Wolfgang Beltracchi kommt zu neuen Ehren. Nun wurde ihm und seiner Frau ein ganzer Abend in der Tonhalle Zürich gewidmet. Das zahlreich erschienene Publikum war begeistert.
Nicht Beethoven, Brahms oder Bach, und erst recht nicht Britten, Bruckner oder Boccherini stand auf dem Programm der Tonhalle in Zürich. Beltracchi wurde gespielt! Ganz ohne Musik, dafür vor ausverkauftem Haus und mit tosendem Applaus. Wie das …? Das darf man sich durchaus fragen.
Der Abend war Teil der erfolgreichsten Gaunergeschichte im modernen Kunsthandel. Wolfgang Beltracchi, der als vielleicht talentiertester Bilder-Fälscher in die Malerei-Geschichte eingehen wird, hat sich nach Jahren im Gefängnis nun wieder im Kunstmarkt etabliert, lebt inzwischen in der Schweiz und lässt es sich gutgehen.
Vom Kriminalfall fasziniert
Der Schauspieler Stefan Gubser hatte die Beltracchis an einem Gallerie-Anlass kennengelernt. «Ich war von Anfang an völlig fasziniert von ihm und seiner Frau», sagt er. «Erstens ist das eine wahnsinnige Liebesgeschichte, die die beiden in schwierigen Zeiten überstanden haben. Und zweitens hat mich auch der Kriminalfall unheimlich fasziniert.» Da spricht wohl auch Kommissar Flückiger aus Stefan Gubser, schliesslich hat er den Schweizer Tatort-Kommissar lange genug gespielt … «Beltracchi hat mit seinen Fälschungen den ganzen Kunstmarkt entlarvt», betont Gubser. «Er hat ja nie Kunstwerke kopiert, sondern er hat eigene Bilder im Stil sehr bekannter Künstler gemalt. Gefälscht hat er dann die Unterschrift, die er aufs Bild gesetzt hat. Das Handwerk hat er jedenfalls perfekt beherrscht. Ich behaupte mal, man kann an zwei Händen abzählen, um einen Maler zu finden, der die Technik so beherrscht wie Beltracchi. Weltweit!»
Gubser hat nicht lang gefackelt, sondern die Beltracchis gleich gefragt, ob sie mit einer Lesung der Briefe einverstanden wären. Und natürlich sagten sie Ja. «Dann habe ich meiner Kollegin Regula Grauwiller, mit der ich gerade in Schweden gedreht habe, davon erzählt und sie gefragt, ob sie mitmachen würde. Sie war sofort begeistert!» Gubsers eigener Enthusiasmus ist unüberhörbar, wenn er davon erzählt, wie das Projekt angefangen hat.
Dann haben Gubser und Grauwiller sich erst einmal in viel Material vertieft, in sehr viel. «Das war die eigentliche Herkulesaufgabe», sagt Gubser heute. «Wir mussten aus dem Berg von Buch- und Fernsehmaterial einen Abend zusammenstellen, an dem man in 75 Minuten das ganze Leben erzählen kann.»
Glorifizierung?
Im Mittelpunkt stehen die Briefe, die Wolfgang Beltracchi während der 14 Monate Untersuchungshaft mit seiner als Komplizin ebenfalls verhafteten Ehefrau Helene von einer Gefängniszelle zur anderen austauschte. Während dieser Zeit hatten die beiden keinerlei persönlichen Kontakt, das Schreiben war die einzige Verbindung. Aus den Briefen ist schliesslich ein Buch geworden. Ein Buch, von dem der deutsche Schriftsteller Martin Walser sagt: «Wir erleben die Geburt der Literatur aus dem Geist der Einsamkeit.»
Stefan Gubser und Regula Grauwiller haben bei der Arbeit schnell gemerkt, dass sie nicht nur die Briefe lesen wollen, sondern auch die Geschichte darum herum.
Nun kann man einwenden, dass all die Publizität durch Bücher, Zeitungsartikel, Fernsehsendungen und jetzt durch den Leseabend zu einer gewissen Glorifizierung einer letztlich doch betrügerischen Tätigkeit Beltracchis führen. «Nein, das sehe ich überhaupt nicht so», wehrt Gubser sofort ab. «Die beiden haben bereut, was sie gemacht haben, sie haben ihre Schulden von über 20 Millionen zurückbezahlt, sie waren lange in Untersuchungshaft, und haben anschliessend ihre Strafe im Gefängnis abgesessen. Ich bin der Meinung, man muss jemandem auch eine zweite Chance geben. Das Ganze ist eine ‘Bonnie an Clyde’-Geschichte. Für mich ist es keine Glorifizierung. Ich habe kein schlechtes Gewissen dabei, wenn ich das auf die Bühne bringe. Sonst dürfte man auch keine Krimis machen …»
Tournee geplant
So hatte nun also der Abend unter dem Titel «Unverfälscht» seine Premiere in der Zürcher Tonhalle. Viele im Publikum waren wohl zum ersten Mal hier und froh, nicht Bach und Beethoven hören zu müssen. Und da Beltracchi als Person belesen, gebildet, beredt und interessant ist, scheint dies auch in den Gefängnistexten durch. Geplant ist nun eine Tournee Stefan Gubsers mit Regula Grauwiller. «Nur für einen Abend hätte sich der Aufwand nicht gelohnt», sagt Gubser.
Mittendrin im Publikum sassen übrigens Wolfgang Beltracchi und seine Frau Helene und genossen den Applaus. Beltracchi verkaufte sich auch hier schon rein äusserlich als «Marke»: wie immer mit Hut über den schulterlangen graublonden Haaren, zur Feier des Tages ein Brokatblazer, und allzeit bereit, charmant Autogramme zu verteilen. Es geht ihm besser denn je und er verkauft seine Bilder teuer. Jetzt sind es echte. Echte Beltracchis.