Das Buch liegt wieder auf den vordersten Tischen der Buchhandlungen. Die Zeitungen drucken Artikel über seinen Autor. Zwar ist der Roman in den italienischen Schulen seit jeher Pflichtlektüre, doch gerade jetzt wird das Werk erneut behandelt. Vor allem ältere Italiener können ganze Seiten auswendig rezitieren. Goethe sagte: „Manzonis Roman überflügelt alles, was wir in dieser Art kennen“.
Da liebt die schöne, junge Lucia den anmutigen Renzo und will ihn heiraten. Doch Don Rodrigo, ein tyrannischer Edelmann und Frauenheld will Lucia für sich, zumindest als Mätresse. Fast auf jeder Seite gelingt es dem Autor, neue Spannung zu erzeugen. Selten liest man 800 Seiten so schnell.
“Höher kann man es nicht treiben"
„I promessi sposi“ hat Manzoni den Ruf des „besten italienischen Schriftstellers“ eingetragen. Goethe lobt ihn wie niemanden: „Der Eindruck beim Lesen ist derart, dass man immer von der Rührung in die Bewunderung fällt und von der Bewunderung in die Rührung, so dass man aus einer der beiden grossen Wirkungen gar nicht herauskommt. Ich dächte, höher könnte man es nicht treiben“.
Manzoni wird am 7. März 1785 in Mailand geboren. Mit elf Jahren tritt er in das Collegium des heiligen Antonius in Lugano ein. Mit 23 Jahren heiratet er die Genfer Bankierstochter Henriette Blondel, eine Protestantin, die in der Lombardei aufwuchs. Getraut werden die beiden in Bergamo vom evangelischen Zürcher Pfarrer Johann Kaspar Orelli. Später, in Paris, tritt Henriette zum Katholizismus über und die Ehe wird erneut geschlossen, diesmal nach katholischer Art.
Mit 38 Jahren stellt Manzoni die erste Fassung der „Promessi sposi“ fertig. Immer wieder überarbeit er sie. Das Liebesdrama, das mehr als ein Liebesdrama ist, sorgt schnell für Aufregung. Die Geschichte spielt vordergründig in den Jahren 1628 bis 1630. Damals leiden die Lombarden unter der spanischen Herrschaft. Hungernöte und Krankheiten grassieren, und die fremden Herren beuten das Land aus.
Gemeint sind die verhassten Österreicher
Doch für jeden Leser in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist klar: In den „Promessi sposi“ werden zwar Zustände aus dem 17. Jahrhundert beschrieben, doch die Parallelen zur damaligen Gegenwart waren offensichtlich. Manzoni spricht von den ausbeuterischen Spaniern, doch er meint die Österreicher, die im 19. Jahrhundert in der Lombardei herrschen.
Ausser im Piemont regieren die Österreicher in ganz Norditalien. Im Süden herrschen die spanischen Bourbonen, und in Zentralitalien regiert der Papst über seinen weitläufigen Kirchenstaat. Immer wieder versuchen Aufständische die fremden Mächte aus Italien zu vertreiben und das Land zu einigen. 60 Jahre dauert dieser Befreiungskrieg, den die Italiener „Risorgimento“ nennen. Und während dieser Zeit wird Manzonis Roman veröffentlicht und stachelt die Aufständischen erst recht an.
Entführung der schönen Lucia
Die Geschichte spielt am Comersee bei Lecco. Don Abbondio, der Dorfpfarrer wird von den Schergen des Don Rodrigo mit dem Tod bedroht, falls er Renzo und Lucia trauen sollte. Und Don Abbondio, ein Waschlappen, gibt nach. Der Tyrann frohlockt und sieht die schöne Lucia schon in seinem Bett. Doch die beiden Verlobten flüchten: sie in ein Kloster nach Monza, er nach Mailand. Sowohl da als auch dort sollte es schlimm enden.
Im Kloster von Monza vertraut sich Lucia einer jungen schönen Nonne an, die lieber einen Mann gehabt hätte, als dass sie Nonne geworden wäre. Doch ihr reicher adliger Vater wollte es so und setzte es durch. Sie ist es, die mithilft, Lucia zu entführen, um sie Don Rodrigo bringen zu lassen. Lucia wird aufgefordert, eine Kirche ausserhalb des Nonnenklosters zu besuchen. Ahnungslos geht sie hin, wird in eine Kutsche gezerrt und in den Norden gebracht.
Eine Handvoll Tyrannen
Das Buch ist mehr als eine Liebesgeschichte. Es ist eine Kritik an der sozialen Misere, die die fremden Herren anrichten. Höhepunkt der Geschichte sind Renzos Erlebnisse in Mailand. Als er dort ankommt, findet er sich mitten in einem Aufstand. Das Brot wird immer teurer, Bäcker und Händler halten das Mehl zurück; die Leute haben nichts mehr zu essen. Überall gehen Bürger auf die Strasse. Sie plündern Bäckereien und schlagen Geschäfte ein. Und Renzo, der junge Mann vom Land, entpuppt sich als kleiner Revolutionär.
Er stellt sich mitten in die Menge und hält flammende Reden. Da sagt er: „Nicht nur mit dem Brot werden Gaunereien betrieben. Da man ganz deutlich gesehen hat, dass man sehr wohl erreichen kann, was recht und billig ist, wenn man sich nur Gehör zu verschaffen weiss, so muss man eben auf diesem Weg weiterschreiten, bis auch all die übrigen Niederträchtigkeiten abgestellt sind und bis es in der Welt endlich christlich zugeht. Ist es denn nicht offensichtlich, dass es eine Handvoll Tyrannen gibt, die den zehn Geboten genau zuwiderhandeln.“ Das seien Leute, „die den Kopf ganz besonders hoch tragen“.
Die Habsburger selbst verstehen Renzos Worte sehr wohl. Viele interpretieren sie als Aufruf zum Aufstand gegen die verhassten Österreicher.
Renzo wird schliesslich verhaftet und zum Tode verurteilt, doch es gelingt ihm, nach Bergamo zu fliehen.
Manzonis religiöse Seite
Und Lucia? Sie wird gewaltsam auf eine Burg hoch in den Bergen nahe der Schweizer Grenze gebracht. Dort regiert ein brutaler, mächtiger Feudalherr. Dieser will Lucia nun Don Rodrigo übergeben. In ihrer Pein legt sie gegenüber der Jungfrau Maria ein Gelöbnis ab. Sie werde, wenn sie davonkomme, Renzo nie heiraten. Oh Schreck.
Jetzt wird das Land von Kriegen und der Pest überzogen. Die Beschreibung der sozialen Misere jener Zeit gehört zum Ergreifendsten und Schrecklichsten des Romans. Zwei Drittel der Bevölkerung gehen kläglich zugrunde.
Im letzten Drittel des Buches kommt Manzonis religiöse Seite zum Vorschein. Da wird der grausame Schlossherr in seiner Burg an der Schweizer Grenze plötzlich bekehrt. Er liefert Lucia nicht an Don Rodrigo aus und tut nur noch Gutes. Und als Don Rodrigo in einem Pest-Lazarett in Mailand im Sterben liegt, sind Lucia und Renzo dabei und vergeben ihm. All das mag aus heutiger Sicht etwas entrückt und naiv erscheinen. Doch nicht die heutige Sicht zählt.
Alles kommt gut. Ein Priester entbindet Lucia von ihrem Gelübde, weil sie schon vorher gelobt hat, Renzo zu heiraten. Der Waschlappen-Pfarrer muss nun Don Rodrigo nicht mehr fürchten und verheiratet die beiden, und ihre erste Tochter heisst Maria.
Plädoyer für ein vereintes Italien
Manzonis Roman hat zweifellos die Aufstände gegen die Österreicher beflügelt. 1848 gerät einer der Söhne Manzonis bei einem Aufstand in österreichische Gefangenschaft. Überall wird das Werk als Plädoyer für ein vereintes Italien ohne fremde Mächte verstanden. Zur Einigung Italiens hat der Roman auch wegen seiner Sprache beigetragen. Der Roman wurde in der toskanischen Sprache geschrieben, die so zur allgemeinen Literatursprache Italiens wurde.
Manzonis Frau Henriette ist schon 1833 gestorben. Sie hatte neun Kinder geboren. Vier Jahre nach ihrem Tod heiratet Manzoni Teresa Borri, die Witwe eines Grafen.
Inzwischen rückt der Aufständische Garibaldi von Süden her immer weiter nach Norden vor. Und dem Königreich Piemont-Sardinien gelingt es mit Hilfe von 200‘000 französischen Soldaten, die Österreicher aus der Lombardei zu werfen.
Am 17. März 1861 wird das „Königreich Italien“ ausgerufen, das weite Teile Nord- und Süditaliens umfasst. Manzoni ist bei der Proklamation einer der Ehrengäste.
Aus Venetien werden die Habsburger fünf Jahre später vertrieben, und der päpstliche Kirchenstaat kapituliert erst 1870. Rom wird 1871 Hauptstadt. All das erlebt Manzoni noch. Er stirbt 1873. Begraben ist er im Monumentalfriedhof von Mailand.