerseits (zusammen mit dem libanesischen Hizbullah) und die beiden Erdölstaaten, Qatar und Saudiarabien auf der Gegenseite haben dem Lösungsversuch noch nicht zugestimmt.
Die geplante internationale Konferenz soll wohl mithelfen, die Zustimmung auch dieser Beteiligten zu der Kompromissformel der Amerikaner und Russen zu erreichen. Allerdings, ob Teheran dabei überhaupt mitmachen wird, und ob Washington seine Mitwirkung anstreben oder zulassen würde, ist keineswegs klar. Die Beziehungen zwischen Iran und den USA sind mehr als nur schlecht. Sie müssen als "feindlich" eingestuft werden.
Es gibt gemeinsame Interessen
Aus dem Beispiel Jemen geht auch klar hervor: die Aussenmächte müssen nicht nur in der Anfangsphase gemeinsam Druck ausüben, um einen Lösungsversuch einzuleiten. Sie müssen auch über Jahre danach ihren gemeinsamen Druck und ihr gemeinsames Engagement im Sinne der erhofften Lösung aufrecht erhalten, um sich bei den lokalen Kampfhähnen durchzusetzen.
Es ist erkennbar, dass sowohl Washington wie auch Moskau an einer Befriedung in Syrien interessiert wären. Beide Supermächte schauen mit Unruhe auf die Macht der islamistischen Kampfgruppen, die in Syrien im Schatten des Bürgerkrieges heranwächst. Beide haben bereits in ihren eigenen Ländern unter den gewalttätigen Islamisten zu leiden gehabt, die Amerikaner in New York, die Russen im Tschetschenien. Beide wissen, es handelt sich um Gruppierungen, die nicht an irgendwelchen internationalen Grenzen Halt machen werden.
Darüber hinaus ist ein Frieden im Nahen Osten für beide zuträglicher als eine drohende Kettenreaktion von zusammenbrechenden Staaten.
Gemeinsames Wirken ist Vorbedingung
Doch genügen diese gemeinsamen Interessen, um die beiden einstigen Oberhäupter des Kalten Krieges zu einem gemeinsamen Einsatz im Syrien zu veranlassen, ohne dass der eine den anderen zu übervorteilen sucht, indem er unter der Hand seinen bisherigen Partner im syrischen Ringen weiterhin unterstützt?
Engagements in diesem Sinne sind offenbar zustande gekommen. Doch unter Benützung einer vieldeutigen Formel ("die Syrer sollen sich untereinander einigen") , die keineswegs ausschliesst, dass jede der beiden Seiten, wenn sie dies wollen, seinem bisherigen politischen Partner weiterhin hilft, sich in Syrien durchzusetzen.
Wenn aber beide wirklich die Formel mit Inhalt zu füllen gedenken, werden sie sich gezwungen sehen, über geraume Zeit, mit grosser Entschiedenheit und beide gemeinsam, Druck auf die syrischen Streitparteien auszuüben, um diese zu einer Übereinkunft zu zwingen, die keiner der beiden Seiten restlos gefallen wird. Daraufhin werden Russen und Amerikaner ebenfalls gemeinsam und ohne einen Bruch ihrer gemeinsamen Front zuzulassen, für die Verwirklichung der Regelungen, die die Syrer zu treffen hätten, zu sorgen haben.
Die Waffenlieferungen als Hauptdruckmittel
Das weitaus wichtigste Druckmittel, das für die beiden Grossmächte gegenüber Syrien besteht, liegt in den Waffen. Glaubwürdige Drohungen, die Waffenlieferungen einzustellen, die heute "vom Westen" und von Russland aus (sowie aus Iran) an die beiden Bürgerkriegsseiten fliessen, könnten diese zu Kompromissen bewegen. Doch glaubwürdig heisst, dass sie im Notfall auch wirklich eingestellt würden.
Dieses müsste gewiss schrittweise geschehen, und die beiden Grossmächte müssten einander soweit trauen oder einander glaubwürdig kontrollieren können, um nicht fürchten zu müssen, der eine setze die Lieferungen an seine Freunde in Syrien fort, während der andere sie reduziere und damit seine Freunde ans Messer liefere.
Dass die Waffen von beiden Seiten nicht aus einer einzigen Quelle fliessen, erschwert die Transparenz. Die Russen müssten auch dafür sorgen, dass Iran seine Lieferungen reduzierte und am Ende einstellte; die Amerikaner dafür, dass das gleiche auf Seiten der Saudis und der Qatari geschieht.
Eine Rolle für den Sicherheitsrat
All diese schwierigen Fragen könnten natürlich im Rahmen der Uno und mit Hilfe der internationalen Behörden ausgehandelt und durchgeführt werden. Lakhdar Brahimi, der Sonderbeauftragte des Sicherheitsrates, hatte bereits seinen Rücktritt angekündigt. Doch nach der Übereinkunft von Moskau hat er sich erneut hoffnungsvoll geäussert. Ein Rahmen, so sagte er, sei nun geschaffen, innerhalb dessen die Verhandlungen sich abspielen können, welche bisher durch die gegensätzlichen Positionen der beiden Grossmächte blockiert gewesen sind.