Der 8. Mai, das ist der Tag des unerwarteten Wahlsiegs von David Cameron. Damit wird 2016 oder 2017 ein britisches Referendum über den Ausstritt des Vereinigten Königreichs aus der EU unausweichlich.
Bis dahin wird europäische Politik wenn nicht gänzlich blockiert, so doch im Zeichen entsprechender Ungewissheit stehen. Schlecht für Europa, schlecht für die EU und auch schlecht für Grossbritannien. Alle würden bei einem ’Brexit’ verlieren; die EU würde weniger europäisch, das United Kingdom würde zur isolierten internationalen Mittelmacht und voraussichtlich doch noch auseinanderbrechen, da die Schotten offensichtlich keine Abnabelung von Europa wollen.
Griechenland, Flüchtlingspolitk
Und dies zu einem Zeitpunkt, wo „Brüssel“ wirkliche Probleme schnell und geeinigt angehen sollte. So die Zukunft der Griechen in Europa, welche seit Jahren und auch jetzt von Seiten ihrer eigenen Politiker und Oligarchen rechter oder linker Observanz, im Regen stehen gelassen werden.
„Brüssel“ muss auch eine wirkliche Antwort auf die Flut illegaler Immigranten finden. Das Problem muss in den Herkunfts-, den Transit- und den Empfängerländer angegangen werden. Im Vordergrund stehen Sicherheit, Wirtschaftshilfe und eine humane Flüchtlingspolitik.
Nationalrenaissance
Und jetzt hat sich ein grosser Teil der britischen Wähler entweder für die offen xenophob auftretende United Kingdom Independence Party (UKIP) oder für einen David Cameron ausgesprochen, welcher sich im Wahlkampf zumindest in der Immigrations- und EU-Politik bedenklich nationalkonservativ gebärdete. Dies – mag man einwerfen – um Schlimmeres zu verhindern. Tatsache bleibt, dass sich das Vereinigte Königreich mit dieser Wahl nach innen bewegt hat, zum eigenen Nabel hin.
Dies dürften europäische Nationalkonservative wie die Le Pens, Orban und andere, wie die Wahren Finnen, als Signal sehen, dass ihre Mythen von ‘dichten Landesgrenzen’, ‘ausländischen Sozialschmarotzern’ und ‘ausufernder europäischer Bürokratie’ bei erstaunlich vielen Zeitgenossen wider besseren Wissens Anklang finden. Und der Rest des politischen Spektrums in allen Ländern Europas, insbesondere Mitte-Rechts, wird dies als Bestätigung des Trends Richtung Nationalrenaissance interpretieren. Und sich sowohl tagespolitisch als auch programmatisch danach einrichten.
Jämmerliche Schweizer Gedenkveranstaltung
Der 8. Mai war zudem der 70. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges in Europa. Auch in der Schweiz, primär dank Geographie und Glück wohl geprüft aber vom Kriegsgrauen verschont, läuteten 1945 die Kirchenglocken. Dies taten sie auch am vergangenen Freitag, aber das war’s dann. Wie Gisela Blau hier nachgezeichnet hat, wird zumindest seit 20 Jahren versucht, auch in der Schweiz besser, grosszügiger und würdiger des Kriegsendes und speziell der Millionen von den Nazis Getöteten zu gedenken. Offensichtlich ohne jeden Erfolg.
Anders lässt sich die gutgemeinte, aber letztlich jämmerliche Veranstaltung zum 8. Mai in der grössten Schweizer Stadt nicht erklären. „Pflanzung einer Friedenslinde, Enthüllung einer Gedenktafel, Ansprachen und Musik“ waren im Kurt-Guggenheim-Park beim Bürkliplatz versprochen. Dort „zwischen Bahnhof- und Talstrasse“ wie sich selbst die Veranstalter genötigt sahen zu präzisieren.
Tant mieux, der gebürtige Zürcher Autor dieser Zeilen, wiewohl auch die meisten anderen Zürcher wissen kaum, dass diese winzig kleine und nicht begehbare Grünfläche dem Andenken an einen grossen jüdischen Bürger und Schriftsteller Zürichs gewidmet ist.
Weniger als 100 Anwesende
Die Linde stand schon, die Gedenktafel bildet nun praktisch den neuen Randstein und eine einzige Ansprache erfolgte: Ein paar gute, aber kurze Worte der Stadtpräsidentin. Die deutlich weniger als 100 Anwesenden, eingeklemmt zwischen vorbeizischenden Gelenktrams und zwei mit ‘Grünes Zürich’ angeschriebenen Partyzelten, hörten weder Zeugnisse der wenigen, offensichtlich anwesenden Opfern des Holocaust, noch andere Ansprachen, noch Musik. Ein vage Bemerkung der Rednerin zu einer nachfolgenden ‘Diskussion über Friedenspolitik’ im Stadthaus, aber keinerlei Programme oder sonstige schriftliche Hinweise, wem gedacht wird und warum der 8. Mai 1945 auch für die Schweiz von grösster Bedeutung war und bleibt.
In Kurzform für vergessliche Zeitgenossen: Ohne das Trauma von zwei Weltkriegen und zahllosen Opfern für Freiheit und Demokratie: kein Friedenswerk EU. Ohne EU keine für Europa (eingeschlossen die Schweiz) beispielslose Periode von Frieden, Demokratie und Wohlstand, zunächst in West-, ab 1990 in Gesamteuropa.
Eine Genugtuung indes bleibt nach diesem schwarzen Freitag für jene, welche an eine offene Schweiz glauben. Die Hoffnung hiesiger Nationalkonservativer, dass die EU nach den britischen Wahlen da und dort einknickt, werden sich nicht erfüllen. Dem wichtigen Mitglied Grossbritannien wird eine grosse Mehrzahl von EU-Ländern kaum Abweichungen von den europäischen Grundrechten gewähren. Dem Nichtmitglied Schweiz noch weniger, im Gegenteil. Der Beitritt kommt, aber er dauert.