In «Sein oder Nichtsein» beschreibt der Schauspieler und Schriftsteller Klaus Pohl am Beispiel einer legendären Hamlet-Inszenierung, welchen Opfern wahre Theater-Magie geschuldet ist.
Auch grosse Regisseure machen Fehler, und vielleicht macht Peter Zadek einen Fehler, als er im Februar 1999 eine zwar illustre, aber auch konfliktträchtige Schauspielertruppe für seinen neuen «Hamlet» in seiner Strassburger Wohnung um sich versammelt. Da ist Angela Winkler, die Shakespeares Monsterrolle stemmen soll, ein «alles entscheidender Einfall», wie nach der Premiere der «Spiegel» schreiben wird. Und da ist – in der Rolle des Polonius – Ulrich Wildgruber, der damals, 1977, in Zadeks Bochumer Inszenierung den Hamlet gespielt hat. Und der es nun, alt geworden, gern wieder täte.
Rivalität liegt also in der Luft, von ihr ist in Klaus Pohls Roman «Sein oder Nichtsein» immer wieder die Rede. Zwei Mal wird Angela Winkler die Flucht ergreifen, zwei Mal wird Zadek sie zurückbringen zu den Proben – und ihr am Ende einen Theatertriumph schenken. «Ich will euch als Fragezeichen», erinnert sie sich an die Worte des ewig unzufriedenen Regisseurs. «Ihr müsst alles weglassen, nicht gut sein wollen.»
Jeden Tag eine Rose für den Hamlet
Wie man das schafft, versucht Klaus Pohl in seinem Bericht zu beschreiben, den er Roman genannt hat, der aber eine ganz eigene Gattung darstellt. Nicht nur, weil keine Figur erfunden ist, und Eva Mattes, Annett Renneberg, Hermann Lause, Otto Sander und andere Protagonisten allesamt leibhaftige Schauspielerinnen und Schauspieler sind. Sondern auch wegen der eigentümlichen Rolle seines Autors.
Pohl selbst spielt in diesem «Hamlet» nämlich den Horatius. Jeden Tag bringt er Angela Winkler eine taufrische Rose, begleitet sie und ihre Schauspielerkolleginnen und -kollegen auf allerlei Sauftouren – und notiert wie ein Wilder mit, was Wildgruber in der Garderobe in endlosen Monologen von sich gibt, und was Angela Winkler zu nachtschlafener Zeit an Bedenken äussert. Tausend Seiten Notizen und Tagebücher bleiben als Erinnerung. Jetzt, mehr als zwei Jahrzehnte danach, hat Pohl sie zu einem schwungvollen, bildkräftigen und sehr persönlichen Ganzen geformt. Es erzählt von Begeisterung und Verzweiflung, vom unablässigen Scheitern, aus dem das Gelingen wächst. Und vom tiefen Glück, das darin liegt, in der Hitze der Bühne in eine fremde Haut zu schlüpfen, und dabei doch unverkennbar sich selbst zu bleiben.
Auch vom schmerzhaften Abschiednehmen handelt Klaus Pohls «Sein oder Nichtsein». Ulrich Wildgruber, der sich nur widerwillig in seinen vermeintlichen Rollen-Abstieg schickt, obwohl er seine Kräfte schwinden spürt, muss am Ende neidlos anerkennen, wie sehr ihn Angela Winklers Hamlet überzeugt in seiner. Der ist so sehr ein «alterslos ewiges Kind von Traurigkeit», dass es «weh tut, ihm zuzuschauen», wie der «Spiegel» schreibt. Statt vom Theatertriumph träumt Wildgruber nun vom spurlosen Verschwinden. Im November 1999 fährt er von Berlin nach Sylt, tags darauf finden ihn Spaziergänger tot am Strand.
Klaus Pohl: Sein oder Nichtsein, 288 Seiten, Galiani 2021