
Was war das mit diesen reihenweisen Absagen? Ein Plädoyer für Work-Life-Balance auch in der Landesregierung? Ein Zerwürfnis zwischen den Mitte-Männern und -Frauen? Oder eine Kapitulation vor den Aufgaben, die auf das Verteidigungsdepartement zukommen?
Es gibt sie schon, die Kandidatinnen und Kandidaten für den Bundesrat. Sogar in namhafter Zahl. Da ist, zum Beispiel, Alexandre Brahier, Sprecher der Kantonspolizei Genf. Er hat in sich «hineingehört», wie er dem «Tages-Anzeiger» erklärt, und «einen starken Drang» gespürt zu kandidieren. Er habe «das Gefühl, dass es zunehmend einen Graben gibt zwischen den Erwartungen der Bevölkerung und der Trägheit der Politik». Da ist auch Ebby Guirao, Leiterin eines kleinen Familienunternehmens im Kanton Freiburg, die dort «täglich Lösungen finden» muss für allerlei Probleme.
Ziemlich gewichtige Probleme (aber auch enorm viel Geld) würde sie zweifellos auch im «Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport» (VBS) vorfinden, wenn es denn klappt mit der Wahl in den Bundesrat, für die sich Guirao mit 21 weiteren nichtoffiziellen Kandidaten bisher bei der Bundeskanzlei gemeldet hat – was das gute Recht jedes Schweizers und jeder Schweizerin ist.
«Entscheiden, was geändert werden muss»
Ausserhalb der Partei, die sich früher CVP nannte, und heute, nach der Fusion mit der BDP, «Die Mitte», hätte es also durchaus Menschen, die es sich zutrauen, die Nachfolge Viola Amherds anzutreten. Um, wie Alexandre Brahier sein Regierungsprogramm umreisst, die Verwendung des Handys zu Warnzwecken zu verbessern. Oder um, wie Ebby Guirao sagt, sich zuerst einen Überblick zu verschaffen, und dann «zu entscheiden, was geändert werden muss».
Umso prekärer sieht es innerhalb der Partei aus, auch nachdem die Mitte nun doch mit dem St. Galler Nationalrat Markus Ritter, dem Präsidenten des Bauernverbands, und dem Zuger Regierungsrat Martin Pfister die Mindestanforderung der anderen Parteien erfüllt hat. Eine Auswahl zu haben, das gehört seit einiger Zeit zu den ungeschriebenen Regeln des Parlaments. Andernfalls droht die Wahl einer wilden Kandidatin oder eines wilden Kandidaten.
Beide Kandidaten kommen zwar durchaus in Frage für das anspruchsvolle Amt, Ritter gilt sogar als einer der einflussreichsten, weil bestvernetzten Parlamentarier in Bundesbern. Und Pfister, den bisher wenig Bekannten, wird man in den Wochen bis zur Wahl noch kennen lernen. Was fehlt, das sind die Namen, mit der man bei einer Vakanz eigentlich gerechnet hätte: mit Parteipräsident Gerhard Pfister, einem weiteren Zuger, mit dem Bündner Martin Candinas, mit dem Walliser Christophe Darbellay, mit der Freiburgerin Isabelle Chassot, mit der Luzernerin Andrea Gmür, mit der Urnerin Heidi Z’graggen, mit der Zürcherin Nicole Barandun, mit dem Walliser Philipp Matthias Bregy, mit dem St. Galler Benedikt Würth. Sie alle haben nein gesagt. Und die Frage stellt sich: Warum dieses wenig schmeichelhafte Absage-Theater?
Mit Amherds überraschendem Rücktritt hat das nur sehr mittelbar zu tun. Denn dass sie irgendwann zurücktreten würde, war durchaus klar. Kein Bundesrat, keine Bundesrätin harrt heute noch zwanzig Jahre oder mehr im Amt aus. Zu hoch ist die damit verbundene Belastung, zu giftig die Kritik, die sich Bundesräte oftmals anhören müssen. Auch wenn sie, vom Parlament im Jahresturnus an die Spitze der Regierung gewählt, für 365 Tage die Landesmutter oder den Landesvater spielen dürfen.
«Das möchte ich meinen Kindern nicht zumuten»
Offiziell genannt – oder zumindest angedeutet – wurde oft die Familie. So war es bei Martin Candinas, mit 44 Jahren im besten Alter und dreifacher Vater, der neben dem «fehlenden Feuer» folgendes ins Feld führte: «Als Bundesrat ist man heute ständig exponiert, und das möchte ich meinen Kindern nicht zumuten.» So war es bei Philipp Matthias Bregy, der sagt: «Meine Kinder haben ein Bedürfnis nach Nähe, und ich möchte für sie da sein, nicht nur am Telefon.» Ist das Bundesratsamt also gar nicht kompatibel mit dem Mutter- oder Vater-Sein? Es gibt da durchaus Gegenbeispiele. Den Sozialdemokraten Alain Berset etwa, dessen Kinder bei seiner Wahl zwei, vier und sechs Jahre alt waren.
Und, was im Zusammenhang mit dieser Bundesratswahl besonders ins Gewicht fällt: Andere Parteien haben in den letzten Jahren kein Problem gehabt, genügend valable Kandidaten zu finden. Mit der Bernerin Evi Allemann hat es bei den Sozialdemokraten sogar eine Mutter von zwei Kindern unter zehn Jahren gleich zwei Mal (2022 und 2023) versucht.
Trotzdem, glaubt der Berner Politikwissenschaftler Adrian Vatter, sei das Familien-Argument der Mitte-Männer auch ein Ausdruck eines Wertewandels in der Gesellschaft. Er rät dazu, den Bundesrat stärker zu entlasten. Andererseits, fügt er gegenüber dem «Tages-Anzeiger» hinzu, könne er sich vorstellen, dass die Familie als Argument benutzt werde, um andere Gründe zu verdecken.
Die Frauen machen mobil
Muss man diese «anderen Gründe» bei den Frauen suchen? Sie haben in Gestalt ihrer Präsidentin Christina Roth-Bachmann und der Luzerner Ständerätin Andrea Gmür schon früh mobil gemacht: Bachmann-Roth, indem sie im «Blick» dezidiert forderte, es müsse unbedingt eine Frau aufs Mitte-Ticket, weil die Frauen sonst im Bundesrat krass untervertreten seien. Dem Parlament sei «klar, dass eine Frauenminderheit das Land nicht angemessen repräsentiert. Die Bundesversammlung würde, wenn die Mitte etwa Gerhard Pfister und eine Frau nominierte, die Frau wählen.» Andrea Gmür, lange Favoritin unter den Mitte-Frauen, setzte noch eins obendrauf, indem sie auf Missstände im Mitte-Parteisekretariat zu sprechen kam und offen erklärte: «Wenn bis zur Bundesratswahl die Sache nicht geklärt ist, geht das nicht mit Herrn Pfister auf dem Ticket.»
Worauf Gerhard Pfister, eigentlich der Favorit, sich aus dem Bundesratsrennen zurückzog mit dem Argument, er würde nicht glücklich werden im Bundesrat. Was immer das heissen mag. Nun wäre das Feld frei gewesen für eine Frau. Nun aber hagelte es Absagen. Dass sich die Mitte-Frauen im Nachhinein beklagen, sie seien nicht genügend intensiv angefragt worden vom Wahlausschuss, wirkt als Begründung für die Absagewelle einigermassen fadenscheinig. Noch seltsamer mutet es an, wenn Tamara Funiciello, Präsidentin der SP-Frauen, meint, keine der Mitte-Frauen wolle kandidieren, weil ihnen die Fähigkeit zur Führung des Verteidigungsdepartements abgesprochen werde, und als einzigen Beleg eine Aussage von Markus Ritter anführt. Brauchen die Mitte-Frauen so viel Aufmunterung vonseiten der Männer? Das wohl kaum.
Im Innern der Matrjoschka-Puppe
Oder steckt, wie bei diesen Matrjoschka-Puppen, der wahre Grund anderswo? Steckt der Grund in der Aufgabe, die auf den oder die Neue im Verteidigungsdepartement wartet? Der Bundesrat wird nach der Ersatzwahl zwar wie stets die Departemente neu verteilen. Aber dass jemand unter den Bisherigen das VBS übernimmt, damit ist nicht zu rechnen. Denn dort warten hochknifflige, oft auch undankbare Aufgaben: Beschaffungsprojekte, die einen langen Atem erfordern, und politische Fragen – etwa zur künftigen Beziehung zur Nato – die sehr kontrovers diskutiert werden. Gesucht ist ein zäher Kämpfer oder eine zähe Kämpferin, der (oder die) mindestens vier, lieber aber sechs oder acht Jahre in diesem Departement ausharrt. Mit anderen Worten: Es handelt sich um eine wenig attraktive, aber eminent wichtige Aufgabe, bei der Lorbeeren eher nicht zu holen sind. Was sich aber niemand so offen zu sagen wagt. Einziger Trost: Andere Verteidigungsminister haben es auch nicht besser.