Popularität gilt in der Kunst mitunter als zweischneidige Qualität. Mehrheitsfähige, leicht konsumierbare Oeuvres wecken fast zwangsläufig Verdacht auf allzu routinierte Machart. Früher konnte man solche Bilder ohne Rufschädigung der Kategorie der Genremalerei zuordnen, einer kunsthandwerklich betriebenen und auf bewährte Effekte ausgerichteten Bildproduktion. Solcherlei Kunst diente der Festigung ästhetischer und sozialer Konventionen, indem sie ihre Betrachter lehrte: So sieht Familie aus, so Tugend, so Heldentum, so Erhabenes und Schönes.
Diese Art von Gebrauchskunst gehört der Vergangenheit an. Ihre Funktionen wurden von modernen Bildmedien übernommen. Die Kategorie der Genremalerei ist denn auch in der Auseinandersetzung über moderne Kunst kein Thema mehr. Dass sie bei Degas – mit Vorbehalten und Fragezeichen – wieder auftaucht, hat mit Besonderheiten von dessen Kunst zu tun.
Routine und kalkulierte Effekte
Wenige unter den modernen Klassikern sind so gängig wie Edgar Degas (1834-1917). Seine Bilder hängen millionenfach reproduziert in Stuben, deren Bewohner es nicht mit der Kunst haben. Degas hat eben gemalt, was der Verschönerung dient und übers Sofa passt. Die massenhafte kommerzielle Verwertung spricht zwar nicht gegen seine Bilder. Aber sie sollte doch Anlass sein, die überaus breite Rezeption etwas genauer zu betrachten.
Die gegenwärtige grosse Schau der Fondation Beyeler mit Spätwerken von Degas ist eine Gelegenheit, sich diesem Künstler kritisch zu nähern. Mit biografischen Informationen und kunsthistorischen Würdigungen liefern die Ausstellungsmacher Anhaltspunkte für eine Auseinandersetzung. Auf der einen Seite heben sie Degas’ Schlüsselrolle und Eigenständigkeit beim epochalen Aufbruch des Impressionismus hervor. Sie weisen aber auch auf seinen rüden Antisemitismus hin, der sich bei der Dreyfus-Affäre (1894-1906) entlud. Auch wenn man einen Künstler nicht einzig nach seiner persönlichen Moral und Gesinnung beurteilen kann: Eine Verblendung dieses Kalibers verbietet zumindest die vorbehaltlose Verehrung.
Die gezeigten Werke spiegeln auf der künstlerischen Ebene eine anders geartete Zwiespältigkeit. Auf der einen Seite finden sich in diesem Spätwerk mehrere Bilder von fraglos hohem Rang. Trotzdem kann einem beim Gang durch die Beyeler-Säle der Gedanke kommen, es könnte eben doch was dran sein am Verdacht, Degas bewege sich auch in den Niederungen der Genremalerei.
Was könnte denn für ein solches Verdikt sprechen? Da wäre zunächst eine gewisse Stereotypie, mit der er seine bildnerischen Themen behandelt: Balletttänzerinnen in leuchtenden, blütenartigen Tütüs, entblösste Frauen im Bad und bei der Toilette, Pferde und Reiter auf der Rennbahn oder in freier Landschaft. Diese vielfach abgewandelten Motive hat Degas wohl bewusst zu Markenzeichen seiner reichen Produktion ausgestaltet. Er hat damit ein Repertoire definiert, das es den Betrachtern ermöglichte, ohne grosses Wissen und intensive Betrachtung in den Bildern «Bedeutungen» zu erkennen, sie unter «Kunst» zu rubrizieren und als «wertvoll» zu beurteilen.
Bei Degas sind dies Bildthemen der Bourgeoisie. Seine Sujets reproduzieren ohne Distanz die Welt des begüterten Bürgertums, wo die Damen sich beim Bad von ihren Dienerinnen die heisse Schokolade reichen lassen. Oper, Ballett und Pferderennen sind die Lustbarkeiten dieser Schicht und statuieren zugleich das Prestige, mit dem sie sich sozial abgrenzt. Degas schwelgt in diesem Repertoire, das er oft mit einem Hang zum Gefälligen und Dekorativen wiedergibt. Ein Grossteil seiner Produktion hat die Attitüde des Routinierten und auf Effekt Kalkulierten.
Künstlerische Radikalität bei einzelnen Werken
Muss man also Degas als Genremaler einstufen? Was in der Fondation Beyeler zu sehen ist, lässt ein solches Urteil nicht zu. Die Intensität, mit der Degas sich mit seinen Sujets und ihren formalen Möglichkeiten auseinandergesetzt hat, sprengt eine derart einengende Zuordnung immer wieder. Zwar bewegt er sich in seiner Bildwelt, als schaue er geflissentlich weg von der damals längst in Spannung geratenen gesellschaftlichen Wirklichkeit. Trotzdem zeigt die Ausstellung inmitten all des Gefälligen eine Reihe von Bildern, die den Genrecharakter zwar beibehalten, ihn aber doch auch transzendieren.
Solche Überschreitungen sind daran zu erkennen, dass die gewohnten Bildinventare zu formalen Inventionen umgestaltet sind. Die Kompositionen nähern sich der Abstraktion. Linien, Flächen und Farben folgen ihrem Eigensinn. Die Farbpaletten reduzieren sich bis zur Monochromie. Ein energischer Formwille setzt sich gegen das Hübsche und Nette durch. In diesen Werken verzichtet Degas auf die sonst allzu verschwenderischen Effekte, die Farbfeuerwerke sind gebändigt, das verräterische Kalkül mit dem Massengeschmack unterbleibt.
Da und dort bricht Degas zu jener Radikalität durch, die in jeder wahren Kunst steckt. Doch zu oft geht er nicht an jene Grenzen. Deshalb ist er wohl doch so etwas wie ein Genremaler. Der grosse Künstler, der zugleich in ihm steckt, hat sich in einzelnen Bildern durchgesetzt. Dass es diese Werke gibt, ist Grund genug, Degas als Maler hoch zu schätzen.
Die Ausstellung ist noch bis zum 27. Januar 2013 zu sehen in der Fondation Beyeler, Riehen bei Basel.